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Aufklärung über Wolfs Aufklärer

■ Müller-Enbergs hat die erste sorgfältige Analyse der DDR-Auslandsspionage vorgelegt

Wie funktionierte eigentlich der Auslandsgeheimdienst der DDR, der zu den besten auf dem Globus gezählt wurde? So richtig bekannt ist das auch heute, neun Jahre nach der Wende, noch nicht. Die Akten, aus denen die Strukturen, Methoden oder gar die Namen der eingesetzten Agenten hätten bekannt werden können, sind weitgehend vernichtet worden. Denn die „Hauptverwaltung A“ – so nannte sich der Auslandsdienst im Ministerium für Staatssicherheit – durfte sich im Frühjahr 1990 selber auflösen.

Zurück blieben nur wenige aussagekräftige Dokumente. Die Mitarbeiter der HVA hinterließen vor allem Akten, die sich mit der Tätigkeit der „gegnerischen Dienste“ beschäftigten – ein letztes Mal wollten sie dokumentieren, wie gut sie ihre westliche Konkurrenz im Griff hatten.

Eine neue Dokumentation bringt jetzt etwas mehr Licht in die Strukturen, Techniken und Praktiken des Geheimdienstes, der in seiner Form von seinem langjährigen Leiter Markus Wolf entscheidend geprägt wurde. Der Titel allerdings ist nun nicht gerade verkaufsfördernd. „Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Teil 2: Anleitung für die Arbeit mit Agenten, Kundschaftern und Spionen in der Bundesrepublik Deutschland“ heißt der 1.120 Seiten starke Band, der im Rahmen der wissenschaftlichen Reihe des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen herausgegeben wurde. Neben den wenigen ernst zu nehmenden Arbeiten, die die früheren Mitarbeiter der HVA vorgelegt haben (zuletzt Klaus Eichner: „Headquarters Germany“, Verlag Edition Ost), dürfte Müller-Enbergs „Inoffizielle Mitarbeiter“ eines der Standardwerke über den aufgelösten Geheimdienst werden.

Wie wurden Spione ausgebildet, was mußten sie beherrschen? Wie schüttelt ein Agent feindliche Beobachter ab? Durften Kundschafter Freunde haben oder Kinder bekommen? Was war bei Zahnschmerzen zu tun, und wie hoch war die Vergütung? Müller- Enbergs legt eine umfangreiche und in seinen Facetten zum Teil ziemlich skurrile Spionagetheorie der HVA vor. 32 Schlüsseldokumente bietet der Autor nach mühevollen Recherchen – ein Teil von ihnen war bisher auch dem Fachpublikum nicht bekannt. Sorgfältig zeichnet der Autor die Eckdaten des einstigen Kampfes an der unsichtbaren Front nach. Mit mindestens 1.553 Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) in der Bundesrepublik am Ende des Jahres 1988 verfügte der realsozialistische Geheimdienst über eine gewaltige Armada an Zuträgern. In der DDR selbst waren zuletzt über 3.300 Hauptamtliche der HVA im Dienste Erich Mielkes tätig. Weitere 1.000 Stasimitarbeiter arbeiteten der HVA in den Bezirksverwaltungen des MfS zu, dazu kamen noch einmal rund 700 „Offiziere im besonderen Einsatz“, die, wie der Oberst Schalck-Golodkowski, einen erheblichen Anteil an der Spionagetätigkeit der DDR hatten. Ein über 100seitiges Sach- und Personenregister nennt nicht nur zahlreiche Namen der früheren HVA-Agenten in der Bundesrepublik, es macht das voluminöse Buch zu einem handhabbaren Nachschlagewerk. Wolfgang Gast

Helmut Müller-Enbergs (Hg.): „Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Teil 2“. Ch. Links Verlag, Berlin 1998, 1.120 Seiten, 68 DM

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