piwik no script img

Der Knecht der Heiligen Familie

Er müßte der stolzeste Vater der westlichen Zivilisation sein, aber es hat einfach nicht gereicht: Joseph bleibt der Mann der Maria, ein Schurke mit Bart, der das Gepäck trägt und den Esel führt. Wenn er überhaupt erwähnt wird. Nach zweitausend Jahren wäre es vielleicht an der Zeit, Joseph als treuen und liebevollen Vater zu rehabilitieren, der Marias Erstgeborenen vor den Schlächtern rettete. Vielleicht war Joseph nicht ganz so schlicht, wie die Geschichte seines Vergessens uns lehren will. Überlegngen zu einem nahezu Unbekannten  ■ von Ulf Erdmann Ziegler

Zuerst hatte dieser Mann den richtigen Impuls, nämlich abzuhauen, hit the road, Jack, rambling on und don't think twice. Denn was sollte er tun, der Mann, der Joseph hieß und eine Frau schwängerte, mit der er nicht verheiratet war... Aber halt! Das ist doch eine andere Geschichte. Dieser Mann hatte eine Frau geheiratet, aber bevor es zum Vollzug des Unvermeidlichen kam – „er sie heimholte“, wie der Evangelist Matthäus es in vornehmem Lutherdeutsch später auszudrücken beliebte – war sie von einem anderen schwanger, dessen Namen sie, Maria, nicht preisgeben wollte.

So könnte es gewesen sein, und für den Fall wäre es nur angemessen, das Weite zu suchen. Den Evangelisten Matthäus habe ich im Verdacht, Joseph dieses denken zu lassen – Joseph „gedachte aber, sie heimlich zu verlassen“ –, um eben diese Version der Geschichte glaubhaft zu machen. Joseph, soll das heißen, ist es allemal und auf jeden Fall nicht gewesen. Stellt euch vor, wenn er sogar Maria verlassen wollte, das würde doch gar keinen Sinn machen!

Nicht daß es vor Quellen gerade wimmelt, denn zwei der vier Evangelisten sparen die peinliche Geschichte um Jesu Zeugung einfach aus. Außer Matthäus weiß nur Lukas Bescheid. Bei ihm gibt es eine „Jungfrau, die vertraut war einem Manne mit Namen Joseph, vom Hause David“; dann folgt der berühmte Besuch des Engels, mit dem Maria sich nicht leichttut. „Wie soll das zugehen“, fragt sie, nämlich daß sie schwanger werden solle, „da ich doch von keinem Manne weiß?“ Da spürt man, wie Lukas uns zuzwinkert: Das Ehepaar treibt es natürlich wie alle anderen, aber es hat sich gemeinsam eingeschworen auf religiösen Hokuspokus. Warum sollten sie nicht so eine Art Dalai Lama des Westens in die Welt setzen? Oder anders gefragt: Wenn einem ein Lottogewinn überwiesen würde, auch wenn man nie getippt hat – würde man sich wehren?

So kommt also der Wonneproppen Jesus in die Welt, und ab hier fallen zwei Geschichten auseinander.

Erstens: die Geschichte von Joseph und Maria als gewöhnlichem heterosexuellen Elternpaar in einer kleinbürgerlichen Familie. Denn als Jesus langsam verhaltensauffällig wird, heißt es: „Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn, und der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Sind nicht auch seine Schwestern allhier bei uns?“ Macht also mindestens sechs jüngere Geschwister oder, wie man es eben nimmt, Halbgeschwister; die Komplikationen um die Ursache Marias erster Befruchtung haben das Ehepaar nicht auseinandergebracht, im Gegenteil.

Und zweitens: die Geschichte von Joseph und Maria als Eltern des Aufrührers mit dem großen Herzen für die Gestrandeten und null Toleranz für Abzocker und fiese Möpp. Maria macht, kurz gesprochen, als universelle Mama den Durchmarsch, und Joseph wird in kürzestmöglicher Frist an den Rand der Sinnstiftung geschoben, worauf er plötzlich und ohne weiteren Bericht ins Dunkel des Vergessens fällt.

