: Lieben bei kalter Heizung
■ Authentizität auf Abwegen: In Ken Loachs „My Name Is Joe“ endet die Resozialisation des trockenen Alkoholikers doch noch im Drama
Joe, so nennen wir einen trockenen Alkoholiker, dessen Leben seit der Zeit der Abstinenz auf soziale Teilhabe ausgerichtet ist, jener Politik der Inklusion, die Tony Blair der britischen Gesellschaft anempfohlen hat. Jeder kann dazugehören, und wer gestrauchelt ist, soll eine zweite Chance haben. Die Titelfigur in Ken Loachs Film „My name is Joe“ ist fest entschlossen, sie zu nutzen. Die Sitzungen der Anonymen Alkoholiker helfen, seinen labilen Gesundheitszustand zu stabilisieren, und mittels Betreuung einer heruntergekommenen Fußballmannschaft aus dem Glasgower Scherbenviertel G 15 leistet Joe einen sinnvollen Beitrag zur sozialen Integration. So sieht er am unteren Ende aus, der Wegebau zur Erneuerung der Sozialdemokratie, von dem Blair-Berater Anthony Giddens in seinem eben erschienenem Buch „Der dritte Weg“ spricht.
Der Arbeitslosigkeit kommt Joe (Peter Mullen) mit gelegentlicher Schwarzarbeit bei, und selbst als diese dem Arbeitsamt auffällig wird, kann Schlimmeres noch einmal abgewendet werden. Das Sozialdrama, dem Genre müssen wir den Film wohl zuschlagen, wird mit charmanter Leichtigkeit eröffnet. Von Ferne winkt die Katastrophe.
Joe trifft Sarah (Louise Goodall), und es entwickelt sich eine Liebesgeschichte jenseits postmoderner Farbgebung. Wenn Sex ins Spiel kommt, dann beginnen die Akteure zu frieren, weil die Wohnungen im Glasgower Winter schlecht zu beheizen sind. Wieviel Zärtlichkeit kann da sein, wo einer seine frühere Freundin in Suff und Jähzorn fast zu Tode geprügelt hat?
Nicht vom Elend der anderen absehen
Wie kein anderer hat sich der Regisseur Ken Loach (Für „Riff- Raff“ hat er 1991 den Felix für den besten europäischen Film bekommen) den ästhetischen Verlockungen des großen Kinomachens verweigert. Authentizität hat Loach immer mit grobem Spachtel aufgetragen. Die Pathosformel seiner Filme setzt sich zusammen aus politischem Bekenntnisdrang und dem Erzählen von Geschichten, die vielen längst unerträglich geworden sind. Vom Elend der anderen, so die Haltung von Loachs Dokudramen, ist nicht abzusehen. Daß das am Ende der 90er Jahre beinahe ungebrochen vonstatten geht und dennoch nicht scheitert, ist das kleine Ereignis dieses Films.
Sarah ist Sozialarbeiterin und betreut den Ex-Junkie Liam (David McKay) und dessen drogenabhängige Frau Sabine (Annemarie Kenedy). Liam spielt in Joes Team und hat Schulden bei den McGowans, der Dealer-Bande des Bezirks, der auch Joe einmal angehört hat. Die Aussicht auf Liebe und solide Teilhabe an der Gesellschaft sind gleich weit entfernt von asozialen Überlebensstrategien. Um Liam zu helfen, muß Joe noch einmal einen Kurierdienst für McGowan erledigen. Er steht vor der Wahl, den Freund seinem Unglück zu überlassen oder das kaum entfaltete Vertrauen einer zerbrechlichen Liebe zu hintergehen.
Am unteren Ende der Multioptionsgesellschaft sind die Wahlmöglichkeiten prekär. „I had no fuckin' choice“, sagt Joe in einer Auseinandersetzung mit Sarah, als die vermeidbare Katastrophe nicht mehr zu kontrollieren ist. Am Ende der filmischen Konstruktion des Authentischen stehen der Opfertod Liams als klassische Katharsis und die Aussicht, daß die poröse Zärtlichkeit zwischen Sarah und Joe vom Anfang des Films noch einmal neu geknüpft werden kann. Harry Nutt
„My Name Is Joe“. Regie: Ken Loach. Mit Peter Mullan, Louise Goodall u. a. GB 1998, 105 Min.
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