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„Laßt mich dort, versteint, am Steine ruhn“

Im Zentrum Berlins soll im Goethe-Jahr neben dem Holocaust-Mahnmal ein zentrales Goethe-Denkmal errichtet werden. Ein privater Förderverein macht sich dafür stark – rechtzeitig, bevor der Bundestag über die Gestaltung der Berliner Mitte berät  ■ Von Jörg Magenau

1999 ist Goethe-Jahr. Was sind schon 10 Jahre Mauerfall und 50 Jahre Bundesrepublik gegen 250 Jahre Goethe? Was wäre die Nation ohne ihren Dichterheiligen, ihr bürgerliches Originalgenie? Kurz vor dem Ende des Jahrhunderts bekommen die Deutschen noch einmal Gelegenheit, sich in Goethe ihrer selbst zu vergewissern und die uneingeholten Ideale von Aufklärung und klassischem Humanismus ins nächste Jahrtausend zu tragen.

Während die Debatte um das Berliner Holocaust-Mahnmal im von Staatsminister Michael Naumann initiierten Kompromiß-Entwurf des Architekten Peter Eisenman kulminiert, hat sich in Berlin vor wenigen Wochen ein „Förderverein der Freunde eines zentralen Goethe-Denkmals“ gegründet – ein Kreis von Künstlern, Publizisten und finanzkräftigen Unternehmern, die vorerst noch anonym bleiben möchten. Der Förderkreis will mit dem Goethe-Jahr Ernst machen und startete eine Initiative für ein zentrales Goethe-Denkmal in Sichtweite und mit innerem Zusammenhang zum Holcaust- Mahnmal. Damit droht die schwierige Debatte sich nun noch weiter zu verkomplizieren. Und doch kommt der Vorschlag gerade noch zur rechten Zeit, bevor der Bundestag sich voreilig auf einen halbherzigen Kompromiß verständigt. Mit Goethe könnte nun auch über das Holocaust-Mahnmal noch einmal neu nachgedacht werden und die verfahrene Debatte auf eine breitere Basis gestellt werden.

Der Sprecher des Fördervereins, der Lyriker Torsten Krause, sagte gegenüber der taz: „Es ist ein unwürdiger Zustand, daß es auch 250 Jahre nach der Geburt des größten deutschen Dichters immer noch kein zentrales Goethe-Denkmal gibt, mit dem der Staat sich vorbehaltlos zur Tradition der Aufklärung und zum klassischen Erbe als Verpflichtung bekennt, zur Politik der Kunst und zur Kunst der Politik. Wir wollen die Gedenk-Bemühungen des Goethe-Jahres in einer gemeinsamen Anstrengung bündeln und ihnen ein Zentrum geben: Goethe im Herzen der Berliner Republik.“

Goethe selbst ging Fragen des Nachruhms durchaus beherzt und unverkrampft an. „Ihr könnt mir immer ungescheut / Wie Blüchern Denkmal setzen; / Von Franzen hat er euch befreit / Ich von Philisternetzen“, dichtete er in den „Zahmen Xenien“ in eigener Sache und ahnte zugleich, daß die Sache wie stets an der Finanzierung scheitern könnte. In den „Zahmen Xenien“ heißt es weiter: „,Zu Goethes Denkmal, was zahlst du jetzt? / fragt dieser, jener und der. – / Hätt ich mir nicht selbst ein Denkmal gesetzt, / Das Denkmal, wo käm es denn her?“

Nach ersten Berechnungen des Vereins zur Förderung eines zentralen Goethe-Denkmals wären nicht einmal 20 Millionen Mark nötig, um ein durchaus monumentales Szenario zu entwickeln. „Es liegt ja auf der Hand“, so Torsten Krause, „die Stätte in größter räumlicher Nähe zum umstrittenen Holocaust-Mahnmal – am besten als zusammenhängende Einheit und kostengünstig in einem Zug – zu errichten, so wie ja auch Weimar und Buchenwald als zwei originäre Pole der deutschen Geschichte, Licht und Dunkel, nicht auseinanderzudividieren sind.“

