: Der Mythos der Viertagewoche ist dahin
VW Wolfsburg führt das konventionelle Dreischichtmodell wieder ein. Produktionsabläufe sollen besser organisiert werden. Im Betrieb ackern die Facharbeiter durchschnittlich 36 Stunden in der Woche ■ Von Barbara Dribbusch
Berlin (taz) – Das Modell galt als revolutionär, als Entwurf für eine Gesellschaft, in der viele weniger arbeiten, damit andere auch einen Job finden. Die sogenannte Viertagewoche beim VW-Konzern sollte zeigen, daß Arbeit neu verteilt werden kann. Doch jetzt ist der Mythos endgültig zerbröselt. Das VW-Werk in Wolfsburg kehrt zum traditionellen Dreischichtmodell zurück. Die Facharbeiter ackern ab übernächster Woche wieder von Montag bis Freitag eine Woche in Früh-, eine Woche in Spät- und eine Woche in Nachtschicht. „Die Produktionsabläufe lassen sich so besser organisieren“, erklärt VW-Sprecher Fred Bärbock.
Im Herbst 1993 hatte VW mit der IG Metall den berühmten Haustarifvertrag geschlossen, der für die 100.000 Beschäftigten des Konzerns die 28,8-Stunden-Woche festlegte und das Einkommen entsprechend senkte. Im Gegenzug garantierte die Geschäftsleitung, daß keiner von der Belegschaft betriebsbedingt gekündigt würde. „Ein wegweisendes Modell“ einer Arbeitsumverteilung, jubelten damals Sozialpolitiker.
In Wirklichkeit allerdings existierte die Viertagewoche von Anfang an vor allem auf dem Papier. In der Praxis ackerten die VW-Beschäftigten meist mehr als nur 28,8 Stunden, denn der Tarifvertrag erlaubte eine „Ausfaltung“ der Arbeitszeit auf bis zu 38,8 Stunden. Als die Autoindustrie boomte, standen auch die VWler meist wieder in Vollzeit am Band. Im Werk Wolfsburg arbeiteten die Autobauer im vergangenen Jahr im Durchschnitt 36 Stunden in der Woche, in diesem Jahr werde es nicht weniger sein, erklärt Bärbock.
Rechnerisch gilt die Arbeitszeit über 28,8 Stunden hinaus zwar als Mehrarbeit. Doch diese wird häufig ausbezahlt, mitunter durch Freizeit abgebummelt oder auf ein Langzeitkonto gelegt, um damit später den Vorruhestand mitzufinanzieren. Eine tatsächliche Viertagewoche blieb eine Seltenheit unter den VW-Beschäftigten.
Die neue Flexibilität führte in den Betrieben zu vielen unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen. Im VW-Konzern mußten die Personalplaner mehr als hundert verschiedene Arbeitszeitmodelle koordinieren. Allein nach einem Dutzend verschiedener Modelle ackerten die 21.000 Arbeiter in der Wolfsburger Produktion. „Der Personaleinsatz, die Freizeit, das war manchmal schwer abzustimmen“, sagt VW-Betriebsrat Bernd Osterloh, „wir hatten da schwere Verwirbelungen.“
Mit dem Chaos soll jetzt Schluß sein. Ab 8. Februar gilt für die Wolfsburger Autobauer ein einfaches Modell: Von Montag bis Freitag wird malocht, jeweils in Acht- Stunden-Schichten rund um die Uhr. Samstag und Sonntag sind frei. Alle neun Wochen haben die VWler eine Woche Urlaub. Rein rechnerisch gilt der Freitag als Mehrarbeit, „mit dem neuen Modell können wir die Arbeitszeit konjunkturabhängig gestalten“, so Bärbock. Wenn die VW-Modelle mal nicht so gut laufen, kann der Freitag als Arbeitstag gekippt werden. Allerdings soll in diesem Jahr die Produktion steigen.
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