Die Unordnung des Falko Hennig

■ Berliner Zimmer, der letzte Teil. Falko Hennig stellt zum Abschluß seiner Besuchsreihe das eigene (Arbeits-)Zimmer vor

Ich müßte dringend mal aufräumen.

Ich bin Falko Hennig, das hier ist der letzte Teil meiner taz-Serie „Berliner Zimmer“. Ich hab' darum gebeten, daß das letzte Zimmer mein eigenes ist. Wenn ich schon bei so vielen in die Privatsphäre eingedrungen bin, dann ist es nur recht und billig, daß ich meins auch zeige. Am Anfang habe ich mich noch darauf eingelassen, wenn jemand fragte, ob er meinen Artikel vor der Veröffentlichung lesen darf. Würde ich heute nicht mehr machen. Denn gibt es was zu mäkeln, habe ich mir die Arbeit umsonst gemacht. Das sind mindestens zwei Tage.

Ich war schon immer unordentlich, aber das scheint zuzunehmen, statt weniger zu werden. Irgendwann werden mich irgendwelche umfallenden Bücherstapel erschlagen. Zum Teil leide ich aber auch an dieser Vermüllungskrankheit. Liest man doch immer wieder in der Zeitung, von Leuten, die gefunden werden, nachdem sie seit Jahren schon tot sind. In der Wohnung Tageszeitungen von mehreren Jahrzehnten, dazu alles voller Müll. Diese Leute können einfach nichts wegwerfen, jedenfalls nicht genug. Mein Opa hatte das schon, meine Oma hat es mir erzählt, daß er nichts Gedrucktes wegwerfen konnte. Bei mir kommen aber auch noch Fotos, merkwürdige Maschinen, Briefe und Kassetten dazu.

Manchmal sage ich es Leuten wie ein Geheimnis: „Ich sammel Dinge an, weil Dinge das einzige sind, was von einem übrigbleibt, wenn man tot ist.“ Aber den wirklichen Grund kenne ich nicht. Ich denke neidisch an all die Leute, die in einer riesigen Halle leben, nichts darin, als einen Edelstahlfreischwinger, einen schönen Fernseher und eine Designerlampe. Ich schaff' das nicht, egal wo ich bin, bald sind überall Stapel von Büchern, rausgerissene Zeitungsartikel und unnütze Maschinen.

Da oben liegt eine Bohrmaschine, mit der kann man aber nicht bohren. Den Elektromotor muß man anwerfen, von allein beginnt sich der gar nicht zu drehen. Dann surrt es ganz laut, man kann die Funken von den Kohlebürsten sehen. Aber er ist so schwach, daß er sofort stehenbleibt, wenn es einen Widerstand gibt. Dann steht dann noch eine alte Telefonanlage von der Humboldtuni rum. Vier oder fünf Schreibmaschinen bevölkern den Raum, schreiben tue ich aber nur mit der Rheinmetall. Die habe ich als Jugendlicher bei einem Einbruch erbeutet. Die Oliver ist aus dem Jahr 1914 olivgrün und war schon damals ein sehr seltenes Stück. Ein amerikanisches System.

Den Ventilator kann man auch als Heizung benutzen, ich hab ihn aber nur für die heißen Sommertage. Ich hatte mal einen ganz starken, der hatte so einen Metallpropeller, da bin ich mit der Jacke reingekommen. Der hat die Jacke ganz zerfetzt, wenn das mein Handgelenk gewesen wäre! Die Lampe oben mit den drei Glühbirnen habe ich in einer Garage in Wetzlar gefunden, vor einem Jahr zu einem Seminar der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften. Weil, das Charles-Bukowski-Archiv ist auch noch hier im Zimmer. Bücher, in allen möglichen Sprachen, Russisch, Japanisch, Bulgarisch, Slowenisch, in Europa gibt kaum eine Sprache, in der es Bukowski nicht gibt. Aber, daß das zusätzlich alles noch in meinem Zimmer ist, angefangen von den Kassetten, Kopien, Zeitungsartikeln und Manuskripten, das ist wirklich katastrophal. Müßte eigentlich in Kisten und Kartons gepackt werden und ab in den Keller, aber dann kann man ja nicht mehr damit arbeiten, und es ist viel Arbeit.

Wie überhaupt das Aufräumen, ich bin da so schlampig, wenn es erst mal so schlimm ist wie jetzt, dann dauert es ja nicht Stunden, sondern Tage oder Wochen. Ich kann ja leider nicht alles wegwerfen, die wichtigen Sachen verstecken sich ja immer darunter. Das Gründerzeitsofa, leider ganz vollgekramt, ist von meinem Onkel, das Bismarckbild von meinen Urgroßeltern. Der Schreibtisch, der runde Tisch, der Zigarrenschrank haben mir meine Eltern mal gekauft oder das Geld ausgelegt, und ich habe es dann abgestottert. Das sind Möbel aus einer Zeit, in der man noch nicht umzog, so groß und massiv und nicht auseinanderzuschrauben. Der Kassettenrekorder und das Radio funktionieren nicht, der tragbare Plattenspieler hat auch einen Wackler. Doch CD-Spieler und Verstärker gehen. Dann habe ich noch dieses Koffergrammophon, das kann man wahlweise aufziehen mit einer Kurbel oder elektrisch betreiben. Schellackplatten habe ich aber nur 20 oder so. Bei diesem freischwingenden Hochbett, hab' ich mich vom Bauhaus inspirieren lassen, das erzähle ich jedenfalls immer. Aber eigentlich ist es Unsinn, es ist einfach aus Material von Baudiebstählen zusammengezimmert, hält aber erstaunlicherweise. Auch zu zweit, und obwohl es keine Begrenzungen gibt, ist noch niemand runtergefallen.

Apropos nutzlose Maschinen, da gibt's noch eine Dampfmaschine. Die hat mein Opa, derselbe, der nichts Gedrucktes wegwerfen konnte, 45 oder 46 einem Flüchtlingskind abgekauft, für seine Söhne. Die geht mit Spiritus, schnauft und zischt und rattert, wenn sie erst mal läuft. Ist aber völlig sinnlos, ein Spielzeug. Man könnte einen Dynamo damit antreiben, der würde dann aber nur trübes Licht erzeugen.

Die Bücher habe ich nicht gezählt, aber es sind zu viele, einfach vom Platz her. Zahlenmäßig wird schon Bukowski der größte Batzen sein, gefolgt von Karl May, Stanislaw Lem, Erich Loest, Hans Fallada, Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, diese kleinen roten Bände, kriegt man auf Flohmärkten. Manche davon sind auch noch von meinem Uropa, Carl Hennig, manchmal hat er es auch Karl geschrieben. Von Hans Dominik habe ich auch 'ne Menge, auch Mark Twain und viel Indianerliteratur, die hat sich aus Karl May entwickelt.

Die 20 Bände Meyers Konversations Lexikon und Jules Verne, haben viel gemeinsam. Das Lexikon ist zwar alphabetisch, Jules Verne aber hat das Wissen an eine Handlung gebunden. Es ist doch so, bei Jules Verne rennt jemand vor den Räubern weg, stolpert über eine Liane, dann folgen zwei Seiten über die Liane als Pflanze in der Kulturgeschichte. Danach rennen sie weiter. Und im Lexikon schaut man dann einfach unter Liane nach. Sind auch aus derselben Zeit, das Lexikon ist von 1895 bis 1898. Ich müßte dringend mal aufräumen.