: Einig nur gegen einen unabhängigen Staat
■ Die Angst vor Großalbanien bestimmt die Diskussion um die Zukunft der serbischen Provinz. Noch lehnen Nato und Europäische Union deshalb die Eigenstaatlichkeit Kosovos ab
„Keine Unabhängigkeit für den Kosovo“, so lautet seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen der einzige Konsens zwischen Nato, Europäischer Union bis hin zu Slobodan Milošević in Belgrad. Auch in der deutschen Diskussion herrscht in dieser Frage noch weitgehend Einigkeit zwischen allen Parteien und den zum Kosovo- Thema engagierten Gruppen.
Natürlich gibt es viele gute grundsätzliche Argumente, warum die Entstehung von immer mehr kleinen, wirtschaftlich allein kaum überlebensfähigen und zumeist ethnisch begründeten Nationalstaaten in Südosteuropa keine wünschenswerte Entwicklung ist – zumal diese Vorstellung in deutlichem Kontrast zur Integration Westeuropas steht. Doch die Entwicklung seit Ende des Ost-West- Konfliktes ist nun einmal anders verlaufen. Und Deutschland hat mit seiner Jugoslawien-Politik Anfang der 90er Jahre nicht unwesentlich zu dieser jetzt beklagten Situation beigetragen. Warum den Kosovo-Albanern nun verweigert werden soll, was Slowenen, Kroaten, Bosnier und Makedonier seit 1991 erreicht haben, wird zumindest in der südserbischen Provinz von niemandem mehr verstanden und akzeptiert.
Begründet wird der Konsens der internationalen Gemeinschaft in der Ablehnung einer staatlichen Unabhängigkeit für den Kosovo mit der angeblichen Gefahr, dies werde unweigerlich zur Abspaltung der albanischen Minderheit in Makedonien führen. Langfristig, so die Befürchtung, könnte gar ein Großalbanien entstehen, bestehend aus dem heutigen Albanien, Kosovo sowie einem Teil Makedoniens.
Für diese Ängste gibt es allerdings bislang keine handfesten politischen Indizien oder gar empirische Belege. Zwischen den Albanern des Kosovo, Albaniens und Makedoniens bestehen deutliche wirtschaftliche, kulturelle und soziale Unterschiede. Zudem sind sich fast alle Beobachter in der Region einig, daß die Befürworter eines Großalbaniens bisher marginale Randströmungen darstellen. Allerdings hat die Eskalation des Kovovo-Konflikts in den letzten zwölf Monaten zu einer Verstärkung dieser Strömungen geführt. Am deutlichsten war dies im letzten Wahlkampf des ehemaligen albanischen Präsidenten Berisha zu beobachten, der die „Solidarität“ mit den „albanischen Brüdern“ im Kosovo zu seiner nationalistischen Zentralforderung machte.
Möglicherweise wäre daher eine schnelle staatliche Anerkennung des Kosovo das kleinere Übel. Zumindest Großbritanniens Premierminister Tony Blair, der in einer Parlamentsdebatte letzte Woche eine bislang wenig beachtete entsprechende Bemerkung gemacht hat, scheint in diese Richtung umzudenken.
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