Stubenrein wie bei Mutti

Wer für Gleichheit und Gerechtigkeit eintritt, muß sein Klo und seine Schuhe selber reinigen. Eigentlich. Doch dürfen sich der politisch Korrekte, der Sozialdemokrat und der Grüne jemand fürs Staubsaugen, Blusenbügeln und Wanneschrubben kommen lassen? Eine Analyse heimlicher Wünsche mit Anmerkungen zum Putzmenschenwesen  ■ von Silke Mertins

Das erste Mal war schwer. Über eine Woche lang schlich Kurt um den Zettel am Schwarzen Brett herum – „Putzhilfe. Günstig“. Die Beziehungsstreitigkeiten hätten endlich ein Ende. Die Hemden wären gebügelt, die Fenster geputzt, das Bad blitzblank. Paradiesisch! Es müßte ja nur einmal die Woche drei Stunden sein – und bestimmt nur für die Grundreinigung. Die monatlichen zweihundert Mark sind zu zweit doch wohl abzuzwacken. Er griff beherzt zum Telefonhörer und rief an.

Die Stimme am anderen Ende kam ihm verdammt vertraut vor. „Bist du das, Kurt?“ Und der, sonst selten um eine Antwort verlegen, war sprachlos. Er hatte Henning, seinen geschätzten Kollegen aus dem Alternativbetrieb, am Apparat, der seinen kargen Einheitslohn für den geplanten Urlaub in Lateinamerika ein wenig aufbessern wollte.

Seitdem sind einige Jahre ins Land gegangen, und Kurt war nie wieder bereit, auf die unsichtbare gute Fee, die immer donnerstags vormittags ins Haus kommt, zu verzichten. Später hieß Henning Fatima und war aus Portugal. Heute pflegt Maria aus Polen Kurts Räume im Berliner Bezirk Friedrichshain.

Drei Stunden macht sie sich in seiner Zweizimmeraltbauwohnung zu schaffen und steckt dafür die fünfzig Mark ein, die dezent auf dem Küchentisch bereitliegen. Donnerstags macht Kurt gern etwas früher als gewöhnlich Feierabend, weil es, wie er auf näheres Befragen einräumt, „so schön ist, nach Haus zu kommen, und es ist geputzt wie bei Mutti“.

Sprechen darf man über derlei Hochgefühle in den Niederungen des Alltags freilich nur unter Gleichgesinnten, die es mit der nötigen Sensibilität zu orten gilt. Denn in einem Milieu, das sich traditionell für Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde stark macht, geziemt es sich nicht, andere für sich den Dreck wegmachen zu lassen.

Jedenfalls nicht zu Hause. Denn das ist bürgerlich, dekadent, unsozial und ganz und gar unvereinbar mit der Vision einer Gesellschaft ohne oben und unten. Kurz: Das Dienstmädchenprivileg, das die abgewählte christliberale Regierung zuletzt mit einem Steuerfreibetrag von 18.000 Mark im Jahr förderte, ist alles andere als unumstritten.

Nicht nur das linksalternative Spektrum, aus dem die Grünen hervorgingen, hat mit dieser Art von Dienst am Nächsten seine ideologischen Nöte. Auch die Partei von Bundeskanzler Gerhard Schröder, selbst Sohn einer Putzfrau, kann es als Zentralorgan der kleinen Leute nicht mit ihrem Selbstverständnis vereinbaren, niedere Arbeiten auf andere abzuwälzen.

Inzwischen hat sich die Beschlußlage der SPD halbwegs damit arrangiert, daß die Menschen, sobald sie es sich leisten können, dazu neigen, ihre Freizeit für zu kostbar zu halten, als daß man sie mit Schrubben, Wischen und Staubsaugen verbringen möchte. Die SPD nimmt es hin, aber nur unter einer Bedingung: Die Reinigungskraft hat sozial- und unfallversichert zu sein. Darin wissen sich die Genossen auch mit den Grünen einig.

