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Katzenjammer nach Konzertexzessen

Das Docks hat heute sein zehnjähriges Jubiläum. Ein Grund zum Feiern in einer Branche, in der man sich sonst eher zweckpessimistisch gibt. Ambitionierte Veranstaltungsorte wie das Molotow arbeiten kaum kostendeckend, das ehrenwerte Knust steht gar zum Verkauf. Eine Bestandsaufnahme der Hamburger Clubs  ■ Von Michael Hess

Vor dem Anfang stand das Ende. Als das heutige Docks 1987 während eines Festivals von einem Polizeiaufgebot gegen den Ansturm hunderter Fans verteidigt werden mußte, schien die Idee eines Konzerthauses am Spielbudenplatz für immer gescheitert. Die Betreiber der damaligen Knopf's Music Hall hatten es mit dem Kartenverkauf etwas zu gut gemeint, und während draußen eine Straßenschlacht entbrannte, ging drinnen nichts mehr – man kam weder rein noch raus. Als dann Nick Cave um fünf Uhr früh die Bühne betrat, wurde er Zeuge eines seltenen Schauspiels: In der Halle regnet der Schweiß auf die eingepferchte Masse.

Theater für lebende Photographien

An den Skandal um die zuviel verkauften Tickets wird sich seltsamerweise immer wieder gerne erinnerte, wenn es um die Entstehung des Docks geht. Vielleicht auch deshalb, weil sich bis heute kein besserer Gründungsmythos finden ließ. Denn die Geschichte des Hauses verlief vorher wie nachher in eher ruhigen Bahnen. Seit 1899 ein gewisser Herr Knopf das erste Mal die Ladenräume der Firma Kobero & Co für sein „Theater für lebende Photographien“ mietete, standen der Saal und die angeschlossene Prinzenbar fast ununterbrochen in kulturellen Diensten, sei es als Kino oder für Tanzveranstaltungen.

Nach der Knopf's-Pleite nahm sich 1988 der Großgastronom Karl Hermann Günther des altehrwürdigen Gemäuers an. Günther, der sich zuvor schon als Besitzer der Großen Freiheit 36 einen Namen gemacht hatte, schuf mit der Zeit einen nach kommerziellen Gesichtspunkten professionell geführten, aber leider auch recht stromlinienförmigen Amüsierbetrieb. So spielen mittlerweile Riesenfeten jedweder Couleur die größte Rolle im Programm – im jetzigen Jubelmonat Januar bleibt der große Saal für Konzerte sogar ganz geschlossen.

Anabolide Türsteher, schales Schankpersonal

Ein Umstand, der wohl von den allerwenigsten Konzertgängern bedauert wird. Das Docks zählte nie zu den beliebtesten Spielstätten Hamburgs, sein Verhältnis zum Publikum gilt allgemein als gespannt. Wer am Eingang erst einmal an den anaboliden Türstoppern vorbeikam, hatte nett zu sein zum Schankpersonal, das nicht selten schaler wirkte als das teure Bier. Und auch bei den Konzerten trat die Qualität oft hinter den Ereignischarakter zurück. Ob Dinosaur Jr. oder Sonic Youth, The Go-Betweens oder Blur – der Ruf so mancher Band war vor einem Auftritt im Docks besser als danach. Aus Sicht der Fans war der Gang dorthin meist ein zu ertragendes, da notwendiges Übel. Doch bleibt die Halle für den Konzertstandort Hamburg vorerst überlebenswichtig. Zumindest bei großen Bands ist sie nicht nur wegen der zentralen Kiezlage und der routinierten Arbeitsweise der Betreiber beliebt. Hamburg ist ein heißumkämpftes Konzertpflaster, und Künstler sind nun mal eitel. Ein zweimal ausverkauftes Docks macht sich daher immer besser als einmal eine halbleere Alsterdorfer Sporthalle.

Was größere Hallen anbelangt, mangelt es Hamburg an Alternativen. „Seit Jahren fehlt eine 4000er-Halle, ein Mittelding zwischen Docks und Sporthalle“, klagt Günter Linnartz von der Konzertagentur Scorpio. Nur Läden mit einer Kapazität für um die 1000 Besucher gibt es zuhauf, hier stehen mehr als ein halbes Dutzend in mittelbarer Konkurrenz. Neben Markthalle, Großer Freiheit, Fabrik, Mojo-Club bieten seit geraumer Zeit auch das Grünspan, das Curio-Haus und der Schlachthof regelmäßig Konzerte an. Selbst auf Kampnagel regte sich schon Interesse. „Wegen der Räumlichkeiten wäre es schön, wenn man sich dort mehr einbinden ließe“, wünscht sich Linnartz und hofft auf einen Abbau von Berührungsängsten seitens des Theaters.

