: Erlebnisort Medienwissenschaft
■ 22.-24. Januar: Das 4. Bremer Filmsymposium denkt darüber nach, was ein „Erlebnis“ ist. Zum Beispiel Bruno Ganz
Alle Welt redet seit der feindlichen Invasion der CinemaxXe vom Kino als Event. Also redet das 4. Bremer Filmsymposium vom Kino als – Erlebnisort. Das klingt doch gleich ein bißchen seriöser.
Ganz so doof ist es natürlich nicht. Bei der Nachbereitung des letztjährigen Symposiums ist dem Bremer Medienwissenschaftler Irmbert Schenk blitzartig aufgestoßen, daß es kaum wissenschaftliche Arbeiten gibt über den Kinoraum an sich, dieses mysteriöse, schwarze Ding mit acht Ecken. Zwar existieren jede Menge Dokumentationen über einzelne Filmtheater, eine Geschichte des Theaterraums im Wandel der Zeit aber gibt es nicht. – Hat übrigens das Symposium auch nicht vor nachzuliefern. Denn unter dem Titel „Erlebnisort Kino“, dessen größter, da einziger Verdienst ein Ermessensspielraum von der mutmaßlichen Größe von Leo Kirchs Filmarchiven – uff – ist, findet alles mögliche Platz: an längst überholte Experimente mit Duft- und 3D-Kinos wird erinnert. Aber auch der Kinobesuch in der Prosa der 20er Jahre wird vorkommen: Döblin? Benn? Das konnte einem auf der Pressekonferenz keiner so genau sagen. Die berühmte feministische Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey wird den weiblichen Blick aufs Zelluloid sezieren (Sa, 18.30h). Aber auch die neuen digitalen Medien fehlen nicht. Der Franzose Pierre Sorlin versucht, das Erfolgsgeheimnis des europäischen Kinos der 50er Jahre zu ergründen (Sa, 14h). Und am Sam-stag, 13h, wird zum 135.000sten Mal berichtet, wie das Kino zwischen 1942 und 1948 zwischen Propaganda- und Ablenkfunktion hin- und herschwankte. Aber vielleicht erzählt Davis Bathrik in seinem Vortrag „Kino in Ruinen“ ja auch etwas ganz anderes. Die Veranstalter von Kino 46 und Bremer Uni ließen nämlich den Vortragenden absolut freie Hand und kennen vorerst auch nicht mehr als die Vortragstitel. Daß sich professionell veranstaltete Symposien durch einen roten Faden oder Arbeitshypothesen auszeichnen, hat sich hier noch nicht durchgesprochen.
Trotzdem scheint der kuriose Gemischtwarenladen ziemlich interessant zu werden. Die Qualität der Referenten bürgt dafür. Schließlich haben sich Uni, Kino 46 und Bremer Marketinggesellschaft den dreitägigen Spaß auch rund 60.000 Mark kosten lassen. Eine grausame Geldvernichtungsmaschinerie? Wenn man bedenkt, daß hier im Schnitt 100 Cineasten zu wissenschaftlichen Vorträgen strömen, lohnt der Aufwand. Zwar konnte in der Pressekonferenz kein Mensch richtig plausibel machen, warum Wissenschaftler aus Ithaka/USA, Utrecht, Bologna, Amsterdam, London und von der Sorbonne eingeflogen werden müssen, doch im Filmprogramm erfreuen nette Ausgrabungen.
Und vielleicht ist sogar eine Podiumsdiskussion mit dem unsäglich konturlosen, abgeschmackten Titel „Wie sieht das Kino der Zukunft aus“ erträglich, wenn sich kluge Menschen seiner annehmen.
Daß die Mannschaft um Schenk die Sache mit dem Erlebnis selbst virtuos beherrscht, zeigt die Neuschöpfung eines, ach was, DES Bremer Filmpreises. Weil die Marketinggesellschaft Kohle nur bei Veranstaltungen mit überregionaler Strahlkraft spendiert, kreiert man eben eine solche. Da paßt es gut, daß Bruno Ganz am 22.1., um 14h gerade Zeit hat, 15.000 Mark von der Bremer Sparkasse aus den Händen Henning Scherfs abzugreifen; zumal er in der Hübner-Ära am Bremer Theater seine ersten Meriten erwarb, und gerade sein neuer Film „Die Ewigkeit und ein Tag“ die Goldene Palme erhielt. Und prompt interessiert sich ARTE und das ARD (allerdings nur das Nachtprogramm) für das Bremer Symposium. Daraus folgt: Erlebnis ist Marketing. Oder Timing? Oder das Unvorhersehbare beim Stochern im Nebel.... bk
22.-24.1. im Kino 46
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