Aufbruch in eine begehrende Lebendigkeit

■ Geschmeidig und in ihrer Schönheit bestürzend traurig – gefangene Panther im Käfig. „Cuerpo de sombra y luz“ aus Barcelona brachte den Tanzwinter im Hebbel-Theater zum Glühen

Plötzlich ist man mittendrin in einer Vorstellung, die so mit Bildern und Gefühlen berauscht, als ob sich die Filmregisseure Peter Greenaway und Pedro Almodovar verbündet hätten. So geschehen in dem Tanzstück „Cuerpo de sombra y luz“, das die Gruppe Lanònima Imperial aus Barcelona im Hebbel-Theater zeigte: An die Filme des Engländers erinnert das wehmütige Schwelgen in Zitaten aus der Kunst der Vergangenheit, die im Bühnenbild von Paloma Navares und in der Musik von Joan Saura und Xavier Maristany mit der Gegenwart verflochten werden. Mit dem spanischen Regisseur verbindet die Choreographie von Juan Carlos Garcia, daß er vom Rhythmus des Verliebtseins die Dynamik des Tanzgewebes strukturiert.

Zu Beginn sieht man in der Projektion auf die Bühnenrückwand Panther durch ihren Käfig laufen: weich, geschmeidig und doch in ihrer Schönheit bestürzend traurig, weiß man doch, daß wir dies so nah nur beobachten können unter der Voraussetzung ihres Gefangenseins. Die sieben Tänzer stehen in einer Reihe davor, selbst wie hypnotisiert von diesem Bild. Später, wenn sich die vielfältigen Bewegungslinien zwischen ihnen verzweigt haben und zu einer drängenden Woge zusammengeflossen sind, werden die Schatten der Tiere zurückkehren. So stimuliert das Gefühl des Verlustes und des Mangels den Aufbruch in eine begehrende Lebendigkeit.

Sie springen, stürzen, schleudern und rollen: Doch dies athletische Aktionsprogramm wächst aus fließend weichen und intimen Bewegungen, die erst wie im Halbschlaf, in großer Selbstvergessenheit beginnen. In Leuchtkästen zeigt Paloma Navares Fragmente von Gemälden der Renaissance wie die Brust einer Venus. Eine Tänzerin, die dies Lichtbild in den Arm nimmt, verschwindet dahinter im Halbschatten und sackt sacht zusammen unter dem Gewicht des historischen Ideals. „... diese Bilder versöhnen uns mit der Unmöglichkeit, die Welt ganz erfassen zu können“, schreibt Juan Carlos Garcia zu Navares Fragmentierungen des Körpers. Seine Choreographie versucht Gegenwart und Geschichte wieder zusammenzubiegen: Irgendwo zwischen Überlieferung, Kitsch, Traum, Wunsch, Fremd- und Selbstwahrnehmung sucht sich der Körper seiner Gegenwärtigkeit zu vergewissern.

Garcia, der in Berlin vergangenes Jahr an der Komischen Oper Berlin „Landschaft mit Schatten“ choreographierte, war der dritte Gast im Tanzwinter des Hebbel- Theaters. Anläßlich seines zehnjährigen Bestehens hat das Theater Compagnien aus Frankreich und Spanien eingeladen, die schon öfter in Berlin tanzten. Das allerdings trug der Intendantin Nele Hertling den Vorwurf ein, sich nicht mehr genügend nach neuen Entwicklungen umzuschauen. Sie aber setzt bewußt auf Wiederbegegnungen, um auch in der flüchtigen Kunst des Tanzes eine Qualität zu ermöglichen, die erst mit der Erfahrung entstehen kann.

So kommt als nächste Francesca Lattuada wieder, die in ihrem letztjährigen Stück mehr durch bizarre und mythologisch überladene Bilder beeindruckte denn durch das tänzerische Potential. Ebenso wie ihr langjähriger Komponist Jean- Marc Zelwer scheint sie überall auf der Welt Material zu sammeln und in modernen Konflikten nach atavistischen Ritualen zu graben. Für ihre diesjährige Produktion „Le Testament d'Ismail Zotos“ hat sie in der Hinterlassenschaft eines Anthropologen Stoff gefunden. Katrin Bettina Müller

Francesca Lattuada, Hebbel- Theater, 26./27. Januar, 20 Uhr