: Die Nato plant den großen Befreiungsschlag: Auf einer gemeinsamen Konferenz sollen die Konfliktparteien eine Lösung für den Kosovo finden — unter dem Druck militärischen Eingreifens. Kann ein zweites Dayton die Krisenregion befrieden? Zweifel sind angebracht. Denn mit Jugoslawiens Präsidenten Slobodan Milošević setzt die Nato weiter auf einen Kriegstreiber als Verhandlungspartner. Von Andreas Zumach
Letze Chance für Frieden im Kosovo?
Kommt es fast ein Jahr nach Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Kosovo jetzt endlich zu einer Befriedung des Konfliktes und vielleicht sogar zu einer dauerhaften politischen Lösung? Zumindest in den letzten Tagen konnten diverse Verlautbarungen westlicher Politiker und Militärs sowie hektische diplomatische Aktivitäten einmal mehr diesen Eindruck erwecken. Nach zwölf Monaten hilfloser internationaler Diplomatie im Kosovo wollen Nato und Balkan-Kontaktgruppe jetzt mit einem Ultimatum, verschärften militärischen Drohungen und mit Dayton-ähnlichen Klausurverhandlungen zwischen Serben und Albanern ein Ende des Konfliktes erzwingen. Details werden wahrscheinlich heute offiziell bekanntgegeben.
Nach durchgesickerten Informationen will die Balkan-Kontaktgruppe (USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland) Vertreter der Belgrader Regierung und der Kosovo- Albaner ab Anfang Februar wahrscheinlich in Wien zu Direktverhandlungen zusammenbringen. Vorbild sind die im November 1995 unter Federführung von US- Vermittler Richard Holbrooke geleiteten Verhandlungen zur Befriedung des Bosnienkonflikts auf einer US-amerikanischen Luftwaffenbasis in Dayton, Ohio. Die Wiener Kosovo-Verhandlungen sollen voraussichtlich vom US-Beauftragten Christopher Hill und seinem österreichischen EU-Kollegen Wolfgang Petritsch geleitet werden sowie – auf Wunsch Belgrads – möglicherweise von Rußlands Vizeaußenminister Aleksander Awdejew.
Den Konfliktparteien soll eine Frist zur Erreichung einer Übereinkunft gesetzt werden, verbunden mit der „verschärften Drohung“ mit militärischen Maßnahmen der Nato nach Ablauf dieser Frist. Doch wie präzise werden die Verhandlungsfrist und die militärischen Drohungen definiert, so daß tatsächlich von einem glaubwürdigen „Ultimatum“ die Rede sein kann? Wie wird sichergestellt, daß während der Wiener Verhandlungen die bewaffneten Konflikte im Kosovo ruhen? Werden die bislang gegen Belgrad gerichteten folgenlosen Drohungen der Nato während der Verhandlungen suspendiert und die verstärkte militärische Präsenz der Allianz in der Adria-Region wieder reduziert? Und schließlich: Sollten sich militärische Drohungen für die Zeit nach einem eventuellen Scheitern der Wiener Verhandlung gleichgewichtig gegen beide Konfliktparteien richten?
Diese und andere wichtige Detailfragen wurden zumindest bis gestern innerhalb von Nato und Balkan-Kontaktgruppe noch intensiv diskutiert. Es blieb auch völlig offen, ob die beiden Konfliktparteien überhaupt bereit sind, nach Wien zu kommen. Die Unterhändler Hill und Petritsch bemühten sich in Priština darum, Vertreter der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) und verschiedener albanischer Parteien zur Teilnahme an den Wiener Verhandlungen in einer gemeinsamen Delegation zu bewegen.
Doch selbst wenn es gelänge, all diese Fragen einvernehmlich und präzise zu klären: Die drei zentralen grundsätzlichen Widersprüche, die schon bisher ausschlaggebend für das Scheitern der internationalen Gemeinschaft im Kosovo waren, sind auch mit der neuen Initiative von Balkan-Kontaktgruppe und Nato nicht behoben: das weitere Festhalten am „Partner“ Slobodan Milošević, das Fehlen einer politischen Vorstellung für die Zukunft des Kosovo und damit verbunden der Balkanregion und die sich daraus zwangsläufig ergebende Konzeptionslosigkeit, Unglaubwürdigkeit und Unbrauchbarkeit aller bislang von der Nato angedrohten Formen militärischen Eingreifens.
