: Ein Großer wird Opfer kaiserlicher Biologie
■ Bayern-Kapitän Thomas Helmer wird vom Arbeitgeber von der Ersatzbank aus abgeschoben
München (taz) – Gegen 20 vor 5 stand Kapitän Thomas Helmer dann doch auf von der Reservebank des FC Bayern München, schlenderte mit den anderen Ersatzleuten zu dem schmalen Rasenstreifen neben dem Spielfeld im Olympiastadion und fing mit der Aufwärmarbeit an. Leichter Trab, leichtes Dehnen. Zwischendurch blieb er stehen und schaute aufs Feld, auf dem die Kollegen mit gebremstem Einsatz gegen den VfL Wolfsburg Fußball spielten.
Die Zeit verging, Trainer Ottmar Hitzfeld rief Hasan Salihamidzic zu sich, um ihn für Mario Basler einzuwechseln. Die Zeit verging weiter, Hitzfeld rief Thorsten Fink zu sich, um ihn für Lothar Matthäus einzuwechseln. Und dann war das Spiel aus, der FC Bayern souveräner 3:0-Sieger durch Tore von Carsten Jancker (40.), Giovane Elber (86.) und Salihamidzic (90./Foulelfmeter) – und Kapitän Helmer hatte sich umsonst warm gemacht. Wieder einmal.
Thomas Helmer (33) wird nicht mehr gebraucht. Das hat man ihm dieser Tage ohne Umschweife klar gemacht. Als beständiger Edelverteidiger mit kühlem Geist und glühendem Ehrgeiz galt er bis vor kurzem noch, war in den vergangen Jahren immer gesetzt in Bayern- und Nationalkader und stand dabei stets in hoher Verantwortung. Aber all das nützt ihm jetzt nichts mehr. „Für jeden kommt einmal der Zeitpunkt“, hat Bayern-Präsident Franz Beckenbauer gesagt, „an dem er aus biologischen Gründen aufhören muß.“ Helmer ist nicht Matthäus, der mit 37 noch wie 27 wirkt. Das Alter und zu viele Verletzungen haben ihn langsam gemacht, und Ottmar Hitzfeld hat ihm das mit brutaler Offenheit vor Augen geführt. Am Freitag rief er Helmer zu sich: „Da habe ich ihm erklärt, daß ich in Linke und Kuffour Abwehrspieler habe, auf die ich setze und denen ich mehrere Chancen geben möchte.“ Natürlich, „ich würde mich freuen, wenn Helmer noch bis zum 30. 6. bei uns bleibt.“ Aber danach ist Schluß, sein Vertrag wird nicht erneuert. Und wenn Helmer schon im Winter fort will, bitte schön.
So könnte es passieren, daß der verdienstvolle Helmer bereits von der bunten FC-Bayern-Bühne gegangen ist, und es keiner so richtig gemerkt hat: keine Blumen, keine öffentlichen Dankesreden, keine Winke-Winke-Rundfahrt im Cabrio. Hitzfeld gönnte Helmer nicht einmal, sich in Arbeitshosen vom Publikum zu verabschieden. „Er hat es mit Fassung getragen“, sagt Hitzfeld. In Wirklichkeit bedeutet dieser ruhmlose Abschied wieder eine dieser Enttäuschungen in der Karriereplanung, von denen Helmer schon einige einstecken mußte. DFB-Pokal- und Uefacup- Sieger, Deutscher und Europameister ist er geworden. Aber seine Laufbahn trägt den Makel, daß er in zwei deutschen WM-Kadern stand (1994 und 1998), die im Viertelfinale ausschieden. Außerdem wollte er immer Libero sein, durfte aber meistens nur den malochenden Manndecker geben.
Und jetzt das. Der FC Liverpool wollte Helmer erst, bis die Briten diese Woche ihr Angebot zurückzogen. Jetzt sind Nürnberg und Mönchengladbach als mögliche Arbeitgeber im Gespräch. Der Vorletzte und der Letzte in der Liga. Tolle Aussichten. Allerdings immer noch besser als beim Ersten vorgeführten zu bekommen, wie die Jugend einem davonläuft. Ob das Spiel gegen Wolfsburg das letzte für ihn bei Bayern war, fragte jemand. Helmer antwortete: „Ich kann das heute noch nicht genau sagen.“ Aber eher ja. Thomas Hahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen