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Wundersame Reise ins Reich der Eiszwerge

Daniela Jasper-Klindt ist eine der besten ExtrembergsteigerInnen der Welt und bezwang schon Eisfälle wie „Betablock Super“  ■ Von Mathias Stuhr

Der Ochsenfrosch ist ein komisches Tier. Er kann die Backen ganz schön dickmachen, aber wenn er dann springen soll, hüpft er nur ein kleines Stück. Er jammert rum, und wenn ein kleiner grüner Frosch einmal viel weiter springt als er, liegt es am Wetter und überhaupt. Mit Ochsenfrosch bezeichnet Daniela Jasper-Klindt (27) jene Männer, die in der alpinen Bergwelt ihr Unwesen treiben und behaupten, daß Frauen nicht bergsteigen können. Wenn sie doch „rauf“ gekommen sind, waren natürlich hilfsbereite Männer in der Nähe.

Mit solchen Fröschen muß sich Jasper-Klindt auch heute noch herumärgern, obwohl sie zu den besten Kletterern der Welt gehört, zu der Handvoll Profi-ExtrembergsteigerInnen in Europa und Nordamerika. Zum Klettern kam sie erst mit 16 Jahren, mit 19 war sie schon die beste Deutsche im Freeclimbing. Dann wurde der Reiz immer größer, die Eiswelt der Berge zu erobern. In diesem Winter erlebt das Eisklettern, die besonders anspruchsvolle Variante des Extremkletterns, neben dem Mixed- Klettern, der schwierigen Kombination von Eis- und Felsabschnitten, einen wahren Boom. Es gibt Kletter-„Eisfestivals“, und auf besonders beliebten Touren kann es an Wochenenden sogar zu kleineren Staus kommen.

Nach Meinung des Deutschen Alpen Vereins, der größten Natur- und Bergsportvereinigung dieser Art in der Welt, stellt das Extremklettern ökologisch keine große Gefahr dar, mit dem Bau von Kletterhallen wird aber trotzdem versucht, die Kletterer aus den Bergen zu locken und technisch zu schulen, bevor sie die Natur malträtieren. Auch das naturferne Klettern an Freeclimbing-Wänden in der Halle war und ist ein gutes Training, aber „Klettern gehört einfach in die Berge“, meint Jasper-Klindt und findet es im Gegensatz zu vielen anderen Bergfreunden auch klasse, wenn möglichst viele Kids mit ihren Snowboards in die Berge einfallen. „Besser, als wenn sie vor der Glotze hängen“, hört man die herzige Pädagogin heraus. Sie muß selbst lachen, wenn sie Bergsteigen auch als Selbsterfahrungstrip bezeichnet. Das paßt gut zum Öko- Image einer Frau, die gleichzeitig Waldorfpädagogin, Geschichtenerzählerin und Marionettenspielerin ist und überdies in einem Holzhaus ohne Fernseher wohnt. Dieses fast unheimlich ausgeglichene Leben muß geradezu als weiblicher Gegenentwurf zum männlich dominierten „Der Berg ruft“-Mythos erscheinen. Das Auftreten von Männern, die Berge „besiegen“ und diese wie „Statussymbole“ sammeln wollen, findet sie einfach „zum Kotzen“.

Durch die Luis-Trenker-Filme der 30er Jahre und das Aufgreifen des Bergsteigens durch die Nazis wurde ein noch heute präsentes heroisch-ästhetisierendes Bild geprägt. Die Erstbesteigung der Eiger-Nordwand 1938 durch das österreichisch-deutsche Team Heckmair, Vörg, Kasparek und Harrer wurde als erstes Medienereignis der Bergwelt mißbraucht. Beim Thema Eiger-Nordwand, dem Wembley-Stadion des Bergsports, gerät Jasper-Klindt richtig in Rage. Die für den 28. und 29. August dieses Jahres geplante 36 Stunden-Live-Übertragung der Durchkletterung der legendären Bergwand im Schweizer Fernsehsender SF-DRS (in Koproduktion mit Südwest 3) hatte in der Öffentlichkeit für viel Aufregung gesorgt. Das gigantische Vorhaben (Motto: „Tag und Nacht dabei“) scheiterte zwar an den Witterungsverhältnissen, wird aber 1999 nachgeholt, wenn auch in modifizierter Form. Daniela Jasper-Klindt stört gar nicht so sehr die „Entehrung“ des Berges oder die Banalisierung des Bergsteigermythos. Sie findet es einfach „eine Katastrophe“, was die Fernsehproduzenten („Wir wollen Emotionen entwickeln“) mit dem Berg selbst anstellen. Zwölf Kameraplattformen wurden in den Kalk gebohrt und damit die Eiger-Tour verschandelt.

