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Stadt der Schleuser

■ Immer nur schleppen: Berlins Konjunktur als Ort der Flucht- und anderer Wegehilfen

„So viel Know-how gibt es sonst nirgends“, beruhigte uns der Kreuzberger Arbeiterpriester Christian auf der Konferenz zum Thema „Fluchthilfe“. Es gibt sogar ein Schlepperbanden- Museum am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie, seit 1994 geschmückt mit der „letzten Kreml-Fahne“.

Vom Kreml aus wurden einst Millionen Menschen nach Sibirien verschleppt. Im Museum, unter deutsch-ukrainischer Leitung, würde man höchstens in die andere Richtung „schleusen“. In West-Berlin konnte man seinerzeit „Fluchthilfe“ von der Steuer absetzen, und besonders engagierte „Fluchthelfer“ bekamen staatliche Auszeichnungen. Der berühmteste Fluchthelfer der Stadt war ohne Zweifel der Klavierstimmer Oskar Huth. Viele Juden und Politische verdanken ihm ihr Leben, erwähnt sei der spätere Rias-Intendant Hammerstein. Oskar Huth richtete sich 1940 eine Fälscherwerkstatt ein, in der er Lebensmittelkarten und Ausweise druckte. Nach 1945 wollte man den „Antinazi- Activist“ zum Kultursenator machen, aber Oskar Huth zog es vor, weiter „geistige Fluchthilfe“ von unten zu leisten. Es gibt zwei Bücher, die ihn in seiner letzten Stammkneipe „Zwiebelfisch“ zeigen.

Nach dem Mauerbau 1961 flüchtete der Sohn eines Spanienkämpfers und einer KPD- Kurierin, Peter Rambauseck, mit einem gefälschten amerikanischen Paß über den Checkpoint Charlie nach West-Berlin. Bald half er beim „Tunnelbau“, um weiteren Ostlern die Flucht zu ermöglichen. Einige Tunnelbauer empfingen die Flüchtlinge mit einer Mao-Bibel, womit sie sagen wollten, daß es außer dem Gulag-Kommunismus noch einen anderen, besseren gäbe. Diese idealistischen Schlepperbanden wurden im antikommunistischen Bollwerk West-Berlin schnell durch professionelle verdrängt, die von CDU und Polizei unterstützt wurden. Als besonders draufgängerisch galt der spätere Astronaut Reinhard Furrer. Bei seinem letzten großen Fluchtunternehmen „Tunnel 57“ wurde 1964 der Grenzsoldat Egon Schultz erschossen. Die DDR errichtete anschließend bei Neu-Zittau eine Übungsanlage zur Abwehr künftiger Schlepperbanden, dazu bauten sie die Bernauerstraße und den Tunnel 57 im Maßstab 1:1 nach.

Derzeit bemühen sich gleich vier Recherchebüros, Licht in einen anderen Tunnelbau zu tragen: 1977 hatte Felix Laue in der Quick eine Geschichte über eine CDU-Schlepperbande veröffentlicht, die Fluchthilfe und Bordellbetrieb verband. Sein Informant war angeblich der Bordellier Otto Schwanz, der später in der Bestechungsaffäre Antes und jetzt gerade wegen falscher Dollarnoten verurteilt wurde. Laut Spiegel vom 3.3. 1986 mußten die Ostlerinnen ihre „Fluchtkosten“ in einem Bordell abarbeiten. Bevor Laue einen zweiten Text darüber veröffentlichen konnte, beauftragte ihn die Partei, das Wahlkampf-Info „CDU-Extra“ zu gestalten. Als nächstes betätigte sich wieder die Westberliner Linke als Schleuser: Im Rahmen ihrer Vietnamsolidarität half der SDS kriegsunwilligen GIs, insbesondere unter dem US-Militärrassismus leidende Schwarze, nach Schweden zu entkommen. Das Unternehmen hatte eine eigene Zeitung namens Forward!.

Nach 1968 entstand im Republikanischen Club eine ähnliche Fluchthilfe für Bundeswehrdeserteure ins demilitarisierte West-Berlin. Die Christdemokraten konzentrierten sich derweil auf die „stille Hilfe“ mittels Aufenthaltsgenehmigungen, erst für „Jubelperser“, dann für nationalchinesische Unternehmer. In den 80er Jahren entstand auf breiter linker Basis die „Fluchtburg“, mit der man von Abschiebung nach Beirut bedrohten Palästinensern half. Eine Gruppe um Pastor Quandt blockierte den Abschiebeflughafen Tegel. Seitdem bildete sich ein regelrechtes Netzwerk von Fluchthilfswilligen heraus, eine informelle Gesamtberliner Schlepperbande auf moralischer Basis. Auch wenn nun das „Geschäft“ nicht mehr unbedingt außen vor – bei den Christdemokraten – bleibt. D. h. für die Papiermagie, über Scheinehen, GmbH-Gründungen bis zu Beschäftigungsgarantien müssen die „Wirtschaftsflüchtlinge“ in Berlin durchaus „Gegenleistungen“ erbringen. Wie ja überhaupt das ganze linke (Subventions-)„Milieu“ sich langsam ökonomisch auf eigene Beine stellt. Fast alle Ost-West- Geschäfte verdanken sich mindestens einer „Fluchtbeihilfe“. Und wenn etwa ein Unternehmen hier einer Petersburgerin einen Managerkurs einrichtet und der Geschäftsführer dafür auf Beischlaf besteht, dann artet auch diese Schlepperaktion in Prostitution aus.

Dennoch ist das Netz so stabil, daß jetzt die Staatsschutzorgane an Oder und Neiße sogar die unwissentliche „Fluchthilfe“ von Taxifahrern in Zittau mit Gefängnis ahnden. Dafür wird der 1994er Paragraph 92a des Ausländergesetzes strapaziert, der jede bezahlte Einreise-Hilfeleistung unter Strafe stellt. Um zu demonstrieren, daß die Taxifahrer in den Grenzstädten seitdem keine ausländisch aussehenden Bürger mehr befördern, auch wenn ein Notfall vorliegt, macht der aus Indien stammende Berliner Historiker Biblab Basu dort regelmäßig – im Auftrag von TV-Kamerateams aus aller Welt – den „Ausländertest“.

In Berlin kooperieren schon die ersten Standesbeamten beim Verdacht auf Scheinehe mit der Polizei. Desungeachtet ist bereits jede vierte Kreuzberger Ehe deutsch-ausländisch. Dem versucht der Staat mit einem immer tiefer gehenden „Denunziationszwang“ entgegenzuwirken. Helmut Höge

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