Joschka, sag nein!

■ Bomben auf Bagdad (4): Europa darf sich nicht zum Erfüllungsgehilfen der US-amerikanischen Desperadopolitik machen

Regieren kann weh tun. Wie sehr bestimmte Entscheidungen auch in Sympathisantenkreisen aufs Gemüt schlagen, zeigt die Dosierung der Schmerzmittel. Die Unterwerfung unter eine völkerrechtswidrige Aktion der Supermacht USA sei eben nicht nur ein Zeichen für weiche Knie, sondern, bei genauer Betrachtung, vielleicht doch ein möglicher Schritt in die richtige Richtung, ein Baustein auf dem Weg zur Weltföderation, gab Sibylle Tönnies kürzlich in der taz zu bedenken. Das ist schon eine starke Dröhnung intellektuellen Valiums.

Tönnies, die sich seit Jahren damit beschäftigt, wie die Welt zur Achtung der universellen Menschenrechte gebracht werden kann, ohne daß der Westen einen aggressiven Interventionismus im Namen dieser Menschenrechte pflegt, hat offenbar resigniert. Für sie ist die Zustimmung der Grünen, namentlich die von Fischer gemurmelte Schuldzuweisung für das Bombardement auf Bagdad an die alleinige Adresse Saddam Husseins, eine Entscheidung nach dem Motto „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“. Wenn die UNO eben nicht in der Lage ist, eine internationale Konfliktregelung durchzusetzen, ist es besser, die USA tun es nach eigenem Gusto, als wenn es gar nicht geschieht. Besser das Gesetz des Stärkeren als gar kein Gesetz. Auch das sei schließlich eine Form der Weltinnenpolitik.

Falsche Entscheidungen werden nicht dadurch richtiger, daß man sie im nachhinein ideologisch überhöht. Was immer Clinton letztlich bewogen hat, den Angriffsbefehl zu geben, der Wunsch, den Menschenrechten weltweit mehr Gewicht zu verschaffen, war es sicher nicht. Dafür waren die vorhersehbaren Ergebnisse des Angriffs zu deutlich, dafür waren die in Kauf genommenen Verletzungen der Menschenrechte zu gravierend.

Es ist bezeichnend, daß die konzeptionelle Fraktion im U.S. State Department vor der Aktion überstimmt wurde und sich die Gruppe um den Sicherheitsberater Samuel Berger, der ganz unmittelbar mit dem komplizierten persönlichen Interessengeflecht Clintons verwoben ist, durchgesetzt hat. Madeleine Albright fürchtet nun zu Recht, daß die Bomben auf Bagdad die Durchsetzung ihrer Vorstellungen für einen Umbau der Nato in diesem Frühjahr eher erschweren, als daß sie ihrer langfristigen Strategie dienlich wären.

In der Frage der längerfristigen Strategie liegt denn auch die eigentliche Brisanz der Überlegung vom angeblichen Nutzen der Unterwerfung. Es gibt sicher gewichtige Gründe für das Verhalten Fischers. Der naheliegendste ist, daß Fischers Ablehnung des Angriffs die Aggression nicht verhindert, die Beziehungen zu den USA aber gestreßt hätte. Taktisch ist es sicher richtig, Konflikte erst dann zu wagen, wenn sie auch zu praktischen Ergebnissen führen können. Das ist zwar moralisch schmerzlich, unter kurzfristigen Opportunitätserwägungen vielleicht aber nicht zu vermeiden.

Wirklich fatal wäre es, wenn nun versucht würde, aus der Not eine Tugend zu machen. Eine Auseinandersetzung mit den USA um eine langfristige politische Strategie des Westens erst gar nicht zu führen, um die USA als „Kern einer zukünftigen Weltföderation“ nicht zu schwächen, wäre das absolute Armutszeugnis einer deutschen und europäischen Außenpolitik. Man muß nicht zur Rechtfertigung einer falschen Entscheidung gleich seinen gesamten politischen Kredit hinterherwerfen und den Kotau zur wünschenswerten Dauerhaltung verklären.

Es ist auch keine abstrakte Völkerrechtsfrage oder eine Frage des politischen Geschmacks, ob man auf dem Weg zu einer Weltfriedensordnung lieber die UNO oder die Supermacht USA hat. Die Kritik an der Unfähigkeit der UNO verdeckt ja nur, daß auch die USA längst nicht dazu in der Lage sind, ihre neue Weltordnung durchzusetzen. Gerade der Irak und der Nahe Osten beweisen beispielhaft das Versagen der US-Außenpolitik. Das gilt auch für die Politik gegenüber Rußland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Und auch auf dem Balkan erscheinen die USA ja nur deshalb als stark, weil sich Europa so überaus schwach präsentiert.

Nüchtern betrachtet, ist Dayton alles andere als eine befriedigende Lösung. Man muß nicht gleich von der neuen Weltmacht Europa reden, nur weil an diesem 1. Januar der Euro gut gestartet ist. Doch langfristig ist die Europäische Union ganz sicher eine vielversprechendere Vision als die Pax Americana. Noch ist Europa politisch nicht handlungsfähig, noch behindern nationalstaatliche Interessen eine gemeinsame Haltung. Doch wenn die Union es schafft, durch Feilschen, faule Kompromisse und nächtelange Rangeleien in Brüssel zu einem neuen, erfolgreichen supranationalen Modell zu werden, sieht der amerikanische Nationalismus dagegen alt aus.

Europa muß deshalb alles dafür tun, sich nicht langfristig von den USA die Methoden der Außenpolitik diktieren zu lassen. Genau dies soll aber auf dem Nato-Gipfel in diesem Frühjahr geschehen. Die USA wollen eine weltweite Interventionsstrategie ohne UN-Ermächtigung festschreiben und die Nato damit zukünftig zum Instrument von Lösungen à la Bagdad machen. An diesem Punkt wäre eine europäische Außenpolitik gefragt. Weil sie dann noch nicht existieren wird, ist die deutsche Außenpolitik gefordert.

Vielleicht mußte sich die Bundesregierung in der konkreten Frage einer Nato-Intervention im Kosovo für die Intervention auch ohne UN-Mandat entscheiden. In der Irak-Frage konnte sie ihre verbalen Solidaritätsadressen an die USA abgeben, ohne damit strategische Optionen zu verbauen. Doch nun, in der Frage der Nato- Strategie, ist Joschka Fischer wirklich gefordert. Die weltweite Nato- Intervention ohne UN-Mandat widerspräche nicht nur allen Vorstellungen, die die Grünen bislang geprägt haben. Sie würde auch die beiden entscheidenden rot-grünen außenpolitischen Projekte desavouieren: eine Friedenspolitik mit Rußland statt einer Nato-Erweiterung gegen Rußland und eine neue Außenpolitik der EU.

Es ist nicht nur dem Terminkalender geschuldet, daß für die deutsche Außenpolitik Europa allererste Priorität hat. Globale Außenpolitik ist nur als EU sinnvoll machbar. Um diese Möglichkeit offenzuhalten, darf die Bundesregierung, darf Fischer als Grüner, als deutscher Außenminister und als Ratspräsident der EU dem amerikanischen Nato-Konzept auf keinen Fall zustimmen. Nach der Generalprobe kommt hier die Entscheidung. Joschka, sag nein! Jürgen Gottschlich