: „Man verkneift sich das Schimpfwort“
Zeit der Versöhnung und der Enthaltsamkeit: Bis zum 19. Januar feiern die Gläubigen unter den 75.000 muslimischen HamburgerInnen den Fastenmonat Ramadan ■ Von Heike Dierbach
Einen Kalender mit den offiziellen Uhrzeiten haben sich Sema Azizmahmutogllari und Kadriye Kilic zwar noch nicht besorgt. Die beiden Türkinnen wissen aber schon, „daß es ja diesmal nur zehn Stunden sind – überhaupt kein Problem“. An langen Sommertagen in der Türkei, sagt Azizmahmutogllari, „da war das schon anders“. Gestern morgen begann für die rund 75.000 muslimischen HamburgerInnen – genauer für die Gläubigen unter ihnen – der Fastenmonat Ramadan. Bis zum 19. Januar sind ihnen zwischen Morgengrauen und Sonnenuntergang Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr verboten – heute genau von 6.17 bis 16.07 Uhr.
Doch egal, ob die Tage kurz oder lang sind, „wir freuen uns immer auf Ramadan“, betont Mustafa Aslan. Zum einen, weil er wisse, daß er durch Fasten und Beten etwas für sich selbst tue. Zum anderen, so der 54jährige, „weil wir in dem Monat viel mehr Kontakt haben“. Die Moschee ist immer rappelvoll, man trifft Leute, die man ewig nicht gesehen hat, und schließt neue Bekanntschaften. Abends kommen Familie und Freunde zu Besuch, und es wird gut gegessen. Hinzu kommt die Vorfreude auf das Bayram-Fest am Ende des Ramadan, erzählt Azizmahmutogllari: „Das ist wie die Vorweihnachtszeit für die Christen.“
Hunger hat Mustafa Aslan eigentlich nie. „Vielleicht in den ersten zwei Tagen, aber sonst ist es halt eine Sache des Glaubens.“ An Festtagen außerhalb des Ramadan dagegen, lacht er, „könnte ich alle zwei Stunden etwas essen“. Auch für seinen Sohn Hakan ist das Fasten kein Problem. Höchstens kurz vor dem Fastenbrechen bekommt der Student Appetit und plant, was er gleich alles essen will. Meistens, räumt der 26jährige ein, stelle er dann aber fest, daß die Augen wieder größer waren als der Magen ...
Auf Unverständnis in ihrer nichtmuslimischen Umwelt ist die deutsch-türkische Familie Aslan, die seit Jahrzehnten in Hamburg lebt, nur selten gestoßen. „Iß' doch da hinten in der Ecke“, hat ein Kollege Mustafa Aslan einmal geraten, „da sieht dich Allah nicht.“ Auch Hakan Aslan hat an der Universität gute Erfahrungen gemacht. In die Mensa geht er allerdings im Ramadan nicht – seinen KommilitonInnen zuliebe. Denn nach dem Koran begeht auch derjenige eine Sünde, der in Gegenwart eines Fastenden ißt.
Erhan Erdogan hat davor keine Angst – er ist nicht gläubig. Doch obwohl der türkische Hamburger selbst weder Ramadan noch Bayram feiert, nimmt er in diesem Monat Rücksicht auf die Sitten seiner Landsleute. Manchmal allerdings raucht er sogar extra – „vor Leuten, die ich für Fundamentalisten halte“, um zu provozieren.
Die Fundamentalisten versuchen über Druck, die Menschen zum Fasten zu zwingen, weiß Azizmahmutogllari, „aber ich finde, jeder muß selbst entscheiden, ob er mitmacht oder nicht.“ Auch Mustafa Aslan erinnert sich lediglich belustigt an einen muslimischen Kollegen, der regelmäßig zu Ra-madan Magenschmerzen bekam. „Da hatte er immer eine gute Ausrede“, erzählt der 54jährige, „das ganze übrige Jahr war er kerngesund.“
Der Koran schreibt das Fasten allen Gläubigen vor. „Aber bevor man jemanden kritisiert, muß man erst fragen, warum er nicht fastet“, belehrt Osman Tirasçi, Hoca (Geistlicher) der Moschee an der Feldstraße. Und wenn einer zwar faste, ansonsten aber gegen die Gebote verstoße, „dann nützt auch das Fasten nichts“. Daß Ramadan, die Zeit der Versöhnung, mehr bedeutet, zeige nicht zuletzt die Krimi-nalstatistik der Türkei: Im heiligen Monat nehmen die Gewaltdelikte um 80 Prozent ab. „Das liegt allerdings auch daran, daß viele Kneipen geschlossen sind“, weiß der Hoca. Auch die Aslans berichten von weniger Streit im heiligen Monat: „Man verkneift sich halt das ein oder andere Schimpfwort.“
Um so schmerzhafter empfand Hakan Aslan das Bombardement gegen den Irak so kurz vor dem Beginn des wichtigen Monats. Zwar ist es Moslems nicht verboten, in dieser Zeit Krieg zu führen. „Aber es ist doch schlimm, daß die Leute keine Ruhe haben“, sagt er. Erhan Erdogan findet es allerdings auch ein bißchen zynisch, im Irak zu fasten: „Die Menschen haben doch eh nichts zu essen.“
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