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Meine StraßeHier haut die Dampframme

■ Vom lumpenproletarischen Charme am Rande des Geschehens

Wenn mich jemand nach meiner Adresse fragt, muß ich buchstabieren: K-R-O-Doppel-S-E- N-E-R, Krossener Straße, benannt nach Krosno, einer Stadt in Südostpolen. Die meisten Menschen wissen nicht, wo die Krossener Straße liegt. Dabei verläuft sie in unmittelbarer Nachbarschaft zur neuen Friedrichshainer Szene, von der zur Zeit allenthalben die Rede ist. Der Tagesspiegel etwa brachte vorauseilend einen Abgesang: Statt Hipness und cultural clubbing wie einst in Mitte gebe es nur Echtholz, Kerzen und Gemütlichkeit.

Was nicht ganz falsch ist. Die taz berichtete unterdessen über die gerade hier florierenden Wohnzimmerbars. Tatsächlich gab es dort, wo die Krossener Straße auf die Simon-Dach- Straße stößt, vor etwa einem Jahr eine Filiale von Karel Dubas Wohnzimmerimperium. Später zog sie weiter, erst in die Wühlischstraße, dann auf die andere Seite der Warschauer: So verliert man sich aus den Augen.

Es ist gar nicht so leicht, etwas über die Krossener Straße zu sagen, ohne über die unmittelbar angrenzenden Straßenzüge mitzuberichten. Vielleicht ist das ganz normal. Denn sowenig sich eine Straße in Berlin mit einem Possessivpronomen versehen läßt, wie der Kollege Kuhlbrodt an dieser Stelle treffend bemerkte, so wenig läßt sie sich aus ihrer Umgebung herausschneiden. Und die Krossener schon gar nicht, weil sie auf rätselhafte Weise immer am Rande des Geschehens liegt. Vom Friedrichshainer Kneipenboom wird sie nur gestreift, die Überreste der Hausbesetzerszene liegen mindestens zwei Blöcke weiter, der Puff ist in der Gabriel-Max- Straße gleich hinter der Kreuzung. Nur der Boxhagener Platz mit Kinderspielplatz, Pissoir, Wochenmarkt, Rasenfläche und bald freundlichen, bald verstimmten Alkoholikern liegt direkt an der Krossener Straße – und nicht, wie man erwarten könnte, an der Boxhagener Straße. Es ist meines Wissens der einzige Platz in Berlin, auf dem Mülltonnen ausschließlich für Bierdosen aufgestellt werden: eine sehr nutzergerechte Form der Wertstoffsammlung.

Nicht ganz so wohlmeinend mit denen, die an der Wende nicht gewonnen haben, war die Maklerin, die mir meine Wohnung vermittelte. Sie sparte nicht mit Seitenhieben auf die älteren, alleinstehenden, oft alkoholisierten Nachbarn, die man zum Auszug bewegen wolle. Bisher haben die Verdrängungsabsichten nicht gefruchtet. Die Gegend bewahrt ihren lumpenproletarischen Charme, obwohl eine Milieuschutzverordnung zugunsten der sozial Schwachen nicht in Kraft trat und allenthalben Dachgeschosse ausgebaut werden.

Als ich vor gut drei Jahren herzog, gab es wenige Anzeichen für bevorstehende Gentrifizierung. Dunkelgraue Altbauten harrten still ihrer Pastellisierung. Reste der Hausbesetzerszene zerstreuten sich in den umliegenden Straßen, einmal brannte eine Tram, eine Zeitlang wurde der Boxhagener Platz als gefährliches Gebiet geführt. Als im Früsommer 1997 die ersten Innenstadtaktionstage anstanden, konnte man das Haus nicht verlassen, ohne Polizisten zu begegnen. Das hatte etwas Bedrohliches. Noch bedrohlicher waren und sind die Bauarbeiter. Ihretwegen ist die Gegend dauerhaft mit einem feinen Baustaubfilm überzogen. Immer wieder kommt es vor, daß ein Haus umgerüstet und hinter Planen versteckt wird. Derzeit trifft es das Eckhaus zur Simon-Dach- Straße, in dessen Erdgeschoß die mit stilgerechtem Apostroph versehene Kneipe „Paules's Metal Eck“ logiert. Über den Lärm ist damit noch nichts gesagt; immer wieder heult die Motorsäge und wummert der Vorschlaghammer. „Rumm rumm haut die Dampframme“, schrieb Döblin vor 60 Jahren über den Alexanderplatz. An Friedrichshain in den späten 90ern hätte er seine helle Freude gehabt.

Trotz des Lärms mag ich die Krossener Straße. Zum Beispiel weil in dem Wahllokal, in dem ihre Bewohner wählen gingen, nur 8,6 Prozent der Stimmen auf die CDU entfielen. Oder wegen Familie Dursun, in deren „Kietzladen“ es jede Menge freundlicher Wünsche für den Feierabend, das Wochenende oder den Sonntag gibt, was mich gestärkt durchs Leben gehen läßt. Cristina Nord

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