: Die Qual der Sozis mit der Urwahl
Die Berliner SPD-Mitglieder küren am 17. Januar ihren Kandidaten für die Wahl im Herbst. Spannend ist der Spurt zwischen Momper und Böger jedoch nicht ■ Von Dorothee Winden
Da haben sich die Berliner Sozialdemokraten etwas eingebrockt: Am 17. Januar wählen die 22.000 Parteimitglieder den SPD-Spitzenkandidaten, der die GenossInnen in die Abgeordnetenhauswahl im Herbst 1999 führen wird. Und nun tingeln die beiden Kandidaten, der frühere Regierende Bürgermeister Walter Momper und SPD-Fraktionschef Klaus Böger, durch die Kreisverbände, behelligen die GenossInnen mit Serienbriefen und Telefonanrufen, um möglichst viele Stimmen für sich zu gewinnen.
Der Sieger soll nach neun Jahren Großer Koalition den politischen Wechsel herbeiführen. Ein rot-grünes Reformbündnis favorisieren beide Kandidaten. Doch muß sich die Berliner SPD noch mächtig nach der Decke strecken: Bei der Abgeordnetenhauswahl 1995 erhielt die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer und 23,6 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis. Den Schwung der siegreichen Bundestagswahl konnten die Genossen bis dato nicht nutzen. Und die Urwahl wirkt regelrecht als Bremsklotz.
Ohnehin präsentiert sich die Berliner SPD nicht in bester Verfassung, neun Jahre in der Großen Koalition fordern ihren Tribut. Es mangelt der Partei an politischem Profil, ihre Erfolge lassen sich schlecht verkaufen. Welcher Wähler ist schon mit einer Verwaltungsreform oder der Privatisierung landeseigener Betriebe wie den Elektrizitätswerken zu begeistern.
Die Berliner haben die Große Koalition gründlich satt. Bei einer Forsa-Umfrage erklärten kürzlich 71 Prozent der Befragten, daß sie 1999 einen Regierungswechsel erwarten. Nur noch 14 Prozent der Befragten möchten einen CDU- geführten Senat. Anders als im Bundestagswahlkampf kann die SPD jedoch nicht aus der Opposition heraus den Wechsel propagieren. In Berlin muß sie ihre Erfolge in der Großen Koalition darstellen und zugleich erklären, was sie in einer neuen Koalition anders machen will – ein schwieriger Spagat.
Ein weiteres Handicap: Einen geborenen Spitzenkandidaten hat die Partei nicht aufzubieten. Um den Posten kämpfen Walter Momper (53), der ehemalige Regierende Bürgermeister der rot-grünen Koalition 1989/90, und Klaus Böger (53), der erfolgreiche, aber wenig charismatische Fraktionschef. Für Momper ist es die letzte Chance eines politischen Comebacks. Böger, der sich in den letzten vier Jahren zur Führungsfigur der Berliner SPD entwickelt hat, hat vor allem mit mangelndem Charisma zu kämpfen.
Würde die Entscheidung auf einem SPD-Parteitag fallen, machte Böger klar das Rennen. So ist es ihm in den letzten Wochen gelungen, einen Großteil der Spitzenfunktionäre hinter sich zu scharen. Zu seinen Unterstützern zählen SPD-SenatorInnen, die früheren Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz und Dietrich Stobbe sowie der frühere Ostberliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina. Und Böger, der dem rechten Flügel angehört, wird auch von zahlreichen Linken der Partei unterstützt. Sie haben Bögers kooperativen Führungsstil in den letzten Jahren schätzengelernt und erwarten, daß mit ihm eher ein breiter innerparteilicher Konsens möglich ist.
Doch Urwahlen sind unberechenbar. Bei der Parteibasis kommt Mompers hemdsärmelige, direkte Art gut an. Mit den Funktionären jedoch hat Momper es sich als Regierender Bürgermeister und damaliger Parteichef verscherzt. Sie tragen ihm seinen konfrontativen und teilweise autoritären Stil heute noch nach.
Beide Kandidaten haben versprochen, jeweils den Verlierer der Urwahl in den Wahlkampf einbeziehen. „Ich werde nicht in die Spree springen, falls ich verliere“, sagte Böger kürzlich. Falls Momper gewinnt, bliebe Böger voraussichtlich Fraktionschef. Momper dazu: „Für mich wäre Klaus Böger dann die Nummer zwei der SPD.“
Doch trotz dieser guten Vorsätze befürchten viele Genossen, daß die Anhänger des Unterlegenen dann ohne großen Enthusiasmus in den Wahlkampf ziehen. Das erwies sich schon nach der letzten Urwahl 1995 als Schwachstelle. Da hatte sich die damalige Sozialsenatorin Ingrid Stahmer gegen den Unternehmer Walter Momper durchgesetzt. Doch die recht hohe Mobilisierung der Mitglieder, die der parteiinterne Vorwahlkampf gebracht hatte, fiel nach der Urwahl in sich zusammen.
Auch aus anderen Gründen ist die Urwahl parteiintern nicht unumstritten: Der Kräfteverschleiß ist enorm. Beide Kandidaten müssen unzählige Diskussionsrunden hinter sich bringen. Beide unterhalten Wahlkampfbüros, die sie mit Spenden finanzieren. Und die Partei gibt für die Urwahl Geld aus, das manche lieber in den wirklichen Wahlkampf stecken würden.
Unterdessen hält sich das Interesse der Mitgliedschaft in Grenzen. Ein Kreisvorsitzender spricht gar von „Teilnahmslosigkeit“. Das mag daran liegen, daß die beiden Kandidaten sich in ihren politischen Positionen kaum unterscheiden. Zum Schlagabtausch kommt es selten bei den Diskussionen. Momper und Böger gehen dermaßen fair miteinander um, daß manche Mitglieder ihnen schon mangelnden Kampfgeist vorwerfen.
Nur hinter den Kulissen wetzen die Getreuen die Messer. Um die Frage, ob für eine Telefonaktion und den Versand von Briefen die SPD-Mitgliederdaten verwendet werden dürfen, entspann sich ein kleinliches Tauziehen. Der geschäftsführende Landesvorstand, in dem die Böger-Anhänger dominieren, wollte wegen Datenschutz die Listen nicht herausrücken und kam in den Geruch der Parteinahme. Der Landesausschuß fand jedoch einen Kompromiß: Die Briefe werden im Auftrag der Partei von einer Firma versandt, und für die Telefonaktion werden in der Parteizentrale zwei Räume hergerichtet. „Die behandeln die Kandidaten, als seien sie Heizdeckenvertreter“, sagt entnervt Mompers Pressesprecher Thomas Lenz.
Das Momper-Team, das angesichts der prominenten Unterstützer für Böger doch etwas nervös geworden ist, setzt voll auf die Telefonaktion. „Jetzt kommt unsere starke Phase“, meint Lenz.
Während die SPD noch viel Kraft in die Kür ihres Spitzenkandidaten steckt, ist bei der CDU längst der Startschuß für den Wahlkampf ertönt. „Diepgen rennt für Berlin“ plakatiert die Partei großräumig.
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