: Auch Mielke braucht keine Amnestie
Friedrich Schorlemmers Vorschlag, eine Teilamnestie für DDR-Unrecht zu verabschieden, stößt auch bei der Justiz auf Ablehnung. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Höppner bringt „Abschlußgesetz“ ins Spiel ■ Aus Bonn Wolfgang Gast
Friedrich Schorlemmer, Bürgerrechtler aus der DDR und Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, hat mit seinem Vorschlag, zum 9. Oktober 1999 eine Teilamnestie für DDR-Unrecht zu verabschieden, nicht nur die Politiker aller Parteien mit Ausnahme der PDS aufgebracht. Auch die Justiz lehnt solche Pläne ab.
Der Berliner Generalstaatsanwalt für die Verfolgung der Regierungs- und Vereinigungskriminalität, Christoph Schaefgen, hält ein Amnestiegesetz für „wenig praktikabel“. Mit Stand vom Dezember 1998 habe seine Staatsanwaltschaft noch ganze 476 Verfahren zu erledigen gehabt – und werde sich ohnehin Ende September in Ermangelung weiterer Aufgaben auflösen. Für eine Amnestie, so Schaefgen, bleibe „im Grunde nichts mehr übrig“.
Seit ihrem Bestehen hat Schaefgens „Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität“ (ZERV) insgesamt rund 21.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet, etwa 16.000 davon im Bereich der Regierungskriminalität: gegen Mitglieder des Politbüros, Mauerschützen und Dopingfälle im DDR-Leistungssport.
Angesichts solcher Größenordnungen sind die weiteren Zahlen ernüchternd. Für 877 Verdächtige führten die Ermittlungen auch zur Anklage. Rechtskräftig verurteilt wurden nur 211 Beschuldigte, mehrheitlich zu Bewährungsstrafen. Lediglich 22 Angeklagte erhielten Freiheitsstrafen ohne Bewährung.
„Utopisch-idealistisch“ nennt Schaefgen weiter Schorlemmers Auffassung, daß die früheren Funktionäre über ihre Tätigkeit umfassend berichten würden, wenn es nur eine Amnestie gäbe. So hätten die Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes der DDR, der HVA, trotz einer Straffreistellung „gleichwohl wenig zur Aufhellung des Systems beigetragen“.
Auch für den früheren Chef der Stasi, Erich Mielke, ist die Frage einer Amnestie ohne jeden weiteren Belang. Der einstige Armeegeneral soll für seine Untersuchungshaft im Jahr 1991 sogar eine Haftentschädigung in Höhe von etwa 2.000 DM erhalten. Eine entsprechende Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom Dezember wurde erst jetzt bekanntgegeben. Mielke saß unter dem Verdacht des Totschlags an Mauerflüchtlingen mehr als drei Monate in Untersuchungshaft ein. Das Verfahren wurde wegen seiner angegriffenen Gesundheit später eingestellt.
Keine Amnestie, aber ein Abschlußgesetz über den Umgang mit DDR-Unrecht hat unterdessen Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) vorgeschlagen. Es sollte noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Ein solches Gesetz solle die Verjährung von Straftaten regeln, die zu DDR-Zeiten begangen wurden, als auch den Umgang mit Stasi-Belastungen, schrieb Höppner in einem Beitrag für die Berliner Zeitung. Es gehe ihm nicht um einen Schlußstrich, sondern um die Integration von DDR-Bürgern, die politische Verantwortung und Schuld auf sich geladen hätten. Das Zusammenwachsen in Deutschland könne nicht gelingen, „wenn ganze Gruppen ,gelernter DDR-Bürger‘ auf längere Zeit oder gar dauerhaft benachteiligt oder mit einem Stigma versehen“ würden.
Höppners Vorstellungen gehen weit über die Frage einer strafrechtlichen Verfolgung hinaus: „Wie lange wollen wir noch bei Einstellungen im öffentlichen Dienst, beim Vorschlag für Auszeichnungen, bei der Übernahme von Mandaten die Gauck-Behörde befragen?“ Der SPD-Politiker distanziert sich aber gleichzeitig von Forderungen der PDS nach einer Amnestie oder Rehabilitation. Das erwecke den falschen Eindruck, als seien Menschen nach der Wende zu Unrecht für Straftaten verurteilt worden.
Eine Amnestie, wie sie Friedrich Schorlemmer vorschlägt, wurde zuletzt im Mai 1970 im Zusammenhang mit der Studentenbewegung von 1968 vom Bundestag erlassen. Das damalige „Gesetz über Straffreiheit“ regelte: Bei „Straftaten, die in der Zeit vom 1. Januar 1965 bis zum 31. Dezember 1969 durch Demonstrationen oder im Zusammenhang hiermit begangen worden sind ... wird Straffreiheit gewährt. Die Straffreiheit erfaßt rechtskräftig verhängte Strafen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind, sowie zu erwartende Strafen.“ Außer „wenn eine Freiheitsstrafe neun Monate übersteigt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen