: Der Duft der Münchener Berber
■ Als er in der Schauburg seinen neuen Film „Fette Welt“ vorstellte, sprach der Regisseur Jan Schütte mit der taz
Die Welt, die dieser Film uns zeigt, ist alles andere als „fett“: Aus der Untersicht der Obdachlosen, der Penner, sehen wir das heutige München. In Rohbauten, auf öffentlichen Toiletten oder unter den Isarbrücken schläft die Handvoll von Unglücksraben, die die Helden dieses ganz untypischen deutschen Films sind. Große Dramen sind für Schütte nicht nur unter Königen oder Villenbesitzern möglich. Und so erzählt er in „Fette Welt“ eine Liebesgeschichte, die dadurch, daß sie auf der Straße stattfindet, nichts an Intensität und Dramatik verliert.
taz: Herr Schütte, in „Drachenfutter“ erzählen Sie von chinesischen Köchen in Hamburg, in „Winkelmanns Reisen“ von einem Handelsvertreter in der Provinz, und in „Auf Wiedersehen Amerika“ von jüdischen Emigranten, die im Alter wieder aus den USA zurück nach Polen reisen. In Erinnerung blieb immer eher das Milieu als der Plot, und auch „Fette Welt“ beeindruckt in erster Linie durch die genau beobachteten Details. Interessieren Sie als Filmemacher diese kleinen Welten mehr als die Geschichten?
Jan Schütte: Ich hoffe, dabei jeweils ein Gleichgewicht zu finden. Aber tatsächlich ist für mich die stimmige Atmosphäre wichtiger als bei anderen Filmemachern. Ich war ja früher mal Reporter und recherchiere für jeden Film sehr lange. Ich muß das Umfeld genau kennen, muß mich da wohlfühlen und wissen, wie es da riecht.
Das glaubt man nach den ersten drastischen Minuten des Films auch zu wissen. Die Szenen steigen einem förmlich in die Nase. Warum dieser Schockeffekt?
Die ersten fünf Minuten eines Films müssen für mich so sein, daß sich jeder in die Lage des Protagonisten hineinversetzen kann. Dafür haben wir die Szene gedreht, in der Jürgen Vogel in einem Bahnhofsklo schlafen muß. Und diese Vorstellung ist grauenvoll, die ist auch für jeden Penner grauenvoll. Ich wollte solch ein Bild haben, bei dem jedem klar wird, was es heißt, auf der Straße zu leben. Danach kann der Film dann anfangen.
Der Film ist fast mathematisch genau in zwei unterschiedliche Hälften geteilt. In der ersten erleben wir ein paar Tage und Nächte mit einer Gruppe von Obdachlosen, in der zweiten folgen wir dann einem von ihnen, den Jürgen Vogel spielt, in eine Liebesgeschichte, die ihn aus dem Milieu und von München nach Berlin führt. Warum diese Zäsur?
Penner leben ja sehr statisch, die haben kein Ziel, keine Dynamik. Das sind keine CDU-Unternehmer, die irgendwohin wollen. Und wenn ein Film über sie wahrhaftig sein soll, muß er solch eine Stimmung widerspiegeln. Deshalb ist der Beginn des Films sehr verhalten. Das sind Szenen, in denen durchaus Leben ist, aber die keine Richtung haben. Wenn man einen Film über einen Penner macht, der fremde Frauen oder fremde Länder erobern will, dann ist das schon vom ersten Augenblick an eine Lüge.
Aber die Figur, die Vogel spielt, ist kein richtiger Penner, den haben nicht die Verhältnisse in diese Situation gezwungen. Wie kommt eine solche Figur in Ihren Film?
Der Film basiert auf einem autobiographischen Roman von Helmut Krausser. Der war schon Schriftsteller, bevor er Obdachloser wurde. Das war für ihn mehr so eine Art Boheme-Experiment der 80er Jahre. Und er hat sich dann auch ganz schnell entschlossen, das Milieu wieder zu verlassen. Auf seinem alten Ego basiert der Protagonist, auch wenn ich dessen Motivation im Dunkeln lasse. Die Liebe ist für ihn eher der Auslöser, sich aus der Apathie zu lösen, dahinter gibt es tiefere Gründe. Er hat sich einmal entschieden, so zu leben, und solch eine bewußte Entscheidung kann man auch wieder ändern.
In der Ersatzfamilie der Penner spielen Laien aus dem Milieu neben Profi-Schauspielern. Wie war diese Zusammenarbeit?
Es war mir wichtig, daß in dem Film nicht nur Schauspieler schauspielern. Das hätte nur ausgedacht gewirkt. Und die Gesichter der Leute, die zwanzig Jahre Alkohol und Straße hinter sich haben, kann man nicht hinschminken. Deren Körperhaltung und Kleidung kann keiner einfach so darstellen. Wir haben da eine tolle Mischung gefunden, und es gab beim Dreh keine Zweiklassengesellschaft. Wir haben zusammen gegessen und Bier getrunken. Nur wir konnten halt nach Feierabend nach Hause gehen. Der Produktionsleiter war allerdings ständig in Panik, denn die Penner mußten ja fünf Wochen lang regelmäßig wiederkommen, und wenn einer am nächsten Tag weggeblieben wäre, hätte unter Umständen der Anschluß nicht mehr gepaßt und wir hätten eine ganze Sequenz nochmal drehen müssen. Aber die kamen, manchmal waren sie schon 'ne Stunde vorher da und tranken ihr Bierchen.
Wie haben Sie es geschafft, daß die Schauspieler immer so heruntergekommen wirken?
Es gab eine Grundverabredung, daß wir keine Maske machen würden. Alle mußten sich Haare, Bärte und Fingernägel wachsen lassen. Einer ging sogar soweit, sich nicht zu waschen, aber das fand ich dann doch etwas übertrieben.
Fragen: Wilfried Hippen
„Fette Welt“ läuft ab Donnerstag in der Schauburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen