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Zukunft als lernende Region am Fluß

Statt Großprojekte muß Bremens Politik eine Bildungsoffensive fördern  ■ Von Helmut Zachau

Irgendwie schauen alle auf den ökonomischen Urknall, der das Land Bremen von den Fesseln der verschlafenen Strukturreformen befreien soll.

Mit Space- und Ocean-Park soll der Strukturwandel Bremens im Kern erreicht werden, „weg von den niedergegangenen Altindustrien hin zu den modernen Dienstleistungen des Tourismus-Bereichs“, so lautet die Aussage des Senats. Aber welche Struktur wird wohin gewandelt? Der Space-Park war ursprünglich so konzipiert, daß er die in Bremen beheimatete traditionsreiche Luft- und Raumfahrt-Industrie in ein Tourismus-Projekt einbeziehen sollte. Das war durchaus intelligent gedacht, weil es an das anknüpfte, was Bremen hat. Die kommerzielle Tragfähigkeit des Projektes war nach Auffassung der Wirtschaftsförderer nicht gegeben und deswegen wurde es um ein großflächiges Einzelhandelsangebot erweitert. Was ist daran zu kritisieren?

Der Einzelhandel ist nicht unbedingt der wachstumsträchtige Sektor der Zukunft. In einer Zeit, in der der große Einzelhandelskonzern Metro wegen mangelnder Renditeerwartungen eine Vielzahl von Supermärkten verkauft, ist es schon relativ abenteuerlich, hieran wesentliche wirtschaftliche Zukunftserwartungen zu knüpfen. Erfolg kann ein neues Einzelhandelszentrum auf dem AG-Weser-Gelände nur um den Preis der Gefährdung bestehender Geschäfte in der City und in den Nebenzentren haben. Der Senat wiederholt alte Fehler: Er setzt alles auf eine Karte, auf ein einzelnes Großprojekt als wirtschaftlichen Leistungsträger und riskiert damit die Zukunft. Die Alternative, lieber dasselbe Geld in der Innenstadt zu investieren, um so den Konsum in Verbindung mit Kultureinrichtungen und der gewachsenen City anzuregen, ist zwar deutlich attraktiver, aber den wirtschaftspolitischen Input zur Rettung Bremens wird auch dies nicht bringen.

Strukturwandel ist ein Prozeß und kein punktueller Kraftakt. Wie mühselig nachhaltige Wirtschaftsförderung ist, mag jeder am Beispiel des Technologieparks an der Uni sehen, wo erst jetzt die Früchte langjähriger Investitionen reifen. Wer also, wie die große Koalition, auf die Illusion der einhundert Kräne setzt und den Kritikern immer wieder Zaghaftigkeit und fehlende Alternativen vorwirft, verschweigt die Folgen seiner Politik. Und die sind erheblich: Space- und Oceanpark sind mitnichten private Projekte, am Ende werden die bremischen Steuerzahler fast eine Milliarde Mark dazubezahlt haben, und die Verschuldung Bremens wird zunächst einmal zunehmen. Das geht zu Lasten der übrigen staatlichen Aufgaben: die bremischen Schulen verrotten langsam aber sicher, der Schutz der Umwelt wird hintenangestellt, und die Spielplätze werden zum Stopfen von Haushaltslöchern verkauft.

Erfolgreicher Strukturwandel bedarf einiger Voraussetzungen: Erste Voraussetzung ist eine ehrliche Auseinandersetzung damit, was staatliche Infrastrukturpolitik im Hinblick auf den Arbeitsmarkt tatsächlich leisten kann. Das weitverbreitete Dogma Wachstum = Arbeitsplätze stimmt nicht mehr. Der Bremer Senat verbreitet die Illusion, durch eine beliebige Ausweitung der Gewerbegebiete und durch Subvention von Großprojekten in erheblichem Umfang Arbeitsplätze schaffen und damit die Arbeitslosigkeit nennenswert senken zu können. Das wird nicht funktionieren und dem Kernproblem, dass die dramatischen Veränderungen der Arbeitsgesellschaft einer wirtschafts- und strukturpolitischen Begleitung bedürfen, wird ausgewichen.

Eine zweite Voraussetzung besteht darin, daß wieder finanzielle Spielräume geschaffen werden müssen, um handlungsfähig zu bleiben. Bremen baute bisher, trotz der jährlichen 1,8 Milliarden Bundesmittel, so gut wie keine Schulden ab. Bremen hat mit dem Verkauf von Stadtwerkeanteilen, Wohnungsbaugesellschaften und den BEB-Anteilen viele kommunalpolitische Gestaltungsmöglichkeiten verloren.

Zur Verfügung stehende Werte werden in Zeiten eines Wirtschaftsaufschwungs verkauft. Aber was passiert eigentlich beim nächsten Wirtschaftsabschwung, wenn jetzt die finanziellen Spielräume dermaßen überreizt werden? Bremen muß die Ausgaben für das Investi-tionssonderprogramm von jetzt 560 Mio.DM auf die Hälfte reduzieren, um mit dem restlichen Geld endlich Schulden abzubauen.

Die dritte Voraussetzung ist ein zukunftsfähiges Bildungswesen. Der langfristige wirtschaftliche Erfolg hängt viel mehr von der Qualifikation, Innovations- und Lernbereitschaft unserer Kinder als von den Parkplätzen des Ocean-Parks ab. In Deutschland wird sich die Anzahl der Zwanzig- bis Dreißigjährigen bis zum Jahre 2030 halbieren! Wir werden also, um das Qualifikationsniveau überhaupt halten zu können, künftig alle Begabungsreserven in unserer Gesellschaft mobilisieren müssen. Schon heute muß die Bundesrepublik Ingenieursdienstleistungen importieren. Das ist eine höchst gefährliche Entwicklung, der nur entgegengewirkt werden kann, wenn die Schulen ihre SchülerInnen auf den Übergang von einer Industrie- in eine Wissensgesellschaft vorbereite können.

Diesen Herausforderungen muß sich auch die bremische Wirtschaftspolitik stellen. Bremen muß eine lernende Region am Fluß werden, die vor allem an eigene Potentiale anknüpft, diese verstärkt und anreichert, statt auf hochsubventionierte Fremdimplantate zu setzen. Warum investiert Bremen nicht 20 Millionen Mark aus der Wirtschaftsförderung in naturwissenschaftliche oder technologieorientierte Modellschulen, um diese Lernbereiche für die SchülerInnen richtig spannend zu machen? Das Ganze könnte eingebunden werden in eine enge Kooperation mit interessierten Wirtschaftsunternehmen, der Universität, der Hochschule Bremen und den Kammern. Wir würden an den durch die Werftindustrie, Luft- und Raumfahrt sowie Maschinenbau gewachsenen Traditionen anknüpfen und die Basis für die Entwicklung technikgestützter und produktionsorientierter Dienstleistungen verbessern.

20 Millionen Mark für eine zukunftsfähige Bildung könnten einen richtigen Innovationsschub in Bremen auslösen. Aber wir investieren lieber in den Umbau des Ihlpohler Kreisels und Granitpflaster in der Sögestraße.

Es gibt noch viele andere Möglichkeiten einer Entwicklung von unten. Staatliche Politik muß ihnen den Raum verschaffen, das Klima zum Experiment und zur Entwicklung herstellen. Gerade in diesen schnelllebigen Zeiten gibt es keine einfache Antwort für die Zukunftsentwicklung. Die Fähigkeit zum Dialog und zum demokratischen Diskurs, Streit und Engagement sind die Stärken unseres Gemeinwesens. Wir sollten dieses mutiger einfordern.

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