: Nach Caipirinha nun Dollars
Argentinien beginnt sich mit den Folgen der brasilianischen Krise auseinanderzusetzen. Denn es droht eine Rezession. Der US-Dollar soll den Peso ersetzen ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher
Immer die Ruhe bewahren, gaben die Chefs von Volkswagen Argentinien als Parole aus. „Tudo bem“ (Alles klar), wirbt der Autohersteller derzeit in ganzseitigen Anzeigen auf portugisisch. Den Golf und den Polo können die Argentinier weiterhin auf Pump kaufen, und zwar zu null Prozent Zinsen. Damit wollte Volkswagen vormachen, daß die Brasilien-Krise den Chefs kein Kopfzerbrechen bereitet, sondern sie Vertrauen in die argentinische Wirtschaft haben.
Der Haken stand mal wieder im Kleingedrucken. Die Kredite müssen in Dollar unterzeichnet werden, nicht in der argentinischen Währung Peso. Im Falle einer Abwertung hätte der Schuldner zwar ein schickes Auto, aber Schulden in Dollar. Und das würde ihm einige Probleme bereiten, denn Löhne und Gehälter werden in Argentinien in Peso ausgezahlt.
Seit 1991 ist der argentinische Peso fest an den Dollar gekoppelt, ein Peso ist ein Dollar wert. Die argentinische Zentralbank strebt sogar eine Währungsunion mit den USA an, wie gestern bekannt wurde. In ein bis zwei Jahren könne Argentinien seine Finanzen vollständig auf Dollar umstellen, sagte Zentralbankchef Pedro Pou. „Wenn unsere Währung Dollar statt Peso hieße, müßten wir uns nicht mehr mit den ständigen Zweifeln an unserer Währungspolitik auseinandersetzen“, sagte Pou. Dafür müsse Argentinien einen Vertrag mit den USA schließen, dem sich auch andere lateinamerikanische Staaten anschließen könnten. Der Sinn einer solchen Aktion ist fragwürdig, da nur die US-Notenbank Dollar drucken kann und über den Zinssatz auch die Geldmenge kontrolliert. Die USA hätten mit einer Anbindung einen großen Einfluß auf die argentinische Wirtschaft.
Mit der bisherigen Dollar- Kopplung ist der argentinische Peso überbewertet, allerdings wird nicht gegen ihn spekuliert. Auch flohen ausländische Anleger bislang nicht aus Argentinien und ließen ihr Geld im Land. Eine Kapitalflucht hätte verheerende Auswirkungen gehabt, da Argentinien auf ein stark von ausländischen Kapitalgebern abhängiges Entwicklungsmodell baut. Anders als Brasilien lagern in den Tresoren der Zentralbank ausreichend Reserven, um den Peso zu stützen. Derzeit freut sich der Wirtschaftsminister über den Rekordstand von 34 Milliarden Dollar. Das entspricht weit über 100 Prozent der Bargeld- und Sichteinlagen.
Argentinien hat dennoch mit Rezession zu rechnen. Brasilien ist der wichtigste Handelspartner, gut ein Drittel aller Exporte fließen in das Land. Im vergangenen Jahr verkauften argentinische Firmen Waren im Wert von acht Milliarden Dollar nach Brasilien. Mit der Abwertung des brasilianischen Real sinkt die Kaufkraft für Waren aus Argentinien, da die Preise auf dem brasilianischen Markt steigen – also wird weniger abgesetzt werden. Da auch andere südamerikanische Länder abgewertet haben, muß Argentinien mit starken Einbußen im Export zu rechnen. Ohnehin ein wunder Punkt der argentinischen Wirtschaft, denn die Handelsbilanz ist traditionell negativ. Der Staat wird noch weniger Steuern einnehmen, und schon jetzt sind die Staatsausgaben auf ein Minimum gesenkt. Präsident Carlos Menem rechnet vorsichtig mit einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent in diesem Jahr.
Die null Prozent Zinsen bei der VW-Bank in der Krise sind übrigens keine Überraschung. Der Autobauer hat es dringend nötig, die Nachfrage auf dem argentinischen Markt zu erhöhen. Gerade die Automobilindustrie leidet in Argentinien unter der Brasilien-Krise. Im vergangenen Jahr wurden in Argentinien 458.000 Autos hergestellt, die Hälfte davon ging in den Export – 200.000 allein nach Brasilien. In den Ford-Werken in General Pacheco in der Provinz Buenos Aires wurden 1.400 Arbeiter vorübergehend beurlaubt. Für 15 Monate bekommen sie ihren Lohn weitergezahlt, der allerdings bei einer möglichen Entlassung auf die Abfindung angerechnet wird. Ford liegt nach der Mineralölfirma YPF auf Platz zwei der größten argentinischen Exporteure im Handel mit Brasilien. Etwa 75 Prozent der argentinischen Ford-Produktion fließen dahin. Schon vor einigen Monaten, als Brasilien ins Wanken kam, stellten Ford und Fiat in Argentinien die Bänder langsamer.
Neue Exportmärkte für Autos sind schwer zu finden. Ähnlich geht es der Textilindustrie, die in Brasilien bislang ihren größten Abnehmer hat. Daher macht sich Präsident Menem zum ersten Mal Gedanken darüber, wie er einer Wirtschaftskrise begegnen könnte. Am Mittwoch kündigte er an, die Steuerverpflichtungen für einige Betriebe zu senken. Den Unternehmern geht das nicht weit genug. Für den mächtigen Industriellen Franco Macri ist Argentinien von der Brasilien-Krise überrascht worden. „Immer wurde gedacht, es sei alles in bester Ordnung, und jetzt auf einmal merken wir, daß es Probleme mit unserer Wirtschaftspolitik gibt.“ Indes denken argentinische Zeitungen darüber nach, wie man die Krise nennen soll. Während die einen von „Samba- Effekt“ schreiben, haben sich die anderen längst für „Caipirinha-Effekt“ entschieden.
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