Die Regierungen der 17 in Nato und Balkan-Kontaktgruppe versammelten Staaten halten weiterhin an Slobodan Milošević als angeblichem Garanten für das Dayton-Abkommen zu Bosnien fest, ebenso wie am staatlichen Zusammenhalt Serbiens (inklusive des Kosovo). Die zahlreichen gegensätzlichen Erfahrungen mit Belgrads starkem Mann haben diese fatale Fehleinschätzung bis heute nicht korrigieren können. Das einzige Interesse des serbischen Präsidenten gilt dem Erhalt seiner eigenen Macht.
Trotz der beiden verlorenen Expansionskriege in Kroatien und Bosnien und einer völlig ruinierten Wirtschaft in seinem eigenen Staat hat Milošević – in diesem Punkt ähnlich Saddam Hussein – seine Macht immer wieder festigen können. Dabei gelang es ihm mehrmals, die internationale Gemeinschaft auseinanderzudividieren. Ihre Institutionen und angeblich besten und ausgebufftesten Diplomaten wie den US-Unterhändler Holbrooke hat Milošević eins ums andere Mal ausgetrickst. Er führte die vermeintlich übermächtige Nato in den letzten acht Monaten zeitweise wie einen Tanzbären am Nasenring durch die Manege. Seine angeblichen Zusagen gegenüber US-Unterhändler Holbrooke Mitte Oktober letzten Jahres waren nicht der von der Nato vielgerühmte Erfolg ihrer Luftschlagsdrohungen. Vielmehr hat Milošević die Nato damals in letzter Minute davor bewahrt, ihre rhetorischen Drohungen, über deren Zulässigkeit völkerrechtliche Zweifel auch unter den Allianzmitgliedern bestand, umsetzen zu müssen.
Immer mehr Beobachter in Belgrad schließen nicht aus, daß Milošević inzwischen Luftschläge der Nato sehr gelegen kommen könnten. Sein Kalkül könnte sein, dies werde die serbische Bevölkerung hinter ihm zusammenschweißen und ihn innenpolitisch stärken. Das ständige Schüren von Konflikten nebst nationalistischen Überhöhungen der eigenen Position waren und sind entscheidende Bedingungen für das politische Überleben von Milošević, seit er Ende der achtziger jahre die Lunte an das Pulverfaß Kosovo legte. Deshalb kann es mit dem „Partner“ Milošević keine dauerhafte politische Lösung des Kosovo- Konfliktes geben.
Und selbst, wenn es zu Wiener Verhandlungen und einer vorläufigen Befriedung dieses Konflikts kommen sollte: Die nächsten Krisenherde – in Montenegro, im Sandschak und in der Vojwodina – werden von Milošević derzeit bereits nach Kräften programmiert.
Für die Nato gilt daher weiterhin dasselbe Dilemma wie im letzten Oktober – und seit dem amerikanisch-britischen Luftangriffen auf Irak vom Dezember sogar in verschärfter Form. Denn diese Luftangriffe haben die internationale Irak-Politik endgültig in die Sackgasse geführt und die in der Nato vorhandenen erheblichen Zweifel am militärischen und politischen Nutzen dieser Form von Intervention verstärkt.
Dieses Dilemma führt dazu, daß auch die Clinton-Administration über die Form militärischer Intervention im Kosovo-Konflikt nachdenkt, die, wenn überhaupt, einzig sinnvoll sein könnte: die Stationierung von Bodentruppen, möglichst mit einem UNO-Mandat und mit einer Beteiligung Rußlands. Zumindest schloß Außenministerin Madeleine Albright am Dienstag in Moskau die Entsendung von US-Soldaten – die wiederum von den Westeuropäern zur Vorbedingung für die Teilnahme eigener Truppen gemacht wird – nicht mehr aus.
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