Daniela Jasper-Klindt versucht zusammen mit ihrem Mann Robert Jasper (30), einem der weltbesten Extremkletterer, immer „fair“ zu klettern und sagt dem „unfairen Stil“ den Kampf an. Dieses alpine Foulspiel besteht im simplen Bohren von zahlreichen Haken, an denen sich auch schlechtere Kletterer nachziehen können. Jemanden zu verdächtigen, sie oder er habe sich „die Wand hochgebohrt“, gilt in der Bergwelt als ehrabschneidende Unterstellung. Die alpine Welt ist ohne Frage eine immer noch stockkonservative, da bedarf es als Beweis gar nicht jenes Münchner Klettervereins, der bis vor zwei Jahren grundsätzlich keine Frauen aufnahm. In dieser Welt sind die beiden jungen Kletterstars immer noch Exoten, wenn auch sportlich respektierte. Auf einer Feier, die das Bergpaar anläßlich einer Erstbesteigung gab, wollte nur schwer Stimmung aufkommen: Denn „Bergsteiger tanzen nicht“, ob es an den hinderlichen Bergausrüstungen oder der Musik lag, weiß die Gastgeberin bis heute nicht.

Sportlich korrekt ging es auf der Hochzeitsreise nach Norwegen in diesem Sommer zu. Das Paar durchkletterte erstmals die schwierigste Route des Landes auf den Lofoten, 800 Meter lang, an mörderischen Überhängen und Felswänden vorbei. Ihr Schwierigkeitsgrad 9 wird diese Strecke, die sie nach der nordischen Liebesgöttin Freya benannten, zu einem Grand- Slam-Ereignis des Bergsports machen, sportlich erheblich anspruchsvoller als die Besteigung vieler 8.000er. Die Tatsache, daß es inzwischen schon organisierte Bergtouren zu einigen 8.000ern gibt, die sportlich arm, finanziell aber reich ausgestattete Bergsteiger auf die Riesenberge bringen, relativiert die Bewunderung für das reine Höhenbergsteigen. Selbst Reinhold „Yeti“ Messner hätte beim Freeclimben oder Extremklettern mindestens genausoviel Mühe wie die meisten Sportkletterer im Himalaya.

Bei der Namensgebung der Bergstrecken hat die Geschichtenerzählerin ein glückliches Händchen. „Vol de Nuit“ im Mont- Blanc-Massiv und der „Hexenschuß“ im Zinal waren ihre Kreationen. Auch die „Reise ins Reich der Eiszwerge“ im Berner Oberland gibt es tatsächlich, und im Januar 1999 steht der große Wasserfall (300 Meter lang) „Tränen der Eisprinzessin“ auf dem Programm.

Ein wirklicher Durchbruch in Fachkreisen war für Daniela Jasper-Klindt die Erstbegehung von „Betablock Super“ im vergangenen Winter. Diesen Namen hatte der längste Eisfall der Schweiz, eine 40 Meter hohe freistehende Eissäule in einer 350 Meter langen Wand im Berner Oberland, aber von der Schweizer Bergsteigerlegende Xaver Bongard, bekannt als „Mann ohne Nerven“, erhalten. Der war allerdings bei seinem Erstversuch gescheitert und verunglückte später bei einem „Base Jump“, einer lebensmüden Variante des Fallschirmspringens, tödlich. Nach der Erstbesteigung zusammen mit ihrem Mann hatte Jasper-Klindt dann aber schnell die Männerwelt wieder. Noch unten am Berg kam den beiden eine Gruppe von jungen Bergsteigern entgegen, die nur „dem Robert“ gratulierten. Daniela fühlte sich nicht zum ersten Mal wie ein „begossener Pudel“, sie versucht solche Mißachtung aber mit Humor zu nehmen.

An einem durchschnittlichen Trainingstag wird, nachdem sie ihr Pferd gefüttert und gefrühstückt hat, bis zu zwei Stunden in den Bergen gejoggt. Es folgt etwas Yoga, dann, als anstrengendste Trainingseinheit, das Hallenklettern. Blöde die Hanteln zu stemmen lehnt sie ab, vor Klimmzügen hat sie regelrecht Angst. Dafür klettert sie aber fast täglich unter Wettkampfbedingungen in ihrem Hausgebirge, dem Berner Oberland. Bei der Ernährung ist keine Zurückhaltung angesagt, dennoch hält sie problemlos ihre 44 Kilo Körpergewicht. Ganz ökologisch gibt es eine biologisch wertvolle Küche. Schlemmen kann sie zu Hause ohnehin nicht, denn bei 15 Grad Raumtemperatur, die wohl eine Art Dauer-Eistraining darstellt, schmeckt auch kein Bioschnitzel. Vegetarierin ist sie nicht mehr: Ihr Arzt hatte sie aus ernährungsphysiologischen Gründen zum Fleisch gedrängt. Die Arme kann es ja mit Ochsenfrosch versuchen, der ist weder Fisch noch Fleisch.

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