: „Der Schuß kann nach hinten losgehen“
Der hessischen CDU-Parteibasis ist die harte Haltung ihres Chefs zur Unterschriftenaktion nicht geheuer. „Koch fährt den Karren an die Wand, während die in Bonn schon wieder auf Kompromiß steuern“, fürchten viele ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen
Der Schriftzug zerteilt das Gesicht: „KOCH“. Zwischen O und C, mitten durch Nase, Mund und Stirn, klafft eine himmelblaue Lücke. Die hessische CDU plakatiert den Namen ihres Kandidaten Roland Koch meterhoch und flächendeckend im Großformat. Sie hat, haben Umfragen ergeben, ihre liebe Not mit dem Mann, der am 7. Februar Ministerpräsident werden will, dafür unermüdlich durch die Lande tingelt, aber dennoch vor seinem besonders hartleibigen Einsatz für die CDU-Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft nur einen geringen Bekanntsheitsgrad hatte.
„Der Schuß“, sorgt sich die traditionell moderate Frankfurter Parteibasis, „könnte nach hinten losgehen.“ Ihr Wahlkampf begann Anfang der Woche im kleinen Clubraum I des Bürgerhauses im Frankfurter Stadtteil Bornheim. An der Wand wellt sich Kochs Konterfei im Kleinformat. Hier ist Feindesland, der Wahlkreis ist eine Hochburg für SPD und Grüne.
Vor der Unterschriftenaktion war der Abend eigentlich als intime Veranstaltung geplant. Nun ist der winzige Saal rappelvoll. Die Parteibasis ist vorwiegend im Rentenalter, gutsituierte Senioren, reichlich Brillantringe und Perlenketten. Und viel von der wurstigen Frankfurter Grundmentalität des Lebens und Lebenlassens. Die beiden zentralen Wahlkampfthemen Bildungspolitik und Innere Sicherheit sind der Schnee von gestern. Der Kreisverband ist zur Unterschriftenaktion kurzfristig auf Reihe getrimmt zu einem „Ja, aber...“.
Vorsichtshalber hat die örtliche Regie gegen die eigenen Bedenkenträger einen Nothelfer aufgefahren. Der aus Niedersachsen angereiste „Junge Wilde“ Christian Wulff redet die Versammlung fast eine Stunde eloquent und selbstkritisch an die Wand. Ungeschickt und undifferenziert sei seine Partei vorgegangen, der interne Zwist sei deshalb „hausgemacht“. Da verblaßt die Warnung des örtlichen CDU-Ausländerbeauftragten, die Gesellschaft nicht auseinanderzudividieren, zur ergänzenden Anregung. Und die drei jungen deutschen Türken mit CDU-Parteibuch fragen auch nur noch ganz artig, wie denn bitte Integrationsleistung zu bemessen sei?
Insgesamt ist die Frankfurter CDU bisher auf die kurzfristig aus Wiesbaden verordnete harte Wahlkampflinie nicht vorbereitet. Das Kreisbüro verweist auf die eine oder andere Veranstaltung und auf den Telefondienst der Landtagskandidaten.
Zum Beispiel auf Michael Boddenberg, Kandidat für die südlichen Flughafenanrainer-Stadtteile, Wahlkreis 37. Auch die 20jährige Deutschtürkin Banu 0. will Auskunft über die CDU- Parteilinie, wählt die Hotline und wird gleich wieder abgehängt. „Boddenberg? Nein, hier ist die Fleischer-Fachschule!“ Rückruf im Kreisverband. Die Telefonnummer stimmt und die Fleischer- Fachschule auch. „Ich bin“, erklärt Schulleiter Boddenberg die Adresse, „im Lebensmittelgewerbe tätig.“ Er spult die offizielle Parteilinie ab von Deutschkenntnissen, Hier-geboren-Sein, doppeltem Paß als Risiko für die Innere Sicherheit des Landes. Und bietet Hilfe an bei der Beschleunigung des Einbürgerungverfahrens. Außerdem, so Banu 0., habe er gesagt, es sei ihm persönlich eigentlich „ziemlich wurscht, ob Sie zwei oder drei Pässe haben“. Boddenberg hat mit dem Streit um eine neue Start-und-Lande-Bahn vor Ort sowieso andere Probleme.
Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) übte sich mit ihrer Eröffnungsrede weitgehend in Abstinenz zum Thema Unterschriftensammlung. Sie sprach statt dessen über Kommunalpolitik, die Euro-Metropole am Main, über Faszination und Macht der Städte. Roth, der der Drang nach Bonn nachgesagt wird, hatte schon seit dem Wochenende den Eiertanz geprobt, einerseits Parteichef Schäuble nicht zu düpieren, andererseits ihren Frankfurter Ziehvater Walter Wallmann nicht zu verärgern, der sich in seiner Zeit als Rathauschef weltläufig gab und nun in der ersten Reihe sitzt.
Den Frankfurter Unions-Mitgliedern geht derzeit nicht nur der harte Alleingang aus Wiesbaden gegen den Strich. Laut sagt das niemand, aber der Rückzug der 38jährigen Personalberaterin Mechthild Löhr aus dem Schattenkabinett von Roland Koch wird als schwere Schlappe, ausgerechnet beim Wahlkampffeld Bildungspolitik, gewertet. Die Seiteneinsteigerin, die in Hessen Kultusministerin werden sollte, hatte als Chefin der rheinland-pfälzischen Landeszentrale für Umweltaufklärung ihren Jahresetat 1991 von einer Million Mark in nur fünf Monaten verpulvert und war dafür vom Rechnungshof gerügt worden.
„Und nun auch noch noch diese verflixte Unterschriftenkampagne“, stöhnt eine CDUlerin im Stadtteil Bornheim. Die soll auf Kochs ausdrückliche Order schon am Samstag beginnen. „Der Koch“, ahnt ein Rentner, „fährt den Karren hier im Konfrontationskurs an die Wand, während die in Bonn doch schon wieder auf Kompromiß steuern.“ Die SPD im Römer hat angekündigt, sie wolle verhindern, daß die Unterschriften in öffentlichen Räumen gesammelt werden können. Die Republikaner und der Bund Freier Bürger (BFB) des hessischen FDP- Rechtsabweichlers Heiner Kappel sammeln schon.
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