: On air, online, on the road
Der ORB-Jugendsender Fritz hat seinen Moderator Tommy Wosch auf eine Schnitzeljagd durch das Berliner Nachtleben in Mitte geschickt: „Tommy rennt“ durch Radio und Internet ■ Von Tobias Rapp
Freitag abend um zehn vor den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte. Ein fast zwei Meter großer schwarzhaariger Mann mit einem Mikrophon in der Hand wird von rund zwei Dutzend Jugendlichen beschimpft. Das Mikro ist von Radio Fritz, und Moderator Tommy Wosch wird nicht etwa von seiner Zielgruppe für das Programm des Senders zur Verantwortung gezogen: Die Moderatorenbeschimpfung ist Teil der Sendung „Tommy rennt“. Doch wer glaubt, hier ginge es um eine Konkurrenz zu den verschiedenen Gags, die Privatsender immer wieder veranstalten, um ihr Publikum einzubinden, hat weit gefehlt. „Tommy rennt“ ist der erste Probelauf des Projekts Mirage, mit dem der ORB und fünf europäische Medienfirmen das versuchen, wovon die Zukunft in der Informationsgesellschaft handeln soll: die Verschmelzung der elektronischen Medien Radio, Internet und Fernsehen zu etwas Neuem.
Die Kids, die sich am Hackeschen Markt eingefunden haben, interessieren sich allerdings weniger für die Zukunft der Medien. Sie wollen wissen, wo Tommy Woschs Partnerin Konstantina Vassiliou-Enz – kurz Tina – steckt. Darum dreht sich „Tommy rennt“ nämlich, ein wahnsinniger Erpresser hat sie entführt, und Tommy soll sie nun wiederfinden. Nicht nur die Hörer sollen ihm dabei helfen, der ganze Event steht auch im Internet, und wer sich per E-Mail an der Suche beteiligen will, ist genauso gern gesehen. Eine Roboterstimme liest Tommy die E- Mails live über den Äther vor. Einstweilen herrscht unter den Kids vor den Hackeschen Höfen noch Verwirrung. Denn was die Hörer und Internet-User hören und sehen, kann man hier nur erahnen. Irgendwas ist da mit einem Schokoriegel, aber niemand weiß Genaues. Auf einmal setzt sich der Troß in Bewegung. Vorbei an einem Maronenverkäufer geht es zu einem chinesischen Restaurant um die Ecke. Ein Teenager mit mobilem Radio und Knopf im Ohr erklärt den anderen, Tommy solle dort eine Aufgabe erfüllen. Hinterher.
Ein ganzer Pulk schiebt sich über den schmalen Bürgersteig durch das normale Freitagabendpublikum: Wosch, der Regisseur, eine Aufnahmeleiterin, eine Frau mit Digitalkamera, die permanent Bilder schießt, die aktuell ins Netz gestellt werden, zwei Kamerateams, eins vom ORB und eins von der britischen Firma planet 24, die auch an Mirage beteiligt ist und eine „The making of“-Dokumentation machen will. Und zu guter Letzt zwei Dutzend Teenager, die, mit Fotoapparat und Fritzmütze, nach Mitte gekommen sind, um Tommy einmal live zu sehen.
Im Restaurant läuft dann aber nicht alles wie geplant, ein Koch will lieber über Philosophie reden, als mit Wosch Bami-goreng zu kochen, wie es die Aufgabe verlangt. Ein dazugeschalteter Hörer und ein weiterer Koch sind sich darüber uneins, ob das Gericht mit Nudeln oder Reis zubereitet wird. Tommy versucht die Situation mit ein paar Witzen über Hundefleisch im Essen zu retten. Der Schweiß läuft ihm das Gesicht herunter.
Gegenüber von dem Restaurant, im C-Base, hat das ORB- Team sein Hauptquartier, ein raumschiffartig eingerichtetes Internetcafé, in dem sich langhaarige Mittzwanziger mit komplizierten Netzwerkcomputerspielen beschäftigen und junge HipHopper an ihren Homepages basteln. Doch die Fäden laufen nicht hier zusammen, sondern in Babelsberg, erklärt Marcus Schönbörner, Leiter des Projekts Mirage, das hinter der ganzen Aufregung steckt.
Die Idee hinter Mirage ist, so Schönbörner, verschiedene Medien zusammenzuführen, bi- oder besser noch trimedial zu arbeiten. Also einen Inhalt gleichzeitig durch verschiedene Medien zu schicken und dabei jedes Medium seine Stärken ausspielen zu lassen. Bei dem Pilotprojekt in Babelsberg gehe es konkret darum, eine neue Redaktionsplattform zu schaffen, einen neuen „workflow“. Mit Mirage versuchten die beteiligten Firmen eine Technik zu entwickeln, die die bisher getrennten Arbeitsabläufe der verschiedenen Medien bündeln könne. An neuen Arbeitsplätzen solle alles auf einmal bearbeitet werden können. Also zugleich on air und online.
