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Panik in Legoland

Weil die bunten Steine bei Kindern out sind, wird nun jeder zehnte bei Lego entlassen. Ein harter Schlag für Billund, wo die Spielzeugfirma der größte Arbeitgeber ist  ■ Aus Billund Reinhard Wolff

Billund ist Legoland. Nicht das aus den bunten Noppensteinen in Kleinformat ganz in der Nähe, Jütlands sommerliche Hauptferienattraktion für alle Familien mit Kindern, sondern die richtige Legostadt. Die heute vermutlich auch nicht viel größer wäre als das Dorf mit einem Dutzend Häusern, das Billund war, als Ole Kirk Christiansen 1932 mit der Herstellung von Holzspielsachen das aufzubauen begann, was dann der Kern des Lego-Imperiums werden sollte. Knapp 10.000 EinwohnerInnen zählt Billund heute und hat Dänemarks zweitgrößten Flughafen. Lego ist der einzige große Arbeitgeber. 4.000 arbeiten dort – weitere 6.000 in anderen Lego-Fabriken rund um die Welt.

Nun dezimiert Lego seine Belegschaft. Zehn Prozent weniger sollen es werden, nicht nur in Billund, sondern durchweg in allen Lego-Fabriken, so lautete die bittere Botschaft von Lego-Chef Kjeld Kirk Kristiansen, Enkel des Firmengründers, Ende letzter Woche. Dies ist Resultat des ersten Geschäftsjahres überhaupt in der 67jährigen Geschichte des Unternehmens, welches mit fetten roten Zahlen endete. Doch angekündigt hat sich der Lego-Niedergang schön länger. 1995 wurde zum letzten Mal kräftig Gewinn gemacht, in jenem Jahr konnten sich die Nachfahren des Firmengründers auch „Dänemarks reichste Familie“ nennen. In den Jahren danach gingen die Bilanzen im wesentlichen gerade noch so auf. Mit immer schneller wechselnden und immer mehr spezialisierten – und teuereren – Modellprogrammen versuchte man bei Lego den Fuß in der Kinderzimmertür zu behalten, doch erreichte damit eher das Gegenteil. In immer mehr Kinderzimmern sind die bunten Lego-Klötze out, ersetzt durch andere Spielsachen, vor allem Video- und Computerspiele.

Nachdem Lego die technische Entwicklung zunächst gründlich verschlafen hatte, versuchte man die Noppensteine ins Computerspielzeitalter hinüberzuretten. „Panik auf der Lego-Insel“ hieß das erste CD-Spiel von Lego-Media – vermutlich gar nicht so gemeint, aber absolut passend. Denn der erhoffte Erfolg blieb aus: Der computerisierte Legostein hat das Unternehmen bislang nur Geld gekostet. Das gilt insbesondere für die Lego-Entwicklungsgesellschaften LMX und Purup-Eskofot, die ebenfalls im Eigentum der Lego-Familie von Kirk Christiansen stehen.

Auf 300 bis 400 Millionen Kronen schätzen dänische Wirtschaftszeitungen die Lego-Verluste des vergangenen Jahres. Was zwar das kapitalschwache Familienunternehmen, das Lego nach wie vor ist, noch lange nicht an den Rand des Konkurses gebracht hat: doch mehr als zwei solche Verlustjahre kann man sich kaum leisten, dann werden die Reserven dünn. Ganz so schwarz wollte Kjeld Kirk Kristiansen die Lage nicht beschreiben: Eine „Fitneßkur“ sei nötig, formulierte der Lego-Direktor. Sie soll dem Konzern immerhin Einsparungen von rund einer Milliarde Kronen (rund 400 Millionen Mark) bringen. Den Hauptteil will man durch die Stellenkürzung mit Entlassung von rund 1.000 Beschäftigten zusammensparen sowie durch eine interne Organisationssreform.

Das wird Lego nicht leichtfallen. Schon lange wird dem Spielzeughersteller in Dänemark vorgeworfen, sich auf verwelkten Lorbeeren auszuruhen. „Es ist schwer, mit Veränderungen in Gang zu kommen in einem Konzern, der so an Erfolg gewöhnt ist“, gab denn auch Kristiansen zu. Aussichtsreiche neue Ideen, wie man jenseits des nachgebenden Markts der traditionellen Bauklötze und im übervölkerten Markt der Computerspiele Fuß fassen kann, hat man in Billund offenbar noch nicht gefunden. Statt dessen will man auf Disney-Spuren neue Vergnügungsparks à la Legoland eröffnen und neue Märkte erschließen für die alten Produkte. Bei letzterem setzt Lego verstärkt auf China, Indien, Osteuropa und Rußland. Schließlich, so Kristiansen, betrage der Umsatz des gesamten Spielzeugmarkts rund 100 Milliarden Mark jährlich, da werde wohl auch Platz für Lego als weltweit fünftgrößter Produzent und seine Produkte sein. Die Firma ist bereits in 30 Staaten vertreten.

Doch zunächst wurde aufgrund der Verluste auch die Entscheidung, ob in Günzburg der erste Lego-Freizeitpark Deutschlands entsteht, erst mal auf Herbst verschoben. Zumindest in Billund herrscht trotz der ersten Schrecken über die Entlassungswelle Zuversicht, daß Lego schon wieder auf die Füße kommen werde. „Was bleibt uns auch anderes übrig“, meint „Pölse- Kirsten“, die Frau in der Würstchenbude auf dem kleinen Marktplatz: „Billund ist Lego.“ Was man schon merkt, wenn man sich der Kleinstadt nähert und von meterhohen Legoklötzen neben der Straße begrüßt wird. Die Familie Kirk Christiansen hat Billund erst zu dem gemacht, was es heute ist. Welche dänische Stadt mit kaum 10.000 EinwohnerInnen kann schließlich nicht nur eine eigene Schwimmhalle ihr eigen nennen, sondern auch ein Kulturzentrum und einen Theatersaal? Und einen eigenen Flughafen? Lego beherrscht das gesamte Stadtbild, bis hin zum Stadtwappen im Rathaussaal, das von einem Kranz aus Legosteinen umrandet ist. Die Lego- Fabriken und -Verwaltungsgebäude verteilen sich so weiträumig über den ganzen Ort, daß eigene Buslinien die Angestellten zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen hin und her verfrachten.

Vertrauen in die Leitung hat auch Betriebsrätin Lene Knudsen. Sie hofft vor allem, daß in der Organisation gründlich aufgeräumt wird. „Es ist eine mittlere Verwaltungsschicht entstanden, die es schwergemacht hat, Entscheidungen zu treffen. Die Kommunikation von oben nach unten hat nicht funktioniert und die von unten nach oben auch nicht – und das war frustrierend.“ Die vom Chef angekündigte Fitneßkur, die wohl eher eine Roßkur werde, war überfällig und werde schon das erhoffte Resultat bringen.

Doch bevor das so weit sei, hat die Betriebsrätin erst einmal eine Aufgabe, auf die sie gerne verzichtet hätte: Die zehn Prozent, die gehen müssen, werden Namen, Fleisch und Blut erhalten. Und sie muß über das Schicksal der bisherigen ArbeitskollegInnen mitbestimmen. Bald 20 Jahre ist Lene Knudsen bei Lego: Doch diese Entlassungen hätte sie nicht erwartet. „Und darauf hätte ich auch gern verzichtet.“

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