piwik no script img

■ Staatsbürgerschaft: Für eine echte Integration der in Deutschland lebenden Ausländer gibt es zur Zeit keine Alternative zum DoppelpaßDas Wohlfühlangebot

Wen hat der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber damit gemeint, als er die Gefahr, die von Doppelstaatlern ausgeht, mit dem Terror der RAF verglich? Etwa den Europaabgeordneten der CSU Otto von Habsburg, der Deutscher und Österreicher ist? Die Absurdität des Beispiels zeigt, CDU/CSU-Politikern geht es nicht um eine rationale Diskussion über die Vor- und Nachteile der doppelten Staatsbürgerschaft. Rechtzeitig zum Beginn des Wahlmarathons 1999 sollen Emotionen geschürt werden. Aber die verbalen Rundumschläge bleiben nicht ohne Rückwirkungen auf die Integrationsbereitschaft der Migrantinnen und Migranten. Vor allem Jugendlichen wird klar gemacht: „Ihr gehört nicht zu uns!“

Schlechter hätte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nicht starten können. Während in Europa über die Einführung einer europäischen Unionsstaatsbürgerschaft diskutiert wird, verteidigen die deutschen CDU/CSU-Politiker ein völkisches Einbürgerungsrecht aus der Kaiserzeit. Vielen europäischen Nachbarn fehlt dafür jedes Verständnis. Zumal andere Probleme auf der europäischen Tagesordnung stehen: die Vereinheitlichung der Migrationspolitik.

Trotzdem sollte die Unterschriftenaktion der Union gegen die doppelte Staatsbürgerschaft nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die Union hätte sich nicht auf diese Kampagne geeinigt, wenn sie nicht einen breiten Unwillen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft spürte. Um so wichtiger ist es, bei den Neuregelungen des Staatsangehörigkeitsrechts darauf zu achten, daß sie auch von den alteingesessenen Deutschen akzeptiert wird. Sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, daß ihre Interessen weniger wichtig sind als die der Neubürger.

Die Kritik von Eberhard Seidel- Pielen an der Ideologisierung der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft auch durch die Grünen ist richtig. Aber die Grünen sehen durchaus, daß die doppelte Staatsbürgerschaft auch Probleme mit sich bringt. Zum Beispiel läßt sich die Gefahr, daß ausländische Regierungen ihre Bürger mit deutschem Paß beeinflussen, um ihre eigene Innenpolitik im Ausland zu verteidigen, nicht ausschließen. Es darf nicht sein, daß deutsche Bürger türkischer Herkunft nach einem Aufruf des türkischen Ministerpräsidenten mit Demonstrationen in Deutschland Druck auf Italien ausüben, um die Auslieferung des PKK-Führers Öcalan an die Türkei zu erreichen. Ebensowenig kann ausgeschlossen werden, daß deutsche Beamte mit zwei Pässen von Behörden ihres zweiten Staates angehalten werden, Dienstgeheimnisse weiterzugeben.

Sicherlich kommen die genannten Fallbeispiele für die Mehrheit der Doppelstaatler nicht in Frage. Allerdings müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie verhindert werden kann, daß sich Doppelstaatler als Lobby für eine falsche Politik in ihrem Herkunftsland mißbrauchen lassen; welche Maßnahmen in solchen Konfliktfällen notwendig sind.

Es war ein Fehler, die Probleme, die zweifelsohne mit der doppelten Staatsbürgerschaft einhergehen, in den letzten Jahren nicht offensiv zu thematisieren. Die Auseinandersetzung über die Konzentrierung auf die Ethnie gerade unter den Migranten türkischer Herkunft hätte früher geführt werden müssen. Ebenso notwendig ist ein kritischer Umgang mit denjenigen, die sich nur einbürgern lassen wollen, um besser Lobbyarbeit für undemokratische Regierungen betreiben zu können. Hätten wir Grünen das geleistet, wäre es jetzt einfacher, mit den Argumenten von Teilen der Unionsparteien umzugehen und Lösungen für die angesprochenen Probleme zu präsentieren.

Trotz aller Bedenken muß die doppelte Staatsbürgerschaft gesetzlich verankert werden. Die Vorteile überwiegen die Nachteile. Und bislang gibt es keine Alternative zur doppelten Staatsbürgerschaft, um eine wirkliche Integration der in Deutschland lebenden Migranten zu erreichen. Grund hierfür ist die restriktive und falsche Ausländerpolitik der Regierung in den letzten vierzig Jahren. Bis zum diesjährigen Regierungswechsel wurden Einwanderer als „Gastarbeiter“ betrachtet und behandelt. Dabei ist seit langem klar, daß für die Mehrheit dieser Menschen eine Rückkehr in die Herkunftsländer nicht mehr zur Debatte steht.

Gerade der ersten „Gastarbeiter“-Generation, die als Erwachsene ins Land kamen, wurde kein Einbürgerungsangebot gemacht, das ihr ermöglicht hätte, Deutschland als Heimatland anzunehmen. Die jetzige Debatte ist das Ergebnis der Versäumnisse der Vergangenheit. In Ländern, die ihre Identität als Einwanderungsland nicht leugnen, ist das deutsche Problem unbekannt. Die Einwanderer in diese Länder sind in der Regel sehr schnell dazu bereit, die Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslands zugunsten der neuen abzugeben.

Da die „Gastarbeiter“ der ersten Jahre in Deutschland immer das Gefühl haben mußten, nicht dazuzugehören, haben sie heute große emotionale Probleme, die eigene Staatsbürgerschaft gegen die deutsche einzutauschen. Zumal es ja gerade der deutsche Staat war, der mit seinem auf Abstammung beruhenden Staatsangehörigkeitsrecht den „Gastarbeitern“ klarmachte, daß Herkunft gleich Identität ist. Ihr Zögern, sich nun für einen Paß zu entscheiden, ist in diesem Zusammenhang ein normales menschliches Verhalten, das niemanden verwundern dürfte.

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist für viele Menschen der ersten Generation das Angebot, auf das sie seit langem warten. Ein Ersatz für eine Politik, die auf Integration und Toleranz setzt, oder gar ein Allheilmittel ist die doppelte Staatsbürgerschaft jedoch nicht. In den klassischen Einwanderungsländern, die sich mit ethnischer Identität nicht so herumplagen wie die Deutschen, brauchen die Einwanderer keine Staatsangehörigkeit ihres Auswanderungslands mehr.

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist die Chance, die einwanderungspolitischen Rahmenbedingungen zu ändern. Sie wird eine Übergangslösung sein, bis das Blutrecht und das Verständnis von Einwanderern als Gäste aus der Gesetzgebung und aus den Köpfen verschwunden ist. Wenn die Wende in der Ausländerpolitik gelingt und Deutschland die Einsicht, daß es ein Einwanderungsland ist, in den Alltag umsetzt, wird die Debatte in einigen Jahren keine Rolle mehr spielen. Voraussetzung ist natürlich, den Neubürgern klarzumachen, was es bedeutet, Bürger einer Republik mit allen Rechten und Pflichten zu sein. Ozan Ceyhun

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen