: Halbmond über Altona
Der Unterschied zwischen Herkunft und Heimat: türkische Filmemacher in Hamburg. Nach Fatih Akins Gangstermärchen „Kurz und schmerzlos“ kommt jetzt auch Yüksel Yavuz' Identitätsstudie „Aprilkinder“ ins Kino, und Ayse Polat hat gerade ihren Roadmovie „Die Auslandstournee“ an der Elbe abgedreht ■ Von Christian Buß
Neulich bin ich nachts mit dem Rad durch den Lessing-Tunnel gefahren. Das ist diese in Taubenkackegrün gehaltene Bahnunterführung, die Altona mit St. Pauli verbindet. Auf halben Weg kam mir eine Figur entgegengeschlurft, die wie Fatih Akin aussah. Das hat mich sehr gerührt. Weniger deshalb, weil mir dadurch die Tatsache bewußt geworden ist, daß dieser gefeierte Regisseur in derselben unwirtlichen Wirklichkeit wie meine Wenigkeit hausen muß. Vielmehr dämmerte es mir in der traurigen Beleuchtung des Tunnels, daß die so oft beschworene Filmstadt Hamburg tatsächlich existieren könnte. Die Filmindustriellen aus Wandsbek oder die Hochschuldozenten aus der Friedensallee singen es ja schon lange, das Loblied auf die Kino-Metropole, die Wirklichkeit indes konnte da nicht immer mithalten. Zwischen dem gewienerten Steigenberger und der extra-scharfen Verruchtheit des Kiez sucht man oft vergeblich nach einem adäquaten filmischen Abbild der Stadt.
Gut also, daß letztes Jahr einer wie Fatih Akin mit seinem ersten Langfilm auf der Bildfläche erschienen ist. Denn der Regisseur türkischer Herkunft, den man immer wieder durch seine Kulissen stapfen sehen kann, weil er in diesen Kulissen eben lebt, nutzt die urbane Materialität von Hamburg wie wenige zuvor. Was nicht heißt, daß er die Stadt eins zu eins abbildet. Mit Kurz und schmerzlos, der in Locarno mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet und auf anderen internationalen Festivals kontrovers debattiert wurde, verwandelt er Hamburg in einen Ort, der soviel oder sowenig mit der Wirklichkeit zu tun hat wie die Tracks des von ihm verehrten HipHop-Ensembles Wu-Tang Clan mit New York. Also sehr viel und herzlich wenig. Wie ein guter HipHop-Track läßt sich denn auch Kurz und schmerzlos multifunktional konsumieren. Das Werk um drei unterschiedliche Freunde ist eine Musketier-Variante, ein Initiations-Epos, ein Gangstermärchen. Und vor allem ist es ein Heimatfilm aus Hamburg-Altona.
Doch Fatih Akin ist nicht der einzige türkische Filmschaffende , der die Straßen Hamburgs in den Fokus gerückt hat. Nachdem sein Kurz und schmerzlos überaus erfolgreich in ganz Deutschland gelaufen ist, kommt demnächst auch Yüksel Yavuz' zeitgleich entstandene Identitätsstudie Aprilkinder auf die Leinwand, und Ayse Polat hat gerade die Dreharbeiten zu ihrem Roadmovie Die Auslandstournee beendet, der zum Teil ebenfalls an der Elbe spielt und inszeniert wurde. Machen wir keinen Fehler: Akin, Yavuz und Polat trennt mehr, als sie eint. Aber ihre Filme spielen vor dem Hintergrund Hamburgs die unterschiedlichen Bedeutungen der Begriffe „Herkunft“ und „Heimat“ durch – und zeigen, daß diese durchaus nicht miteinander identisch sein müssen.
