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Mädchenträume und Desillusionierungen

■ Bundesrepublikanische Aufbauphantasien: Hella Eckert erzählt vom Zerfall einer Familie

Sie sagt, es habe in Ostafrika begonnen, als sie ein Jahr in Nairobi lebte. Das war Anfang der achtziger Jahre, und sie war so frei, mit dem Schreiben zu beginnen. Um sie herum fremde Gerüche, Geräusche und die fremde Sprache. Hella Eckert saß tagelang und sondierte ihr Erinnerungs- und Phantasieterrain. Zehn Jahre später debütierte sie mit „Big John“ – der Geschichte eines elfjährigen Mädchens aus den fünfziger Jahren, das mit einem älteren Mann ein kokettes, nymphenhaftes Spiel beginnt.

Als Heldin ihres zweiten Romans schickt sie nun Rita, die etwas ältere Schwester ihres Debut- Mädchens ins Rennen. Die Republik ist in den sechziger Jahren angekommen, Rita ist sechzehn und beobachtet den allmählichen Tod der Liebe ihrer Eltern. Sie tut das unaufgeregt und als gehörten solche Desillusionierungen zu ihrer täglichen Erfahrung – eine Atmosphäre, die Hella Eckert vom ersten Satz an erzeugt und konsequent durchhält. Sie ist eine Meisterin des Weglassens, knüpft mit wiederkehrenden Schlüsselwörtern einen atmosphärischen Teppich und könnte in der Tradition von Erzählerinnen à la Marguerite Duras aus dem romanischen Sprachraum stehen.

Um so erstaunlicher, wen sie als Vorbilder nennt: Hemingway, Joseph Conrad, Graham Greene, Steinbeck und Tennessee Williams habe sie verschlungen, sagt sie. Ähnlich wie Conrad bleibt Hella Eckert konsequent bei einer zentralen, atmosphärisch dichten Geschichte, schreibt kein Wort zuviel und verliert sich nicht in Nebengeschichten. An den Rändern ihres Erzählens sammeln sich die Nebengeschichten, aus denen sich leicht eine ganze Reihe von Romanen destillieren ließe. Etwa wenn der Vater die Familie in Richtung Marseille verläßt, Mutter und Tochter über Monate hinweg nicht wissen, wo er ist, und sie im geliehenen Auto aufbrechen – bis zur nächsten Raststätte. Was ein kleines Road Movie hätte werden können, ist die atmosphärische Etude eines abgebrochenen Aufbruchs.

„Je drängender ich etwas erzählen möchte, um so weniger kann ich es sagen“, sagt Hella Eckert, und daß sie beim Schreiben sehr viel verschweigen müsse, um die großen Steine, um die es ihr gehe, in einem langen Prozeß zu zerkleinern. Für „Hanomag“ bedeutet das, ein heute wieder in der Luft flirrendes „Alles oder Nichts“, eine verzweifelte Existenzgründer-Mentalität dem Roman wie beiläufig mitzugeben.

Der Vater des Mädchens will nach oben – oder auch nur weg. Also verlagert sich das Leben der Familie aus der Provinz in eine norddeutsche Hafenstadt. Dort geht es um vermeintlich viel Geld im aufkommenden Containergeschäft. Um allerdings an Kredite und die Konzession zu kommen, müßte der Vater nicht nur seinen Hanomag steuern und für die Tochter zum Abenteuer- und Sehnsuchtsraum machen können. Er müßte diplomatischer und strategischer sein, dürfte nicht wie der junge Jean Gabin wirken. Mit einem Schimmer im Blick, als sei er nie wirklich da, wo er sich gerade aufhält.

All das sagt Hella Eckert nicht direkt, sondern läßt es in Schwingungen entstehen. Dazu gehört auch, daß der Bindungsmagnetismus in der Familie langsam schwächer wird und ihr zweiter Roman weit davon entfernt ist, zu einer langweiligen bundesrepublikanischen Erfolgsstory zu werden. Zwischen Mutter, Vater und Tochter entspinnt sich ein Geflecht von Hoffnungen und Fehlkalkulationen, Aufbauphantasien und Mädchenträumen. Und je länger der Vater weg ist, desto mehr verändert sich die Atmosphäre zwischen Mutter und Tochter. Streckt die Mutter endlich die Fühler nach anderen Männern aus, wird aus dem Mädchen ihre ältere Schwester. Das alles geschieht, als müßte es genau so geschehen. Ohne Erklärung, ohne psychologisches Netz und unausweichlich. Jürgen Berger

Hella Eckert: „Hanomag“. Roman. Luchterhand Verlag, München 1998, 190 Seiten, 29,80DM

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