Maria: das Bild der „holden“ Jungfrau, für immer fixiert, porzellanmäßig zum Schimmern gebracht, samten ummäntelt; Mädchen/Mutter für alle Bedürfnisse und jeden Bedarf; der Name in aller Welt gemurmelt wie ein Mantra; Kerzenmißbrauch allerorten, ihre dezent niedergeschlagenen Augen zu erleuchten. Eine einsame Karriere, die natürlich auch wieder ein Namenstrick ist: Hätte sie Klytämnestra geheißen, die Sache wäre ein Reinfall geworden. Rainer Klytämnestra Rilke, das wäre ganz ausgeschlossen.

Joseph, dagegen, muß seinen Stammbaum abgeben, und dann ist Ruhe im Karton. Vierzehn „Glieder“ rechnet der Evangelist Matthäus „von Abraham bis auf David“, noch zweimal vierzehn bis zu Jesus: eine Genealogie, die „heilsgeschichtlich“ (wie mein Bruder, der Pastor sagt) relevant ist. In der Verkettung der Vaterschaften muß Joseph als 41. Glied bereitstehen, um Jesus als dem 42. die Stange zu halten. In die Gliederkette wird der leibliche Sohn des „Heiligen Geistes“ dann – wenn ich es recht verstehe – mittels Beschneidung eingereiht (von nichts kommt nichts).

Hätte die christliche Religion sich zum Bilderverbot durchgerungen, Joseph wäre ganz aus dem Setting verschwunden. Seit dem frühen 15. Jahrhundert, allerdings, feiert er auf den Altären ein sanftes Comeback. So darf er auf dem 35-Bilder-Comic eines anonymen Kölner Meisters um 1410 im dritten Bild den Esel führen, auf dem Maria sitzt, und im vierten Bild – jetzt allerdings überraschend miniaturisiert auf die Größe eine Erstkläßlers – über dem ärmlichen Feuer einen Suppentopf schwenken. Und weg ist er. Zwei Generationen später sieht ihn der Maler Martin Schongauer als grauen, bärtigen Alten mit einem Lederbeutel um die Lenden geschnallt, als Kassenwart. Daß einer der drei Hirten, so um die vierzig, die feingliedrigen Finger der betenden Maria, zirka 25 Jahre alt, fest im Blick behält, wirkt überzeugend.

Bei Lucas Cranach ist Maria – in roter Robe, rotblond – fast noch ein Kind; Joseph, in der Bildmitte, hat keinen Spaß an der Herde von Engelchen, die sich eingefunden hat um Mutter und Blag. Maria sieht den Betrachter rundheraus an; Joseph schaut verschämt, schurkenhaft geradezu, um die Ecke. Beim Maler Hans Burkmaier finden wir ihn dann 1525 ältlich und leicht verstört auf einen Stock gestützt, mit abgeknabberten Fingernägeln. Überhaupt wird Joseph nur gebraucht, falls die Heilige Familie unterwegs ist oder notdürftig campiert. Wenn es dann in Richtung Rosengarten, Klosterszene, Inthronisierung und Massenauflauf geht, wird er ausgespart. Kein einziges Mal sieht Maria den Mann an, der sie später sechsmal, wie gesagt, schwängern sollte. Joseph ist der Knecht der Familie. Das Motiv des Esels, zum Beispiel, ist heilsbiographisch bei weitem beständiger.

Dies zumindest ist der Befund in der Gemäldegalerie zu Berlin. Cranach übrigens, kein Dummer, hat sich für seine ausgeschmückte pastorale Szene „Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ auszumalen gesucht, und wenn man die Geschichte der prä- und postnatalen Wanderschaften dazunimmt, muß man Joseph als um seine Leibesfrucht gänzlich Betrogenen schätzen lernen. Es wäre unter moderat patriarchalen Regeln durchaus angemessen gewesen, Jesus dort zur Welt kommen zu lassen, wo sein Vater sein Auskommen hatte, im galiläischen Nazareth. Dort ist Jesus schließlich auch den Windeln entwachsen und eingeschult worden. Es gibt keinen vernünftigen (und nachweisbaren) Grund, warum Joseph mit der hochschwangeren Maria hätte aufbrechen sollen, um in einem Oasendorf namens Bethlehem logisch kein Hotel zu finden.

Die ganze Mühe war auch unter Sicherheitsaspekten ziemlich gefährlich, weil die Geburt des Retters erstens für Bethlehem prophezeit worden, zweitens Herodes die Geburt eines neuen Königs nicht hinzunehmen bereit war und drittens diese auffälligen Sterne über der Krippe standen. An dieser Stelle möchte ich den Fachleuten unter den LeserInnen die Frage zumuten, ob die Jungfernschaft Marias mit der Geburt des Kindes endete oder ob Jungfern nur durch Intervention von außen von ihrem Ruf zu erlösen sind.

Also überall das Schreien der Kinder, von groben Landsknechten, aufgeschlitzt wie Schweine, und ihre Mütter: „Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen“, zitiert Matthäus einen der Propheten. Den Vätern der Kinder hat es offenbar nicht viel ausgemacht. Vor diesem Hintergrund hebt sich Josephs Engagement, indem er seinen Sohn nach Ägypten rettet, als besonders vorbildlich ab.

Gedankt hat ihm das niemand, schon gar nicht der Erstgeborene selbst. Joseph und Maria waren nämlich zum Passahfest im Jahr 0012 nach Jerusalem gereist und dann im Troß in Richtung Nazareth zurückgegangen, als sie den Ältesten in ihrer Kinderschar vermißten. Wie Lukas zu berichten weiß, fanden sie ihn nach drei Tagen Suche im Tempel mit den Priestern disputierend, worauf sie ihm begreiflich Vorwürfe machten: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan?“ Worauf er ihnen ziemlich frech kommt: „Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?“ Milde, natürlich, im Vergleich zu den Greueltaten des Ödipus, aber als verbaler Vatermord von großer Wirksamkeit: Danach kommt Joseph in der Bibel nicht mehr vor. Ein König wird, wenn sein Sohn an seine Stelle tritt, wenigstens vermißt. Wer aber schert sich um einen historisch abgetriebenen Zimmermann?

Da ist eine bittere Pointe in der Geschichte von Joseph. Entweder hat er ein Kuckuckskind großgezogen, um das Wohl des Kindes besorgt wie ein aufgeklärter Mann der Neuzeit; dann wäre die Leugnung seiner Vaterschaft korrekt, aber die Beleihung seines Stammbaums ein reaktionärer Fimmel. Das geht schlecht zusammen. Oder er hat, in religiösem Wahn, mit seiner Frau abgesprochen, die eigene leibliche Zeugung des Kindes öffentlich zu leugnen, um dem Erstgeborenen eine göttliche Herkunft anzudichten. Damit wäre die seltsame Heldenbiographie seines Kindes bestens zu erklären, einerseits; andererseits wäre es letztlich – tragisch! – seine eigene Schuld, daß Gott ihm als Wahl-Vater den Rang abgelaufen hat in der Hierarchie der christlichen Familie.

Schade eigentlich, daß die Tradition der biblischen Malerei nicht ohne Verluste wiederbelebt werden kann, um kleine Korrekturen am Josephsbild vorzunehmen. Aber vielleicht könnte ein Josephsmusical an die Stelle treten oder ein Film. Und in der Titelrolle auf keinen Fall Otto Sander mit Schlapphut, sondern ein entflammter DiCaprio. Fürs erste. Es sind schon andere Wracks gehoben worden und verwandelt in Gold.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen