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Good Morning Ireland Von Ralf Sotscheck

Irland wird nie mehr so sein wie früher. Gay Byrne, das am längsten amtierende Plappermaul der Welt, ist abgetreten. Jedenfalls zum Teil: Am Heiligen Abend lief nach 26 Jahren seine letzte Radiosendung. Seine Fernseh-Talkshow, die es seit 1962 gibt, macht er noch bis zum Sommer weiter.

Der Abschied vom Radio wurde live aus der Grafton Street übertragen, Dublins Einkaufsmeile für die Betuchten. Tausende kamen, die meisten weinten, und eine Frau behauptete gar, ohne Gays Stimme am Morgen sei ihr Leben vorbei. „Ich bin praktisch mit ihm aufgewachsen“, sagte sie, „er war mein Fenster zur Welt.“

Der 64jährige Showmaster hat Irland geprägt wie kein anderer. Seine Sendungen wurden heftig diskutiert: Mitte der sechziger Jahre, als es in Irland noch keusch zuging, wollte er von einem frisch verheirateten Ehepaar wissen, welche Farbe das Nachthemd der Braut hatte. „Ich trug gar keins“, hauchte die Frischvermählte, und am nächsten Tag verdammte der Bischof höchstpersönlich die sündige Fernsehshow in Grund und Boden.

In den achtziger Jahren, als Verhütungsmittel in Irland nur an Paare mit Trauschein abgegeben wurden, zog „Gaybo“, wie er von der Nation genannt wird, sich ein Kondom über die Hand, um den ahnungslosen Iren zu zeigen, wie das funktioniert. Und wieder standen dem Klerus die Haare zu Berge.

In den letzten Jahren wurde Byrne jedoch immer zahmer und konservativer. Zum Schluß lud er nur noch Leute ein, die Reklame für ihre Bücher machen wollten, darunter auch die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher, die ihre Memoiren anpreisen durfte. Sie dozierte in salbungsvollen Worten über den Thatcherismus und seine Erfolge in Hinblick auf Wirtschaft, Menschenwürde und Britanniens Blüte, während Byrne wie ein Stoffhündchen auf der Hutablage eines Autos ständig nickte. Ganz der Gentleman, brachte er weder Bergarbeiterstreik und Kopfsteuer, noch Eisenbahnchaos und den Tory-Abgang in Schottland zur Sprache. Dann drehte Thatcher den Spieß um und fragte ihn kryptisch: „Ist Rugby nicht ein wundervolles Beispiel dafür, wie man die Sache in Irland anpacken muß?“ Worauf Gaybo als Antwort zustandebrachte: „So ziemlich.“

Ganz anders beim Besuch von Gerry Adams, der ebenfalls sein Buch vorstellen wollte. Damit Byrne dem bedrohlich in Armani gekleideten Sinn-Fein-Präsidenten nicht schutzlos ausgeliefert war, hatte er sich fünf alte Adams- Feinde zu Hilfe geholt, doch das ging nach hinten los. Weil die fünf garstigen Greise sich bei ihren Attacken gegenseitig übertrumpfen wollten, mußte Adams nur ab und zu den gröbsten Unfug widerlegen, so daß er zum Schluß die Sympathien auf seiner Seite hatte.

Man wird Gaybo dennoch vermissen. Wer lädt schon aus Versehen eine englische Prinzessin und einen ehemaligen IRA-Mann gemeinsam ins Studio ein? Richard Behal hatte 1964 die Proteste gegen die Irland-Visite von Prinzessin Margaret organisiert und kurz darauf eine Kanonenkugel auf ein britisches Torpedoboot vor der Südküste Irlands abgefeuert. In seiner Show stellte ihn der ahnungslose Byrne als Mitarbeiter eines Komitees für besseren Wohnraum vor.

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