Kaum sowas wie Heimat und schon gar nicht sowas wie Heimeligkeit scheinen die Siedlungen südlich der Elbe zu bieten. Hier hat Yüksel Yavuz ein Großteil seiner Aprilkinder in Szene gesetzt. Neugraben und Wilhelmsburg wurden zwar bewußt als Kulisse gewählt – denn wie Akin erzählt auch Yavuz hier einen Teil seiner eigenen Biographie –, werden aber ins Bild gerückt, als seien sie zufällig gewählt. Lakonisch wird die Kamera auf die Straße gerichtet, markante Bauten werden fast gänzlich ausgespart, selten gibt es Panoramen. Nur der Blick vom Elbanleger schweift in die Ferne und verrät, wo sich diese Geschichte zuträgt. Ansonsten ist der Süden Hamburgs in Aprilkinder ein Unort – und die Figuren Unbehauste. Sie taumeln zwischen Mutters Küche, Kebab-Bude und türkischem Bordell. Morgens aber muß Cem wieder in den Schlachthof, um Schweine zu zerlegen. Der Sohn eines kurdischen Migranten verliebt sich in eine deutsche Prostituierte, obwohl er einer anderen aus dem Heimatdorf seiner Eltern versprochen ist. Am Ende sehen wir Cem auf seiner Hochzeit, und in der letzten Seqenz gerät die Kamera mit dem Tanzenden in Bewegung – sie kreist um die eigene Achse, bis es einem schwindelig wird.
Ansonsten ist Yavuz' Aufnahme-Stil extrem zurückgenommen. Die Kamera steht meist als unbewegliche Beobachterin im Raum, nimmt gelegentlich distanzierte Oberperspektiven ein. Schonungslos wird so die Zerrissenheit der Migrantensöhne und –töchter der zweiten Generation ins Bild gesetzt.
In der Kargheit liegt die Stärke von Aprilkinder, der jetzt endlich einen Verleih gefunden hat und Ende Januar in die Hamburger Kinos kommt. Die Rollen wurden zum Teil mit Laien besetzt, und sie machen manchem Profi noch etwas vor. Von den hätte man sich zum Teil etwas mehr Understatement gewünscht: Hasan Ali Mete zum Beispiel, der seit 1997 auch den Quoten-Türken im märchengleichen Multikulti-Serial Lindenstraße mimt, dreht als trutschiger und drogendealender Puff-Onkel ein bißchen zu sehr auf; Inga Busch als so laszive wie verletzliche Prostituierte Kim hat eindeutig zu viele Filme mit der auf Femme fatales abonnierten Melanie Griffith geschaut. Das wird glücklicherweise durch das zurückhaltende Spiel vom schweinehälftenschlagenden Erdal Yildiz als Cem aufgefangen. Manchmal scheint er sowas wie Liebe oder Leidenschaft zu fühlen, aber meist lächelt er nur hilflos in eine Welt, die ihm durch und durch fremd bleibt.
Der unaufgeregte Tonfall sowie das gleichmäßige Tempo in Aprilkinder simuliert einen Dokumentarismus, und das ist der große Unterschied zu Kurz und schmerzlos, dessen enorm bewegliche Kamera nach den Regeln italo-amerikanischer Gangsterfilme der Siebziger funktioniert. Während sie Fatih Akin als Emotionalisierungsinstrument einsetzt und noch in den düstersten Momenten wie eine treue Begleiterin agieren läßt, tritt sie bei Yüksel Yavuz als ungerührte Chronistin auf.
Akin umarmt überschwenglich, seine Helden, sein Publikum, seine Kulissen: Alles meins, sagt sein Film – meine Gefühle, meine Freunde, meine Nachbarschaft, mein Zuhause. Und der türkische Halbmond leuchtet heimelig über Altona. Yavuz bleibt auf Distanz: Alles so fremd hier, sagt sein Film – die Menschen, die Häuser und das, was sich Familie nennt. Die beiden unterschiedlichen Werke berichten von zwei Möglichkeiten, als Migrantenkind in Hamburg aufgewachsen zu sein; von zwei Möglichkeiten, Hamburg zu sehen und zu fühlen.
Eine dritte kommt bei Ayse Polats Die Auslandstournee ins Spiel – ein Roadmovie, der an verschiedenen Orten spielt. Die Regisseurin macht keinen Hehl daraus, daß sie die Stadt deshalb als Drehort gewählt hat, weil von hier finanzielle Unterstützung gekommen ist. Denn wie Kurz und schmerzlos und Aprilkinder wurde auch Polats erster langer Spielfilm von der hiesigen Filmförderung bedacht, und wie das bei Subventionen dieser Art üblich ist, muß das Land Hamburg produktionstechnisch berücksichtigt werden (siehe auch Artikel rechts).