Der Gedanke, im Herzen Berlins ein kontrastives Gedenk-Tableau zu schaffen, ist in der Tat bestechend. Das Wissen um die Labilität der Zivilisation und ihren möglichen Umschlag in Barbarei wäre unvollkommen, würde nicht im Zusammenhang damit die klassische Epoche als früher Höhepunkt deutscher Kulturgeschichte kenntlich: Erst in der Fallhöhe von der Hochkultur ins KZ ist das ganze Ausmaß des Zivilisationsbruchs der Massenvernichtung abzulesen. Ein Goethe in Sichtweite der nach derzeitiger Lage der Dinge 1.700 Stelen des Eisenman- Entwurfes, der dann allerdings noch einmal – Goethe-integrierend – zu überarbeiten wäre, würde einen anderen, positiven Beitrag der deutschen Kultur zur Weltgeschichte erinnern: nicht als Relativierung, sondern als Ergänzung. Erst dann ließe sich das ganze Spannungsfeld ausmessen, in dem die deutsche Nation sich zu definieren sucht.

Im Gegensatz zur notwendigen symbolischen Abstraktheit eines Holocaust-Mahnmals wäre das zentrale Goethe-Denkmal als überlebensgroße Goethe-Figur zu gestalten. Der Glaube an die originäre Schöpferkraft des Subjekts war ja das Kennzeichen der Genie- Epoche, und so ist ein beherzt ausschreitender, nach Süden in die italienische, europäische Zukunft blickender Dichter ihr treffendes, modernes Zeichen. „Was Entwürfe zu Monumenten aller Art betrifft“, läßt Goethe den Architekten in den „Wahlverwandtschaften“ sagen, „derer habe ich viele gesammelt und zeige sie gelegentlich; doch bleibt immer das schönste Denkmal des Menschen eigenes Bildnis.“ So fügt es sich auch in unser von Aufbruchspathos und Ärmelaufkrempeln geprägtes Fin de siècle, wo Kanzler Schröder in seiner Neujahrsansprache ganz selbstverständlich an die Tatkraft jedes Individuums appellierte, um jeden vergessenen Arbeitslosen aufzurütteln: Jeder Mensch ist ein Genie, und Goethe könnte das optimistische Leitbild der Epoche sein.

Der Förderverein schlägt vor, die zentrale Goethe-Statue in eine Gartenanlage einzubetten, die Ebenmaß und Ordnung ebenso wie sturm- und dranghafte natürliche Wildheit symbolisiert. Torsten Krause: „Das Denkmal soll durch eine Ginkgoallee vom Brandenburger Tor aus zu erreichen sein.“ Ginkgo deshalb, weil Goethe zu diesem Baum stets ein besonderes Verhältnis unterhielt und ihm eines seiner bekanntesten Gedichte widmete (vgl. Siegfried Unseld: „Goethe und der Ginkgo – ein Baum und ein Gedicht“). Der Förderverein orientiert sich in seinen Vorstellungen darüber hinaus an den Visionen, die Goethe im dritten Aufzug des Dramas „Die natürliche Tochter“ dem Herzog in den Mund legt, wo es heißt: „Ein Denkmal nur, ein Denkmal will ich stiften / Von rauhen Steinen ordnungslos getürmt. / Dorthin zu wallen, stille zu verweilen, / Bis ich vom Leben endlich selbst genese. / O! laßt mich dort, versteint, am Steine ruhn! (...) Mag sich umher der freie Platz berasen! / Mag sich der Zweig dem Zweige wild verflechten, / Der Birke hangend Haar den Boden schlagen, / (...) Ich fühle keine Zeit; denn sie ist hin, / An deren Wachstum ich die Jahre maß.“

