piwik no script img

„Skispringen heißt, Altes hinter sich zu lassen“

■ Für den Sportpsychologen Heinz-Georg Rupp (50) geht es beim Jahreswechsel um Entscheidungen

taz: Was macht das Neujahrsspringen so interessant? Sind die weiten Sätze der Springer Symbol für die guten Vorsätze?

Heinz-Georg Rupp: Diese Könige der Lüfte verkörpern zunächst symbolhaft den alten Traum vom Fliegen. Das fasziniert ungemein. Natürlich sind wir mit dem Jahreswechsel immer an einer symbolhaften Kreuzung angelangt, gesegnet mit Vorsätzen und besonders hochfliegenden Plänen. Und das möchte jeder so elegant und meisterhaft hinbekommen wie ein Skispringer.

Und dazu will man nach dem guten Rutsch einen kräftigen Absprung nehmen: am Schanzentisch wie vor dem Mittagstisch?

Da passen tatsächlich viele Methapern zusammen, auch der gute Rutsch. Aber Vorsätze wirklich in die Handlungsebene umzusetzen ist ja schwer genug. Ich muß aktiv sein, also mich kräftig abstoßen aus dem alten Trott, aus alten Gewohnheiten. Wie am Schanzentisch – da fällt die Entscheidung und die Scheidung vom Alten. Der Skispringer ist durchaus Symbol dafür, Altes hinter sich zu lassen.

Oben auf der Schanze sind eindeutig vorgegebene Spuren...

In denen kann man nicht bleiben. Da paßt das Sprichwort: Wer immer in die Fußstapfen eines anderen tritt, kann nie überholen, bleibt immer zurück. Im Absprungmoment muß sich eben was ändern. Die vorgegebene Spur ist nur Katalysator, da darf ich auch nicht neben der Spur laufen. Aber dann kommt die Kür. Jetzt kann ich selbstverantwortlich meine Möglichkeiten einbringen, auch das Wohlgefühl auskosten. Aus der Pflicht des Alltags rauskommen, jetzt deckelt mich kein Chef, Zwänge sind weg, jetzt bin ich ich, ganz bei mir selbst.

Ich bewundere die Skispringer, schaffe aber selbst die großen Sprünge nicht. Weckt das nicht Selbstzweifel?

Die Frage ist: Wie weit nehme ich die Skispringer als Stellvertreter und projiziere meine Wüsche nur auf solche Heroen. Da kann ich leicht kompensieren. Ich darf nicht zuviel von neuen Vorsätzen, Träumen und Freiheiten phantasieren, sonst nehme ich sie mir gleich wieder. Heldenidentifizierung reicht natürlich nicht. Ich muß aktiv werden.

Was geben wir dann als Tip, daß man nicht schon mit Filzpantoffeln und dem Eisbeutel auf dem Kopf an der Größe des Vorhabens scheitert?

Tausend Meilen beginnen immer mit dem ersten Schritt. Auch perfekte Skispringer beginnen mit einem einfachen Losrutschen oben auf der Schanze.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen