: The American Way of Death
Todesarten, made in Hollywood: ein Mors ex machina um des lieben Friedens willen, zwei Herzinfarkte, mit großer Geste inszeniert, und einige Bemerkungen zu geschlechtsspezifischem Sterben. Über „Seite an Seite“, „Rendezvous mit Joe Black“ und andere Filme ■ Von Cristina Nord
Das Kuriositätenkabinett der Thanatologie hält einiges an Schmankerln bereit. Wer etwa hätte gedacht, daß es einen „schmaetzenden“ Tod gibt? Den will ein deutscher Arzt namens Garman im 17.Jahrhundert entdeckt haben, als er und seine Zeitgenossen meinten, aus den Grabstätten „Geräusche nach Art fressender Schweine“ zu vernehmen. Vertraut man den Forschungsergebnissen des Mediziners, so rührten diese Geräusche daher, daß die Toten ihre Leichentücher verschlangen. Als kompromißloses Gegenmittel empfahl Garman, den Verstorbenen den Kopf abzuschlagen.
Auch andere Wahrnehmungsweisen des Todes erscheinen heute zwar fremd, aber nicht ganz so abwegig wie Garmans „schmaetzender“ Tod. Da gibt es zum Beispiel die Figur des lüstern dreinblickenden Skeletts, das seine knöchrige Hand um die Schulter einer Jungfrau legt: Eros und Thanatos gehen eine makabre Ehe ein. Oder den ehrenhaften, den schönen Tod der Antike: Die Krieger sterben ihn im Kampf, Blut muß dafür fließen. Antigone, Heroin aus Sophokles' Tragödie, träumte von einem solchen Tod. Vergeblich – sie endete eingemauert in einer „Todesbrautkammer“, wo sie das Los ihrer Mutter Iokaste fortführte, indem sie sich erhängte. Der Tod durch den Strang, noch dazu durch eigene Hand herbeigeführt, galt den Griechen als weibliche Todesart – und als nicht zu überbietende Schande dazu. Schwert, Kampf und Ehre waren Männersache.
Im Kino kommt der Tod meistens wie in der griechischen Tragödie: gewaltsam. 1996 starben in der Bundesrepublik Deutschland 882.843 Menschen, davon wurden 1.249 umgebracht. Wollte man eine solche Statistik für die Leinwandtoten anlegen, man käme sehr wahrscheinlich zum umgekehrten Ergebnis. Wenige natürliche stünden einer Vielzahl unnatürlicher Tode gegenüber.
Das erstaunt nicht weiter, wenn man bedenkt, daß ein einziges Actionspektakel wie beispielsweise „Ausnahmezustand“ (mit Denzel Washington und Annette Benning in den Hauptrollen) gerade mal eine Minute braucht, um mit der Sprengung eines Gebäudes mehr als 600 Menschen ins Jenseits zu befördern – und diese 600 Toten sind wiederum nur ein Teil der Gesamtsumme, mit der der kürzlich angelaufene Film aufwartet.
Fast scheint es, als nähme die Zahl der Todesfälle im imaginären Raum der Leinwand um so rascher zu, je unsichtbarer der Tod im wirklichen Leben wird. Was in Film- und Fernsehbildern gar nicht präsent genug sein kann, wird diesseits der Leinwand sorgsam von den Blicken abgeschirmt: Man stirbt in der Abgeschiedenheit der Intensivstation. Der französische Historiker Philippe Ariès spricht in diesem Zusammenhang von einer Tabuverschiebung. War es vor hundert Jahren die Sexualität, die mit dem Schleier des Verbotenen belegt war, so ist es heute der Tod: „Früher“, schreibt Ariès, „erklärte man den Kindern, daß sie in einem Kohlkopf zur Welt kämen, aber man ließ sie bei der großen Abschiedsszene am Lager des Sterbenden zugegen sein. Heute werden sie im zartesten Alter in die Physiologie der Liebe eingeweiht, aber wenn sie ihren Großvater nicht mehr zu Gesicht bekommen und sich darüber wundern, sagt man ihnen, daß er in einem schönen Garten mit lauter Blumen ruht.“
Manchmal – und in letzter Zeit sogar recht häufig – interessiert sich auch das Kino für natürliche Todesfälle. Da ist zum Beispiel Martin Brests Drei-Stunden- Rührstück „Rendezvous mit Joe Black“, in dem der Tod in Gestalt Brad Pitts unter den Sterblichen wandelt, um an der Seite des Medienzars Bill Parrish etwas von der Welt zu sehen und mit dessen Tochter zu schlafen – wobei die Ehe von Eros und Thanatos in diesem Fall ganz unmorbide daherkommt, hollywoodgerecht eben. Auf Parrish nun wartet eine Abschiedsszene, die größer nicht sein könnte. Für seine letzten Stunden bekommt er ein üppig inszeniertes Fest mit einem nicht weniger üppigen Feuerwerk. Auch wenn hier einer eines natürlichen Todes stirbt – an einem Herzinfarkt vermutlich, im wirklichen Leben Todesursache Nummer eins bei Männern –, sind die Spuren einer anderen Situation nicht gelöscht. Das Knallen der Feuerwerkskörper deckt sich mit dem Geräusch von Schüssen, Parrish stirbt fast wie im Kampf – eine abgemilderte Version des ehrenhaften Todes. Von Siechtum keine Spur.
Dafür ist in „Rendezvous mit Joe Black“ eine Frau zuständig, eine Migrantin aus der Karibik, die ihre letzten Tage in der eher ärmlichen Atmosphäre eines Hospitals verbringt, von Schmerzen gequält. Die geschlechtsspezifischen Todesarten der Antike erweisen sich – wenn auch in modifizierter Form – noch heute als wirksam. Eine Ausnahme bilden da Filme zum Thema Aids – Norman Rens „Longtime Companion“ (1989) etwa oder Jonathan Demmes Oscar-prämierter „Philadelphia“ (1993). Bezeichnenderweise sind es schwule Figuren, um deren Leiden es hier geht. Kranke heterosexuelle Männer indes sind eine echte Rarität.
Bob Fosse rückte in „All That Jazz“ (1979) eine dieser seltenen Figuren in den Mittelpunkt. Roy Scheider gibt den in die Jahre gekommenen Broadway-Regisseur Joe Gideon, dem angesichts seines unsteten Lebenswandels die Luft ausgeht. Als nimmermüder Workaholic stirbt auch er an einem Herzinfarkt – gewissermaßen auf dem Feld der Arbeit wie Bill Parrish, und wie in „Rendezvous mit Joe Black“ wird sein Ableben mit großer Geste inszeniert – mit dem Unterschied, daß „All That Jazz“ das dem Tod eigene Moment der Überschreitung in einer überbordenden Theatralik, in immer neuen Tanznummern, in immer wilderen Kamerawinkeln, in immer gewagteren Farbspielen nachzustellen sucht. Und Fosse, der acht Jahre nach „All That Jazz“ selbst einem Herzinfarkt erlag, wagte es in der letzten Einstellung, die Leiche der Hauptfigur zu zeigen – etwas, was sich weder „Rendezvous mit Joe Black“ noch „Philadelphia“ trauen.
Was die weiblichen Todesarten angeht, hat Hollywood neuerdings den Krebs entdeckt. Etwa in Carl Franklins „One True Thing“, der voraussichtlich während der Berlinale zu sehen sein wird. Meryl Streep spielt darin eine Professorengattin, die alle Stationen des körperlichen Verfalls durchläuft, während der Ostküstenherbst das Laub bunt färbt. Wie ein Echo auf den Plot neigt sich das Jahr dem Ende zu und läßt dabei keinen der emotionsgeladenen Augenblicke wie Erntedank oder Weihnachten aus.
Ähnliches gilt für Chris Columbus Familienfilm „Seite an Seite“, der die herbstliche Natur in die Inszenierung einbindet (ein Schwächeanfall der Protagonistin wird mit Bildern von Nebelschwaden angekündigt), um schließlich in Bildern einer friedvollen Weihnacht aufzugehen. Was die Schilderung der Krankheit angeht, bleibt er jedoch weit hinter der Deutlichkeit von „One True Thing“ zurück.
Susan Sarandon gibt die etwa 45jährige Jackie, die sich ein Leben lang für Mann und Kinder aufgeopfert hat. Sie ist die treusorgende Übermutter, die niemals einen Gedanken an sich oder an ihre Karriere verschwendet hat. „Als Mami arbeite ich viel schwerer, als ich's im Berufsleben je getan habe“, erklärt sie dem achtjährigen Sohn und der zwölfjährigen Tochter, und ihrer Rivalin, der jungen Modefotografin Isabel (Julia Roberts), schleudert sie wütend entgegen: „Sie sind so hemmungslos selbstsüchtig. Sie könnten nie eine Mutter sein.“ Denn all die Fürsorglichkeit war am Ende umsonst: Der Mann (Ed Harris) hat Jackie trotzdem verlassen, und nicht lange hat es gedauert, bis er eine Jüngere – eben die Modefotografin Isabel – ehelichen will.
So könnte „Seite an Seite“ ein Film über die Familie in den Zeiten des Patchworks werden, ein bissiger Film vielleicht, der deutlich herausarbeitet, wieviel Egozentrik im Altruismus der Mutterfigur liegt – und wieviel Feigheit in der Abwesenheit des Vaters.
Doch Regisseur Columbus, der in „Mrs. Doubtfire“ (1993) gar den Umweg des Crossdressings in Kauf nahm, um wenigstens einen Teil der family values über die Scheidung hinwegzuretten, hat anderes im Sinn. Damit „Seite an Seite“ nicht in Bitterkeit mündet, spielt er Schicksal: Er läßt Jackie kurzerhand an Krebs erkranken. Durch die todbringende Krankheit – ein Mors ex machina, wenn man so will – löst sich der Konflikt, der für jeden anderen Ausweg zu verfahren ist. Tatsächlich kommt es, kaum ist Jackie mit der Diagnose konfrontiert worden, zu einer ersten Entspannung im bis dahin sehr schwierigen Verhältnis zwischen Isabel und den Kindern. Jetzt, da Jackie nicht mehr lange sein wird, brauchen die beiden schließlich eine neue Mutter, so daß der allseitigen Annäherung nicht mehr viel im Wege steht. Während für Jackie die Zeit des Abschiednehmens und der Versöhnung anbricht, beginnen, was Isabel betrifft, die Zurüstungen für die Mutterschaft, derweil der Mann sich aus der Affäre zieht, indem er berufsbedingt abwesend ist.
Damit der Film den Ausstieg aus Streit, Eifersucht und Mißklang schafft, muß Regisseur Columbus die Figur der Jackie zum Verschwinden bringen – ein Opfer auf dem Altar des Happy-Ends. Und Jackie nimmt es so bereitwillig hin, wie sie alle Zumutungen der Mutterschaft über sich hat ergehen lassen. Eine Märtyrerin auf dem Feld der Familie ist sie, wie eine konservative Seele sie sich nicht schöner hätte erträumen können.
„Seite an Seite“, Regie: Chris Columbus, mit Julia Roberts, Susan Sarandon, Ed Harris u.a., USA 1998, 125 Min.
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