Nur klaffen, wie im real existierenden Sozialismus, Theorie und Praxis weit auseinander. Fünfzig Mark bar auf die Hand für Saubermachen von zehn bis ein Uhr mittags sind kein übler Stundenlohn. Legale Putzfrauen verdienen beispielsweise bei Peter Dussmann, der eines der größten deutschen Serviceunternehmen leitet, nur fünfzehn Mark brutto.

Nach den Vorstellungen der SPD sollten sich mehrere Privatleute zusammenschließen, um eine sozialversicherte oder wenigstens auf 630-Mark-Basis angestellte Putzfrau zu engagieren.

„Doch meine Vera“, die im übrigen eine Perle und aus Ungarn sei, „weigert sich“, klagt ein Hamburger Sozialdemokrat. „Die will nicht legalisiert werden.“ In Veras Einfrauunternehmen, das rund zehn Haushalte betreut, verdient sie 2.500 bis 3.000 Mark – brutto wie netto.

Daß man also in die mißliche Lage gerät, sich auf SPD-Wahlkampfveranstaltungen über illegale Beschäftigung zu erregen und anschließend in seine frischgeputzte Wohnung kommt, ist ein Widerspruch, den man offenkundig aushalten muß – und kann. „Da läßt der Sozialdemokrat sich auf einen Kompromiß ein – aus Selbsterhaltungstrieb.“ Schuld wäre ohnehin nicht die Putzfrau, sondern der Arbeitgeber, der allein dafür verantwortlich ist, für die Beschäftigte Versicherungsbeiträge und Steuern zu bezahlen.

Nach groben Schätzungen arbeiten an die drei Millionen Menschen illegal in deutschen Privathaushalten – Tendenz steigend. Die Zahl der offiziellen Arbeitsverhältnisse im Reinigungsgewerbe stagniert hingegen bei 120.000.

Anders als Kinderfrauen und Haushaltshilfen, die auch für Einkauf und Botengänge zuständig sind, bleibt die Putzfrau (viel seltener: der Putzmann) stets unsichtbar. Sie kommt, wischt und ist wieder weg. Wer könnte da nachweisen, daß sie nicht eine Freundin des Hauses ist und deshalb ein- und ausgeht? Eine gute Raumpflegerin für den preisbewußten Privathaushalt zu finden, ist gar nicht so einfach. Eine Agentur? Zu teuer. Eine Anzeige? Wer weiß, ob die Referenzen stimmen.

Das Gespräch mit Freunden und Arbeitskollegen sollte also vorsichtig auf das Putzfrauenwesen gelenkt werden. „Erst mal muß man ausgiebig stöhnen, daß man bei fünf Abendterminen gar nicht mehr weiß, wie man alles schaffen soll“, berichtet ein Landtagsabgeordneter aus Hannover mit klassenkämpferischer Vergangenheit. „Dann kann man nach einiger Zeit sinnieren: Ach, hätte ich doch eine, die mir beim Putzen hilft.“

Schon öffneten sich die Schleusen, und es flögen einem die Ratschläge nur so zu. Inzwischen kommt Patricia aus Bolivien zweimal die Woche zu ihm nach Hause, um die Familie für vierhundert Mark im Monat von Staub, Schmutz und Bügelwäsche zu befreien. Am Vorabend ihres ersten Arbeitstages wurde aufgeräumt und vorgeputzt. Nicht daß die Haushaltshilfe denkt, man wäre nicht reinlich!

Eine Empfehlung in diesem empfindlichen Bereich ist jedenfalls unerläßlich. Denn man mag nicht jedem den Schlüssel zum trauten Heim, zu seinem Besitz und seiner Intimsphäre in die Hand drücken. Die gute Fee, von der man, zumal wenn sie womöglich illegal in Deutschland lebt und arbeitet, schlecht ein polizeiliches Führungszeugnis verlangen kann, muß hundertprozentig vertrauenswürdig sein. Zuverlässige Putzfrauen werden über Mund- zu-Mund-Propaganda von einem Haushalt in den nächsten gereicht.

