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Lafontaines Hammel

■ Die Union versuchte vergeblich, den Finanzminister in den Bundestag zu zitieren

Bonn (taz) – Wo ist Lafontaine? fragten sich gestern wieder einmal die Abgeordneten des Bundestages. Der Finanzminister war bei der Haushaltsdebatte nicht anwesend. Schon im alten Jahr hatte sich die Opposition über eine grobe Mißachtung des Parlaments beschwert, weil Lafontaine trotz zweiter und dritter Lesung zur Steuerreform in Amerika weilte. Aufgestoßen war ihnen auch, daß Lafontaine bei der großen Euro- Party in Brüssel als einziger europäischer Finanzminister fehlte.

Jetzt war es der Union zuviel. Sie verlangte gestern, daß Lafontaine herbeizitiert werde. Eine Abstimmung per Handzeichen war nicht eindeutig. Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters (CDU) ordnete daher einen sogenannten Hammelsprung an. Dafür müssen alle Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und ihn dann je nach Stimmverhalten einzeln durch eine von drei Türen für „Ja“, „Nein“ und „Enthaltung“ wieder betreten. Der Name Hammelsprung ist auf ein Intarsienbild über einer Abstimmungstür im Berliner Reichstag zurückzuführen. Das Bild zeigt den blinden Polyphem aus der griechischen Sage, der seine Hammel zählt, unter deren Bäuchen sich Odysseus und seine Gefährten angeklammert haben, um aus der Gefangenschaft zu entkommen.

Das Ergebnis der Auszählung war eindeutig. Nur 291 Abgeordnete stimmten für, 331 gegen die Herbeiholung Lafontaines. Vor dem Hammelsprung hatte im Bundestag kaum die Hälfte der Abgeordneten gesessen. Per fraktionsinterner Lautsprecherdurchsage in alle Abgeordnetenbüros („Es findet ein Hammelsprung statt. Bitte sofort ins Plenum“) wurden 622 von 669 Abgeordneten mobilisiert. Die Opposition verfehlte zwar die Mehrheit bei der Abstimmung, erreichte ihr Ziel aber auf andere Weise. Durch die „Nein“-Tür ins Plenum ging auch Finanzminister Lafontaine. Danach verschwand er allerdings sofort wieder. Markus Franz

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