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Und ewig wallt der Bob

■ Dauerwellen, Struwwelfrsiuren, rasierte Nacken? Igitt. Die Frau von heute trägt ihr Haar klassisch und natürlich mit ein bißchen Color. So raten Bremens Starcoiffure

So richtig out ist nur die Astronautin. Die trägt stumpfe, dunkelbraune Locken, Dauerwelle gar, und das ist einfach nicht angesagt, obwohl die Haarmittelchen- Industrie zwecks verbesserter Absatzmöglichkeiten es gerne anders sähe. Aber die Frau im hellblauen Overall ist nur eine leblose DASA-Werbepuppe und lungert in der Bremen-Halle des Flughafens neben dem silbern glitzernden Junkers-Flugzeug herum, mit dem tolldreiste Männer in etwa zu der Zeit, als der Bob die weibliche Haarmode revolutionierte, den Atlantik überflogen.

Und der Bob, der pflegeleichte, immer passende, raffiniert gestufte Kurzhaarschnitt, wie ihn der vom Bauhaus inspirierte Vidal Sassoon in den sechziger Jahren in London schuf, dominiert auch die Haar gewordenen Ratschläge der Bremer Spitzenfriseure für die Saison 1999. „Luxuriöses Understatement“ oder „undercover Extravaganz“ zauberten die Maestros der Gruppe „intercoiffure“ auf die Häupter der von der Modemacherin Sigrid Schumacher eng und bonbonfarben verhüllten Grazien.

Dort ließen nicht nur großgewachsene Damen die Coiffure Torsten Dembny und Udo Iden live an ihr ohnehin schon ordentlich fallendes Haupthaar. Bürgermeister Henning Scherf (2,03 Meter) nutzte die Chance, auf lau auf dem Laufsteg seinen schon leicht am Hemdkragen schabenden Kurz-Schnitt auffrischen zu lassen.

„Der hat schon gute Haare“, urteilte ein Fachmann. Kein Wunder, begibt sich Scherf doch gemeinhin bei Intercoiffure Roman Kroupa am Ostertorsteinweg unter die Schere. Weil sich die 250 deutschen Intercoiffure als eine Art Loge verstehen, würden sie nie über die Arbeit eines Kollegen herziehen. Die 18 Bremer, die zum Beitritt der seit Jahrzehnten weltweit organisierten Gruppe gebeten wurden, verbindet nach eigenem Beteuern echte Freundschaft.

Bevor Scherf einen Zentimter Bürste ließ, hatte eine 1,90-Meter-Frau unter dem Blitzlichtgewitter der örtlichen Journaille ihre engelsgleichen goldenen Zöpfe geopfert. Denn: Richtig lang ist nicht en vogue. Das haben Bremens Intercoiffure aus den Trends von Paris, Mailand, New York und London herausgelesen. Damen tragen heutzutage Frisuren wie die erfolgreiche Geschäftsfrau, die aus dem Flieger steigt und „just in time“ wohlfrisiert bei ihrem Meeting aufläuft. Grundlage ist immer der gestufte Bob à la Sassoon, das Deckhaar mal länger, mal kürzer, in die Stirn hängt ein Mikropony, der Kopf insgesamt ist in die Form eines umgedrehten A's gebracht. Struwelpeterfrisuren sind nicht mehr schick, runde Nackenpartien haben die ausrasierten Hinterköpfe verdrängt: „Das hat uns schon acht Jahre lang verfolgt“, lächelt Intercoiffure Peter Ströbl aus Bremen-Nord und scheint ehrlich erleichtert zu sein. Natur ist in, die Haare sollen glänzen und fallen, wie Gott und die unsichtbare Hand des Intercoiffurs sie wachsen ließ. Gefragt ist der multifunktionale Haarschnitt (Kostenpunkt beim Intercoiffure: ab 40 Mark), den die Kundin je nach Bedarf mit ein paar Strähnchen farblich aufmöbeln kann. Als Grundcolorationen dienen Blond-, Gold- und Brauntöne. „Ohne Farbe kein Kopf“, lautet das Urteil des Osterholz-Scharmbecker Meisters André Ellmers.

Extravaganzen, wie die von Ellmers auf Kaninchendraht meterhoch getürmten Berge aus Wollkrepp – echte Haare mit Kunstfaser versetzt – sind eher Ladenhüter. Dennoch sehen die gediegenen Intercoiffure an der Avantgarde-Front ihre „jungen Mitarbeiter gefordert“. „Wer so zur Love Parade geht“, rät Peter Ströbl, „ist dort der absolute Star“. fog

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