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Nigeria vor einer Zeit der Instabilität

Die Wahlen auf Bundesstaatsebene am Samstag haben Nigerias politische Landschaft wieder durcheinandergewirbelt. Im Spiel der politischen Zweckbündnisse werden Struktur- und Wirtschaftsprobleme vernachlässigt  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Nigerias parteipolitische Landschaft hat mit den Wahlen zu den Parlamenten und Gouverneursposten der 36 Bundesstaaten am vergangenen Samstag neue Konturen gewonnen. Zugleich wird immer deutlicher, daß völlig offen ist, wie und von wem das Land nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Februar und der Übergabe der Macht von den Militärs an ein ziviles Regime im Mai regiert werden soll.

Nach dem gestern verkündeten Wahlergebnis bestätigte die PDP (People's Democratic Party) ihren Status als größte Partei Nigerias mit dem Sieg in 20 von 35 Bundesstaaten, in denen Wahlen stattfanden. Die PDP besteht aus den liberaleren Mitgliedern der herrschenden Elite aus nordnigerianischen Würdenträgern und Militärs. Die APP (All People's Party), eine bunte Mischung aus ehemaligen Abacha-Unterstützern und Lokalpolitikern, gewann neun Bundesstaaten; die aus dem gemäßigten Flügel der Demokratiebewegung hervorgegangene AD (Alliance for Democracy) siegte in sechs, alle im Südwesten Nigerias, wo das Yoruba-Volk lebt.

Eigentlich müßte nun der Weg frei sein für einen PDP-Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am 27. Februar. Führender Kandidat der Partei ist General Olusegun Obasanjo. Er war 1979 der bisher einzige nigerianische Militärherrscher, der freiwillig die Macht an einen gewählten Nachfolger abgegab, und gilt als Demokrat. Außerdem gehört er zum Yoruba-Volk, dessen radikale Führer immer wieder mit Abspaltung von Nigeria drohen. So sieht er sich als Integrationsfigur für den Vielvölkerstaat Nigeria – wenn auch, so werfen es ihm seine Gegner vor, ohne die Macht der nördlichen Oligarchie in Frage zu stellen.

Aber in Wirklichkeit ist Obasanjos Aufstieg jetzt eher blockiert. In seinem Heimatstaat Ogun gewann nicht seine Partei, sondern die AD – und ein Politiker, der seine Heimatregion nicht beherrscht, gilt in Nigeria als schwach. Der Sieg der PDP in 20 Staaten sieht zudem weniger rosig aus, wenn mitbedacht wird, daß die beiden anderen Parteien AD und APP kurz vor den Wahlen ein taktisches Bündnis schlossen. Für gemeinsame Kandidaten kam das diesmal zu spät, aber auch getrennt gewannen die beiden Parteien 15 Bundesstaaten. In Prozentzahlen ausgedrückt errang die PDP am Samstag 51 Prozent, die APP-AD- Allianz 49 Prozent – davon 36 Prozent für die APP und 13 für die AD.

Nun wollen AD und APP für Februar einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufstellen und planen dafür gemeinsame Vorwahlen. Der Kandidat soll ein Yoruba sein, weil die AD eine Yoruba-Partei ist und die APP sich dem Prinzip eines Präsidenten aus dem Süden des Landes gebeugt hat. „Wir wollen einen Yoruba, der glaubwürdig ist und im Kampf für Demokratie an vorderster Front gestanden hat“, sagte vor den Wahlen AD-Nationalsekretär Mamman Yussuf. Angesichts dessen wird die PDP wohl kaum mit dem jetzt erfolglosen Yoruba Obasanjo ins Rennen gehen. Andere PDP-Führer, zumeist aus dem Norden, wie Ex-Provinzgouverneur Abubakar Rimi aus Kano, bereiten sich bereits lautstark auf die Kandidatur vor.

So steuert Nigeria nun auf einen Wahlkampf zu, der die Nord-Süd- Spaltung des Landes reproduziert. Und da in der PDP der Machtkampf erst beginnt und auch das AD-APP-Bündnis natürlich nicht unerschütterlich ist, steht eine Zeit des Opportunismus und der Intrigen zwischen rivalisierenden Karrieristen bevor.

Das ist kein gutes Signal. Wenn Nigerias Politik zu offen wird, warnte kürzlich die anglikanische Kirche Nigerias, hätten das in der Vergangenheit immer opportunistische Militärs ausgenutzt. Die Chance, die durch den Tod von Diktator Sani Abacha am 8. Juni entstanden sei, sei verspielt worden, so Kirchenführer Abiodun Adetiloye: „Als Gott in der ihm eigenen Art in unserer politischen Krise intervenierte, freute sich jede Nation unter dem Himmel mit uns und glaubte, daß wir es diesmal schaffen. Aber leider sind die alten Trommeln wieder zu hören, und es scheint, als ob die Dämonen sich sammeln, um die Nation zu schlucken und zu töten.“

Denn die politische Unklarheit beschränkt sich nicht auf die Parteipolitik. So ist noch immer nicht entschieden, welche Verfassung nach dem Ende der Militärherrschaft in Nigeria gelten soll. Militärherrschaft bedeutete in Nigeria nicht nur Diktatur, sondern auch eine Zentralisierung der Macht, bei der die Junta in Abuja immer neue Bundesstaaten zur Alimentierung ihrer Anhänger schuf und diesen zugleich keine Kompetenzen oder Finanzmittel zugestand. Wie das geändert werden soll, zum Beispiel durch die Rückkehr zu einem föderalen System aus sechs Regionen, wird in Medien und Parteien breit diskutiert. Aber die jüngsten Wahlen bestätigen die vom Militär festgesetzte Struktur.

Die jetzt gewählten Gouverneure erben also riesige Probleme – aber keine Mittel, um sie zu lösen. Und die Probleme werden noch wachsen. Wegen der fallenden Rohölpreise werden die budgetierten Staatseinnahmen des Ölexporteurs Nigeria in diesem Jahr gegenüber 1998 um über die Hälfte sinken. Daß die Regierung kurz vor Weihnachten den Benzinpreis mehr als verdoppelte und gleichzeitig die bereits versprochenen Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst zurücknehmen will, führt zu massivem sozialem Unmut. Seit dem 30. Dezember toben außerdem wieder Kämpfe im Ölfördergebiet des Niger-Flußdeltas, die nach Angaben von Menschenrechtsgruppen Hunderte Tote gefordert haben. Im Bundesstaat Bayelsa mußten die Wahlen am Samstag bereits ausfallen.

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