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Neunzehnhundertneunundneunzig: Nicht vergessen! Von Carola Rönneburg

Selten ist ein Jahr schon vor seinem Beginn so beleidigt worden wie Neunzehnhundertneunundneunzig. Obwohl es sich bestimmt ein paar Überraschungen für die kommenden Monate ausgedacht hat, will niemand etwas von ihm wissen. Alles konzentriert sich auf 2000 und den sogenannten Jahrtausendwechsel (ich weiß, ich weiß, der findet da gar nicht statt: Bitte legen Sie das Leserbriefpapier wieder in die Schublade zurück).

Für Silvester 2000 erwarten Champagnerhäuser und Sektkellereien gewaltige Umsatzsteigerungen, Kaviarimporteure befürchten Lieferengpässe, und in Paris, so war dieser Tage zu erfahren, sind die großen Hotels bereits ausgebucht oder halten ihre Zimmer zurück. Das Ritz ließ gar verlauten, es werde seine Zimmerpreise, die derzeit bei knapp 1.400 Mark liegen, noch einer Prüfung unterziehen. In San Francisco ist dagegen noch etwas frei: Das hiesige Ritz- Carlton Hotel vermietet seine Präsidentensuite in der Nacht vom 31. Dezember 1999 auf den ersten Januar 2000 für umgerechnet 170.000 Mark.

Zum All-inclusive-Preis gehören ein Kühlschrank voller Champagner, ein Jaguar-Mietwagen und eine goldene Armbanduhr, die man behalten darf. Etwas preisgünstiger sind die Zimmer der Hotelkette in New York, wo man schon für 3.400 Mark mit Vollpension unterkommen kann – noch, denn ein Jahrtausendwechselfest am Times Square wird wahre Menschenmassen in die Stadt locken, die eine 24-Stunden-Live-Übertragung weltweiten Partytohuwabohus auf Großleinwand verfolgen wollen.

Wer aber muß für die Vorbereitung dieses gesammelten Irrsinns herhalten? Eben: 1999. Schon in wenigen Tagen läuft auch hierzulande der Countdown an – 1999 wird das Jahr der täglichen Jahrhundertrückblicke in Wort, Bild und Ton und natürlich auf CD- ROM, von A wie Atombombe bis Z wie Zahnersatz. Selbst von Zeitschriften wie Ein Herz für Tiere ist da einiges zu erwarten, etwa ein Sonderheft „Das Kaninchen und sein Jahrhundert“.

Es steht außerdem zu befürchten, daß die Esoterikbranche ihre Umsätze ins Unermeßliche steigern wird und selbst bis dato vernünftige Menschen damit beginnen werden, Halbedelsteine zu sammeln, ihre Freunde auszupendeln und nach dem Mondkalender zu leben. Und wer weiß: Womöglich nimmt die Handwerkskammer im kommenden Jahr auch Astrologen auf und entwickelt Richtlinien für die Ausbildung von Astrologielehrlingen.

Ich frage mich, wie 1999 dagegen ankommen soll, so ganz allein und in dem Wissen, daß man es auf zwei verkaufsoffene Samstage hintereinander verkürzen würde, wäre das technisch machbar.

Klarer Fall also: Das neue Jahr braucht Unterstützung, sonst wird nichts aus ihm. Sei nett zu Neunundneunzig, muß die Devise lauten. Ich werde mir daher Mühe geben, 1999 freundlich zu begrüßen. Außerdem könnte das neue Jahr, die Möglichkeit besteht immerhin, um einiges besser werden als sein Vorgänger. Und falls es meine Hoffnungen nicht allzusehr enttäuscht, will ich Neunzehnhundertneunundneunzig in gut zwölf Monaten würdevoll verabschieden – und zwar ganz sicher an einem Ort, für den die westliche Zeitrechnung nicht gilt.

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