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Kritischer Arzt sucht neuen Job

■ Nach zwölf Jahren muß Ellis Huber, der Präsident der Berliner Ärztekammer, sein Amt aufgeben. Zuweilen stand sich der linke Vorkämpfer gegen die Apparatemedizin selbst im Weg

Der Ärzteprotest gegen die rot-grüne Gesundheitspolitik fordert das erste Opfer aus den eigenen Reihen. Ellis Huber, einziger links-alternativer Präsident einer deutschen Ärztekammer, muß sein Amt als Standesvertreter der Berliner Ärzte aufgeben. Sein Nachfolger, der bisherige Vizepräsident Günther Jonitz, stammt aus den Reihen des „Marburger Bunds“, der die Klinikärzte vertritt. Weil Jonitz auch die eher konservative „Allianz Berliner Ärzte“ hinter sich scharen konnte, gilt seine Wahl auf der Delegiertenversammlung am 27. Januar als sicher. „Ich bin traurig, aber gegen Jonitz werde ich nicht kandidieren“, lautete Hubers Weihnachtsbotschaft an die Medien.

Dabei war Huber noch aus der Wahl des Ärzteparlaments vor zwei Wochen scheinbar als Sieger hervorgegangen. Seine „Fraktion Gesundheit“ erreichte 35 Prozent, die konservative Liste kam hingegen nur auf 31 Prozent. Doch der Stimmungsumschwung bei den Klinikärzten kostet den Kammerpräsidenten jetzt das Amt.

Erstaunlicher als sein plötzlicher Abgang ist es, daß sich Huber überhaupt zwölf Jahre lang an der Spitze der Berliner Ärztekammer halten konnte. Seine Wahl galt als herbe Schlappe für die traditionellen „Götter in Weiß“, er verkörperte den Generationswechsel in der überalterten Kammer. Von Anfang an las er seinen Standesgenossen die Leviten. Huber machte sich zum Vorkämpfer gegen Apparatemedizin und wirkungslose Arzneimittel, gegen Fachärzte und Pharmalobby. Das geltende Honorarsystem mache eine „redliche und korrekte Abrechnung“ unmöglich. Indem er hinzufügte, 10 bis 20 Prozent der Berliner Ärzte rechneten gar bewußt mehr ab als zulässig, brach Huber einen Streit mit der Kassenärztlichen Vereinigung vom Zaun, der schließlich vor Gericht endete. Zuletzt bezeichnete er den vorweihnachtlichen Ärztestreik als „Treppenwitz des Jahrhunderts“.

Doch auch die Patienten schonte er nicht. Huber, der selbst lange geraucht hat, gerne ißt und einen guten Wein nicht ausschlägt, forderte eine Sonderabgabe auf „gesundheitsschädliche“ Produkte wie Zigaretten, Zucker oder Fleisch. Die Boulevardpresse zeichnete das Schreckbild einer „Sünden-Steuer“, Huber klagte danach über das kalte Licht auf der öffentlichen Bühne. Diese Bühne jedoch hat Huber stets gesucht.

Er habe so oft Visionen wie andere einen Schnupfen, höhnten Kritiker, er sei häufiger im Fernsehen anzutreffen als in seinem Büro. Selbst seine Gesinnungsgenossen konnten zuletzt nicht verhehlen, daß Huber dabei bisweilen die Bodenhaftung verlor. Daß er sich im Wahlkampf ungefragt für das Amt des Bundesgesundheitsministers empfahl, wurde im rot- grünen Lager mit Befremden registriert. Der scheidende Kammerpräsident glaubt wohl noch heute, er sei letztlich nur an der Frauenquote gescheitert.

Jetzt ist die berufliche Zukunft des 49 Jahre alten Gesundheitspolitikers, der schon seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr als Arzt praktiziert, völlig offen. Einst Mitbegründer des Berliner Gesundheitsladens, organisierte er 1980 den ersten bundesweiten „Gesundheitstag“, der aus dem Stand 12.000 Teilnehmer anzog. Ein Jahr später wurde er für die Alternative Liste (AL) Gesundheitsstadtrat im behäbigen Wilmersdorf, anschließend in Kreuzberg – gegen den erbitterten Widerstand der lokalen AL-Basis, die lieber eine Frau auf dem Posten gesehen hätte. Weil er sich zwecks Steuerersparnis auf ein faules Immobiliengeschäft in Kanada eingelassen hatte, mußte er schließlich zurücktreten. Ein halbes Jahr später hätte er Anspruch auf eine Pension gehabt.

Doch längst hat er sich für einen neuen Posten ins Gespräch gebracht: Sollten die Berliner kommenden Herbst eine rot-grüne Regierung wählen, würde er das Amt des Gesundheitssenators gewiß nicht ablehnen. Ralph Bollmann

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