Im Gegensatz zu vielen anderen geförderten Arbeiten, die durch die Pflicht, unterschiedlichen Geldgebern an unterschiedlichen Orten gerecht zu werden, an Profil verlieren, bedeutet die Einbindung Hamburgs hier keinen Kompromiß, denn das Reisen ist im Thema immanent. Für Die Auslandstournee werden verschiedene Orte türkischer Kultur aufgesucht – und die liegen eben überall dort, wo Menschen türkischer Herkunft leben.
Ayse Polat verfährt pragmatisch, sie jagt nicht auf Teufel komm raus nach Authentizität. Straßenszenen, die in Paris spielen sollen, werden schon mal am Stephansplatz nachgestellt, und aus einem syrischen Restaurant in Eimsbüttel wird ein türkisches in Amsterdam. Hier nahm Ayse Polat Mitte Dezember noch die letzten Takes auf, und jetzt sitzt sie schon im Schnittraum im Filmhaus und führt erste Muster vor. Vieles bleibt nach der ersten Sichtung im unklaren, jedoch wird deutlich, daß sich in dieser Studie über innere und äußere Bewegung viel über das Aufeinanderprallen disparater Elemente ergibt, aus flirrenden Restaurantszenen und Momenten erdrückender Sprachlosigkeit zum Beispiel.
Auf dem Monitor im Schnittraum an der Friedensallee surren grobe Ausschnitte einer Geschichte, die sich über Dekaden und über Landesgrenzen erstreckt. Sie beginnt in den frühen Achtzigern, als sich der schwule türkische Schlagersänger Zeki, gespielt vom vielseitig einsetzbaren Hilmi Sözer (Zugvögel, Die Musterknaben), mit einer Künstlergruppe auf Tournee nach Deutschland begibt. Jahre später erfährt er vom Tod eines ehemaligen Kollegen und kehrt nach Deutschland zurück. Als er auf der Beerdigung erscheint, muß er sich um die elfjährige Tochter des Verstorbenen kümmern. Die Suche nach der Mutter führt das ungleiche Paar von Hamburg über Frankreich in die Türkei.
Die Situation ist Cineasten nicht unbekannt: Zur Zeit sind auch auf hiesigen Kino-Leinwänden in Central Station eine alte Frau und ein kleiner Junge auf den Straßen Brasiliens unterwegs, und als erster nutzte diese Personenkonstellation John Cassavetes in Gloria – was der Regisseurin durchaus bewußt ist. Ayse Polat knobelte die Geschichte über Jahre mit ihrem Bruder und Co-Drehbuchautor Basri aus; die Idee, die Storyline auf zwei Außenseiter und Heimatlose ganz unterschiedlichen Zuschnitts auszurichten, kristallierte sich erst sehr spät heraus.
Das Fremdsein im doppelten Sinne ist durch diese Reduzierung so ökonomisch wie effektvoll angelegt: Da ist Zeki, der schwule Schlagersänger, der für seine Kunstfertigkeit gefeiert wird, dessen sexuelle Identität aber nicht anerkannt wird, und da ist die Seyhan, die streng religiös aufgewachsen ist, die ihr Frauwerden jedoch in unheimeligen Hotelzimmern mit einem schwulen Schlagersänger teilen muß. Der Zuschauer legt mit den beiden ein beträchtlich Stück Weg zur Ichfindung zurück.
Ganz zum Schluß spult Ayse Polat noch Minuten von ungeschnittenem Film ab, auf dem die Kamera den beiden inzwischen gar nicht mehr traurigen Helden im davonbrausenden Taxi durch die Nacht folgt. Irgendwann, so zeigen die knatternden Bilder auf dem Monitor, biegt das Taxi ab und der Zuschauer fährt weiter. Ein schönes Ende für einen Film, der eher zufällig in Hamburg spielt und Heimat nicht über Herkunft deutet.
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