Wie gefährlich einem das Hygienepersonal werden kann, bekam schon vor hundert Jahren der Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus zu spüren: Die Putzfrau Marie Bastian, die unter dem Decknamen „Auguste“ in der Deutschen Botschaft für den französischen Geheimdienst spionierte, fand im Papierkorb des Militärattachés ein belastendes Dokument. Die Franzosen hatten sich schnell darauf geeinigt, daß der Verräter nur der Jude Dreyfus sein konnte.

Auch in unserer Zeit wurde die Reinigungskraft schon manchem zum Verhängnis. Die einstige CDU-Blockflöte Günther Krause, der sich unter Kanzler Helmut Kohl zum Bundesverkehrsminister hochdiente, stürzte über seine Putzfrau. Der Emporkömmling hatte sich seine Raumpflegerin zu siebzig Prozent vom Arbeitsamt finanzieren lassen. Natürlich nur aus Nächstenliebe; er habe der knapp fünfzigjährigen Langzeitarbeitslosen eine Chance geben wollen, rechtfertigte er sich.

Ähnlich hinderlich für die Karriere wirkte sich auf die US-Amerikanerin Zoe Baird aus, daß sie zwei Illegalen in ihrem Haushalt eine Chance gab. Sie sollte die erste Frau werden, die den Posten der Generalstaatsanwältin und Chefin des Justizministeriums bekommt. Doch statt Amt und Würden kam nur die Blamage. Präsident Bill Clinton mußte sich beim Volk für seinen Personalvorschlag entschuldigen. Die US-Öffentlichkeit wäre sonst noch weiter über das „Yuppie Crime“ verärgert worden.

Dabei verhilft das Putzfrauenwesen, hüben wie drüben, zu einem Waffenstillstand im Geschlechterkrieg. Immer mehr Frauen der Mittelschicht sind nicht bereit, auf ihren Job zu verzichten. Doch die Männer haben nicht im selben Tempo eine Neigung entwickelt, sich im Haushalt für mehr zuständig zu fühlen als fürs Autowaschen und Müllruntertragen. Bestenfalls noch beim Kochen als künstlerisch-virtuose Beschäftigung oder bei der Kinderbetreuung – man will ja kein Rabenvater sein – sind sie einzusetzen. Um der Geschlechterdemokratie dennoch zu genügen, muß zu externen Konfliktlösungen gegriffen werden: zur Putzfrau.

Im Einzelfall kann der Linksintellektuelle auch stets gute Gründe für die illegale Beschäftigung anführen: Die Putzfrau ist eine Illegale, der man auf diese Weise zum Überleben verhilft, ja, eine Asylbewerberin, die ihrer Familie daheim in Jugoslawien unter die Arme greifen muß. Oder eine Sozialhilfeempfängerin, die mit der Stütze einfach nicht über die Runden, jedenfalls nicht bis nach Mallorca kommt.

Dennoch schleicht sich zuweilen das dumpfe Gefühl ein, daß das so mit der Abschaffung der Ausbeutungsverhältnisse und der Revolution nicht gemeint gewesen sein kann. Gleichwohl: Hat man sich auf dem Marsch durch die Institutionen nicht redlich abgemüht, sich seine Stellung etwa nicht ehrlich erarbeitet? Behandelt man die Marias, Veras und Patricias nicht immer gut, bezahlt sie anständig, legt ihnen zu Weihnachten ein liebevoll verpacktes Geschenk auf den Tisch und entschuldigt sie ohne zu Murren, wenn sie krank sind? Doch die Scham ist nie ganz vorbei.

Johann Mühlegg, zeitweilig bester Langläufer der Bundesrepublik, ist da simpler strukturiert. Der fromme Allgäuer suchte lange und verzweifelt nach Zugang zum Göttlichen. Und fand ihn in dem geweihtem Wasser von Justina Agostinho – seiner Putzfrau.

Silke Mertins, 33, bis Oktober 1998 in der taz-Hamburg für Landespolitik zuständig, nun taz.mag-Redakteurin, muß leider ohne Reinigungshilfe auskommen