: Wenn das Land der Täter an die Opfer erinnern will
■ Die Deutschen und die Debatte um das Holocaust-Mahnmal: Eine endlose Entscheidung. Der neueste von Staatsminister Naumann inspirierte Entwurf „Eisenman 3“ hat gute Chancen
Der Stelenwald des New Yorker Architekten Peter Eisenman trägt inzwischen die Abkürzung „Eisenman3“. Es ist die dritte Fassung des Ursprungsentwurfs. Schon 1995 war – von Bund, dem Land Berlin und Lea Roshs Förderverein – ein anderer Mahnmalsentwurf beschlossen worden, der im letzten Moment verworfen wurde. Fast elf Jahre währt die Mahnmalsdebatte nun, ihre Windungen, Brüche, Zäsuren und Neuanfänge füllen ganze Bücher. Daß die Deutschen es sich mit der Entscheidung leichtgemacht hätten, kann man nun wirklich nicht behaupten.
Der erste Entwurf, den Peter Eisenman gemeinsam mit Richard Serra erarbeitet hatte, umfaßte noch das gesamte Areal südlich des Brandenburger Tores und 4.200 Stelen. Das war Kanzler Kohl damals zu groß. Kohl hatte schon zuvor den bereits verabschiedeten Entwurf (die „Grabplatte“ von Jacob-Marcks) als zu monströs abgelehnt. Diesmal einigte sich Kohl freilich mit den Architekten auf eine kleinere Version: „Eisenman2“ sieht 2.700 von Bäumen eingefaßte Stelen vor.
Der aktuellste Entwurf, „Eisenman3“, verbindet ein nochmals verkleinertes, nun 2.000 Stelen umfassendes Mahnmal mit einem 115 Meter langen Museums- und Bibliotheksriegel. Dieses Modell geht auf die Initiative des Staatsministers für Kultur, Michael Naumann (SPD), zurück, der Eisenmans stilisierten Grabwald mit Museum, Bibliothek, einer Holocaust-Forschungsstelle und vier unterirdischen Austellungsräumen ergänzen will. „Eisenman3“ ist eigentlich der Entwurf von gleich vier Autoren: Serra, Kohl, Naumann und Eisenman.
Die wesentliche ästhetisch-politische Frage an Naumanns Korrektur des Eisenman-Entwurfs lautet: Ergänzt das Dokumentationszentrum den Stelenwald, oder beschädigt die mehr als hundert Meter lange und zwanzig Meter hohe „Wand der Bücher“ die Gedenkstätte? Nach dem nun vorliegenden, noch recht groben Modell ist diese Frage nur provisorisch beantwortbar. Schwer zu sagen, ob dieses Gebäude aus Glas und Stahl als massiver Blickfang oder eher transparent wirken wird. Falls es Eisenmans Stelenfeld optisch dominiert, verkümmert die Kunst zum Dekors der didaktisch-historischen Abteilung.
Die Mahnmalsdebatte ist und bleibt eine langwierige Diskussion, gekennzeichnet von Überarbeitungen, halbherzigen Revisionen und einer manchmal schwer zu durchblickenden Melange von Interessen, Ideen und Widersprüchen. Das Für und Wider läuft quer zu den Parteiengrenzen: Manche Rechte sind für das Mahnmal, manche Linke dagegen – und vice versa. Manche befürworten politisch das Mahnmal, aber ästhetisch sind sie dagegen, bei andereren ist es gerade andersherum.
Dieses Mahnmal ist etwas historisches Neues: ein Denkmal, das im Land der Täter den Opfern gewidmet werden soll. Von Beginn an war klar, daß es niemals allen gefallen würde. Und das ist auch gut so. Jede Erinnerungspolitik in Deutschland ist nur als ein unabgeschlossener Prozeß denkbar, der in keiner gültigen, alle Widersprüche versöhnenden Form enden kann: Ein Ergebnis, das alle zufriedenstellen würde, käme einer Art Schlußstrich nahe.
Die letzte Entscheidungsbefugnis lag bis zum September letzten Jahres beim damaligen Kanzler Kohl, der seit Bitburg für ebenso eigenwillige wie unerfreuliche historische Gesten bekannt ist. Erinnerungspolitik wurde in der Kohl- Ära zur Privatsache des Kanzlers, der, wie in Feudalzeiten, nach Geschmack und Laune entschied. Man mag darin ein Symbol für die Privatisierung der gesamten Politik sehen.
Michael Naumann scheint, argumentativer und in leiserem Ton, diese Tradition fortzusetzen. Ist „Kontinuität“ auch hier die Leitidee rot-grüner Politik? Nicht ganz. Denn Rot-Grün hat die Bedingungen fundamental verändert. Die Zeit einsamer Fürstenentscheidungen ist vorbei, das Parlament wird das letzte Wort haben. Die besten Chancen dürfte dabei „Eisenman3“ haben. Allerdings hat die bisherige Debatte eines mit Gewißheit gezeigt: Der Eigensinn der Deutschen ist, wenn es um das Mahnmal geht, kaum zu unterschätzen. Stefan Reinecke
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