1,4 Millionen Mark hat die Europäische Union dem Projekt zur Verfügung gestellt, um die neue Technik zu entwickeln. Wenn alles gut läuft, hoffen die Mirage- Macher ein Format zu entwickeln, das sich auch weiterverkaufen läßt. „Natürlich wollen wir das dann auch weitergeben“, sagt Schönbörner. „Die EU steckt das Geld natürlich in solche Projekte, damit sie irgendwann marktfähig sind.“ Doch soweit, daß man sich bereits über Copyrights Gedanken macht, ist das Projekt noch nicht. Mirage ist auf zwei Jahre angelegt, vor knapp einem Jahr wurde die Arbeit aufgenommen, „Tommy rennt“ ist das erste sicht- und hörbare Ergebnis.
Tommy ist unterdessen mitsamt Gefolge in der C-Base angelangt. Auf einem thronartigen Stuhl findet er weitere Nachricht. Um sicherzugehen, ob Tina hier auch gesessen hat, schnüffelt Wosch an der Sitzfläche. „Obergeil“, flüstert ein 15jähriger seinem Kumpel zu. Nach einer kurzen Pause geht es weiter. In das Monsterkabinett der Dead Chickens ein paar Häuser weiter. Die Fritzfans laufen mit.
Wer aber in der C-Base bei Fritz mitchatten möchte, hat kein Glück: Irgend etwas mit dem Rechner funktioniert nicht. Doch aus Babelsberg wird telefonisch gemeldet, daß alles klappt und daß der Zuspruch über E-Mail enorm ist. „Eine neue Technik provoziert neue Sendeformate, sagt Pia Stein von der ORB-Pressestelle.
Vor dem Monsterkabinett stehen unterdessen zwei jugendliche Tommy-Fans und sind etwas enttäuscht. Das Monsterkabinett kostet Eintritt, und dafür wollen sie ihr Taschengeld nicht ausgeben. Doch da kommt Tommy schon wieder aus dem Monsterkabinettkeller die Treppe herauf, und die beiden folgen ihm durch den langgestreckten Hof wieder auf die Straße. Im Keller mußte sich der Moderator von einem verrückten Doktor mit gespielten Elektroschocks und einer Zahnbohrmaschine quälen lassen, um schließlich sein letztes Rätsel zu bekommen. Tina hat ihm einen letzten Brief dagelassen, in dem sie schreibt, sie sei da zu finden, wo eine rhetorische Figur zwei sich widersprechende Begriffe verbindet. Was mag das wohl sein? Von den anwesenden Teenagern kommt niemand drauf. Die Edeldiskothek Oxymoron in den Hackeschen Höfen kennen sie nicht.
Nach einer Viertelstunde Verschnaufpause geht die Schnitzeljagd kurz nach halb eins schließlich ihrem Schlußpunkt zu: dem Oxymoron. Tommy Wosch taucht im Hackeschen Hof auf, nimmt Kurs auf den Eingang der Diskothek, gefolgt von den zwei Kamerateams und dem letzten halben Dutzend hartgesottener Teenager, die bis jetzt dabeigeblieben sind. Es geht hinein. Allerdings nicht für alle. Die Kids müssen draußen bleiben. Wosch und seine Mitarbeiter kommen am Türsteher vorbei. Drinnen schaut die Jeunesse dorée der neuen Berliner Mitte von ihren Champagnergläsern auf: Fernsehen, was wollen die denn. Es läuft Soulmusik aus den späten Sechzigern, Mann trägt schwarzen Anzug, weißes Hemd und Krawatte, Frau ein dekolletiertes Kleid.
Und – Tommy Wosch findet seine Tina. Sie sitzt in einem Kabuff auf halbem Weg zwischen den beiden Tanzflächen und wird befreit. Es ist Viertel vor eins, alles liegt im Zeitplan. Noch ein Gespräch auf einer Treppe, und die Sendung ist über die Bühne.
Marcus Schönbörner ist mit dem Ablauf zufrieden. Die Technik habe funktioniert, es habe keine größeren Probleme gegeben, der Testlauf sei bestanden. „Die Stabilität des Systems hat sich unter Beweis gestellt.“ Und auch Bob Konrad, der Autor der Story, schaut erschöpft, aber glücklich aus seinem Pullover: „Alles hat geklappt, das war eine super Radiosendung. Die nächste Phase wird trimedial.“ Die Kamerateams packen ihre Ausrüstung zusammen. Die Fritzfans fahren nach Hause. Tommy Wosch verschwindet mit Handy am Ohr in der Nacht.
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