Es ist verblüffend, wie konkret Goethes Denkmal-Konzeption auf den von Akademie-Präsident György Konrád präferierten Holocaust-Park vorausweist; beide Anlagen könnten nahtlos ineinander übergehen. Auch der Kulturbeauftragte der Bundesregierung, Michael Naumann, hat bereits signalisiert, daß er sich „einen Garten des Spiels und der Besinnung“ sehr gut vorstellen könne. Dieser müsse jedoch mit einem „Haus des Erinnerns“ verbunden sein, einem Gebäude, das architektonisch zu verstehen gebe, daß es sich um „keinen Bürobau“ handle. Der neue Eisenman-Entwurf macht das nun möglich: Hier könnte neben einer großen Goethe-Forschungsstelle auch ein Goethe-Archiv untergebracht werden, eine Art pädagogische Leitstelle zur Verbreitung der Ideale der Aufklärung.

Für die Ginkgo-Allee und den Park wäre auf einige geplante Neubauten am südlichen Pariser Platz zu verzichten: ein Verlust, der zu verkraften wäre, gewönne man derart doch eine monumentale Freifläche, die über Goethe und das Holocaust-Mahnmal hinwegblicken läßt. Diese Lösung erscheint nun um so greifbarer, da im Streit um die Sicherheitskonzepte für die geplante US-Botschaft keine Einigung in Sicht ist und der Botschaftsbau an dieser Stelle zu scheitern droht. Der Eisenman- Entwurf könnte dagegen weitgehend in der überarbeiteten Fassung verwirklicht werden, wenn er um 180 Grad gedreht wird. Der den Raum anschließende Gebäuderiegel mit der Bibliothek der eine Million Bücher stünde dann am südlichen Ende als architektonisches Gegengewicht zu Goethe- Park und -Allee.

Sicher: Die Vorschläge sind gewagt und kommen vielleicht schon zu spät. Doch wer Visionen hat, muß sie auch umsetzen wollen. Schließlich war auch Goethe selbst städteplanerisch nicht zimperlich: „Da mir bekannt war“, schreibt er in der „Campagne in Frankreich“, „wie glücklich die Alten ihre Gebäude und Denkmäler zu setzen wußten, warf ich in Gedanken sogleich die sämtlichen Dorfhütten weg, und nun stand es (das Monument, J.M.) an dem würdigsten Platze.“ Der würdigste Platz aber kann nirgendwo sonst als hier sein: südlich des Brandenburger Tores und in Sichtweite des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude.

Kritisch zu den Vorstellungen des Förderkreises äußerten sich bereits die Schiller- Freunde aus dem schwäbischen Marbach, für die ein Goethe-Gedenken nicht vorstellbar ist, wenn dessen Antipode Schiller nicht mit einbezogen wird. „Das Goethe-Gedenken darf nicht das Schweigen über Schiller beinhalten“, heißt es in Marbach. Ein zentrales Denkmal müsse an alle deutschen Dichter und Denker erinnern, die in der Tradition von Aufklärung und Humanismus stehen. Aus Frankfurt und aus Weimar wurden zudem Ansprüche auf ein eigenes zentrales Goethe-Denkmal laut – schließlich dürfe der Föderalismus in der Berliner Republik nicht aufgegeben werden. Frankfurt als Geburtsort und Weimar als Wirkungsstätte sind demnach die natürlichen Orte des Goethe-Gedenkens, von denen abzuweichen nicht Kontinuität, sondern Bruch mit der Tradition bedeute.

Doch Frankfurt als europäische Bankenzentrale und Weimar als europäische Kulturhauptstadt haben 1999 bereits andere Aufgaben übernommen. In Weimar ist man derzeit mit der detailgetreuen Kopie von Goethes Gartenhaus beschäftigt. Ein zentrales Goethe- Denkmal würde dort leicht als weiterer Marketing-Gag mißverstanden. Ein offizielles Goethe- Denkmal als zentrales Bekenntnis der Berliner Republik kann nur in Berlin stehen. Und was das europäische Weimar betrifft, so gelten auch hier Goethes Worte: „O Weimar! Dir fiel ein besonder Los: / Wie Bethlehem in Juda, klein und groß! / Bald wegen Geist und Witz beruft dich weit / Europens Mund, bald wegen Albernheit.“

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