Kaum Einflußnahme auf Programmgestaltung

Noch sind die Konzert-Agenturen in der glücklichen Lage, aus einem stetig wachsenden Club-Angebot das für ihre Künstler Passende auswählen zu dürfen. Von einer Symbiose zu sprechen, wäre dennoch vollkommen verkehrt. Im Gegenteil, denn besonders die kleinen Clubs sind, gerade was internationale Acts anbelangt, immer mehr vom Goodwill der Agenturen abhängig. Verhandelt wird dabei in den meisten Fällen schon lange nicht mehr. Die Veranstalter mieten sich immer öfter in die Läden rein, die sich dann zwar kurzfristig über einen sicheren Umsatz freuen, langfristig jedoch jegliche Einflußnahme auf die eigene Programmgestaltung verlieren.

So ist der Job eines Konzert-Programmdirektors, des sogenannten Bookers, in Hamburg am Aussterben. Nur die subventionierten Traditionshäuser wie Fabrik oder Markthalle können sich noch ein Voll-Booking leisten. Dort sieht man der Zukunft denn auch eher gelassen entgegen. „Es sind zwar deutlich weniger Bands unterwegs als noch vor ein paar Jahren“, konstatiert Helmut Heuer von der Markthalle, „doch zählen wir gerade im Metal und HipHop auf ein treues Stammpublikum.“ Der Vorteil wird hier in inhaltlicher Kontinuität gesucht. Heuer: „Ballermann-Parties wird's bei uns nicht geben.“

Überall sonst wird das Klagen und Jammern jedes Jahr lauter. Zu recht, gibt es doch neben einem scheinbar immer größer werdenden Angebot hipper Locations vom Schlage Hafenklang, Golden Pudel oder Funky Pussy, die statt DJs auch mal die ein oder andere Band Revue passieren lassen, keinen Club mehr, der sich ausschließlich über den Konzertbetrieb zu finanzieren weiß. Parties gelten längst als probates Mittel, um der durch jedes einzelne Konzert ausgelösten Kostenlawine an Steuern und Abgaben etwas entgegenzustellen.

So auch im Molotow. Der Kellerladen unter der Meanie Bar am Spielbudenplatz wurde jüngst von einer Stadtzeitschrift zu Hamburgs bestem Musikclub gekürt. Dabei läßt sich selbst hier trotz einer überschaubaren Kostenstruktur und viel Selbstausbeutung mit Konzerten kein Geld verdienen. „Im Gegenteil“, wie Geschäftsführerin Gesine Judjahn einräumt, „ohne die Meanie Bar könnten wir das Molotow sofort dichtmachen.“ Daran änderte auch die letztjährige Club-Prämie der Kulturbehörde in Höhe von immerhin 25.000 Mark wenig. Bei Läden, die wie das Molotow auf eine moderate Preispolitik Wert legen (der Eintritt liegt auch bei renommierten internationalen Künstlern selten höher als 14 Mark), bedeuten selbst volle Konzerte gerade mal Kostendeckung.

Computerspiele versus Clubatmosphäre

Ein Stichwort, bei dem auch Karsten Schölermann ein trauriges Lied anzustimmen weiß. Der Logo- und Knust-Betreiber gibt sich generell zweckpessimistisch, was die Zukunft des traditionellen Live-Musikmarktes anbelangt. „Die Kiddies bleiben heute lieber zu Hause vor ihren Computerspielen. Das macht sicher auch mehr Spaß, als sich alte Männer mit Gitarren vor dem Bauch anzusehen.“

Neben Nachwuchssorgen plagen die kleinen Clubs vor allem die jährlich immer stärker werdenden strukturellen Belastungen wie Künstlersozialversicherung, Quellensteuer und GEMA, die einen geregelten Konzertbetrieb mit einem ansprechenden Booking unmöglich machen. Wie wichtig das jedoch ist, ist am Knust zu beobachten, das nach dem Weggang von Vorzeige-Booker Dirk Matzke wieder in den alten Trott zurückfiel: montags Pop-Rock, dienstags Rock-Pop und am Wochenende Engtanzfete.

„Qualitativ gutes Booking ist teuer“, räumt Schölermann ein, „wir sind heute zu 100 Prozent abhängig von den Agenturen. Ohne regelmäßige Parties ist das Knust nicht zu halten.“ Als Konsequenz will Schölermann den Laden an der Brandstwiete baldmöglichst loswerden – vorausgesetzt, es findet sich ein Käufer. Denn: „Wer will schon für etwas bezahlen, mit dem kein Geld zu verdienen ist?“ Bis dahin wird an einer Überlebensstrategie für den Sommer gefeilt, private Geburtstagsfeiern inbegriffen. Schölermann: „Geschlossene Gesellschaften laufen zur Zeit sehr gut.“

10 Jahre Docks, heute abend, 21 Uhr. In der Prinzenbar spielen die Bands Groove Factory und Tippgemeinschaft Barmbek-Nord, im großen Saal hingegen legen verschiedene dem Hause verbundene DJs auf.

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