: Die Sprecherin, die nun schweigt
Zu spät muß Dörte Caspary nun lernen, wie schnell es in Bonn gehen kann: Eben verkörperte die ostdeutsche Journalistin noch die Hoffnung als SPD-Parteisprecherin in spe. Jetzt bleibt nur noch eins an ihr hängen: Stasi ■ Von Georg Löwisch
Sie unterbricht sich, lehnt sich zurück, denkt nach und redet erst dann weiter. Oder sie gestattet sich ein Lächeln, das offen wirkt und unverstellt, weil es sich etwas schief durch ihr Gesicht zieht. Ein Interview mit Dörte Caspary kann erfrischend sein. Wenn die 32jährige mit den flammend roten Haaren über sich erzählt, über den Journalismus und über das Amt als Pressesprecherin der SPD, dann verbreitet sie den Eindruck, daß sie jede Antwort erst neu in ihrem Kopf entstehen läßt.
Am Freitag vor einer Woche war es noch so. Doch nun ist das Leben von Dörte Caspary durcheinandergewirbelt worden. Auf einer Seite berichtete am Montag der Spiegel über Dörte Caspary. Die Thüringerin habe mit 19 im Auftrag der Stasi Mitschüler bespitzelt. „Ehemalige Stasi-Offiziere“ hätten erklärt, sie habe den Decknamen „Eiche“ gewählt und eine schriftliche Verpflichtung unterschrieben. Selbstbewußt antwortete die Beschuldigte: „Ich habe nichts unterschrieben.“
Der SPD-Vorstand leitete trotzdem eine Prüfung bei der Gauck- Behörde ein. Und am Donnerstag erklärte er, Caspary werde auf das Amt verzichten. Um „Schaden von der SPD abzuwenden“.
Schon am Montag waren sie wie elektrisiert, die SPD-Oberen um Oskar Lafontaine. 1993 hatte Cas- parys Arbeitgeber, der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg, doch schon einmal eine Gauck- Anfrage gestellt: Nicht erfaßt, lautete die Antwort. Aber hat die Behörde nicht längst weitere Kilometer Akten gesichtet? Alarmiert erteilte die SPD-Zentrale allen Interviewanfragen an Caspary eine Absage. Selbst das Erscheinen des schon geführten Gesprächs vom Freitag, sollte gestoppt werden. Die noch einmal zum Gegenlesen vorgelegten Zitate würden nicht autorisiert, teilte die Parteizentrale mit. Jeder „Kontakt mit der Presse“, so sei festgelegt worden, habe zu unterbleiben.
Die SPD bekam zwar keine Antwort auf ihre Frage bei den Gauck-Behörde, weil die Parteinoch nicht offiziell Arbeitgeberin von Caspary ist. Allerdings: Gestern bestätigten die Aktenverwalter, daß etwas über die Journalistin vorliege. „Es sind Unterlagen zu Dörte Caspary vorhanden“, sagte Behördensprecherin Cornelia Bull der taz. Mehrere Anträge auf Einsicht des „Materials“ würden nun bearbeitet. 1993, als der ORB angefragt hatte, seien die Akten nicht gefunden worden, „weil bei der Recherche ein Fehler gemacht wurde“. Zu Inhalt und Umfang der Akte sagt die Behörde nichts, und sie wird eswahrscheinlich auch nicht tun, bis die Betroffene selbst die Unterlagen gesehen hat.
Eigentlich hatte man in der SPD-Zentrale gehofft, mit der neuen Sprecherin komme eine Atmosphäre der Offenheit in die Zentrale der Regierungspartei. Als Geschäftsführer Ottmar Schreiner im Dezember die Journalistin anrief, wollte er mit der Personalie ein Zeichen setzen. „Die innere Einheit vollenden“, hatte die SPD schließlich ganz oben in ihr Programm geschrieben. Da wäre es doch gut, den Leitungsposten mit einer Ostdeutschen zu besetzen, dazu noch mit einer jungen Frau. Bewußt unverkrampft ging Schreiner damit um, daß sie einst SED-Mitglied war. Er sagte: „Es wäre völlig falsch und nicht nachvollziehbar, eine junge Frau, die mit 18 in die SED eingetreten ist, lebenslang zu stigmatisieren.“
Warum auch? Die SED gehörte einfach in die Welt, in der Dörte Caspary lebte. Der Vater, ein Diplomingenieur und die Mutter, eine Ausbilderin bei der Post, stehen fest zur Partei. Und in der Ober-schule „Gerhard Hauptmann“ in Wernigerode im Harzer Vorland unterrichten tolle Lehrer, Vorbil-der, die an die SED glauben. „Sie kann sich hundertprozentig für etwas begeistern“, sagt einer, der sie als Jorunalistin kennenlernte. In der Schulzeit gehört für Dörte Caspary die Mitgliedschaft in der Einheitspartei auch dazu, weil sie die Eintrittskarte für das Journalistikstudium in Leipzig ist. Vielleicht hat es mit diesem Gefühl der Normalität zu tun, daß Dörte Caspary noch heute ohne viel Aufhebens davon zu machen, die Geschichten aus ihrer Jugend erzählt. Obwohl man vielleicht damals in ihrer Umgebung schon ahnte, daß das Sozialismusprojekt von einer korrupten Elite geleitet wird, wie sie die Situation Jahre später beurteilt. Erst als die SED das Massaker auf dem Tiananmen- Platz in Peking guthieß, wo das Regime Studenten zusammenschoß, änderte sich ihr Blick – so sieht sie es später. Womöglich war das wirklich der Moment, an dem ihr dämmerte, wie kapputt das System im Innern war. Die Parteileitung verbot den Journalistikstudenten, an den Montagsdemonstrationen teilzunehmen. Dörte Caspary verläßt sie die SED. Da ist die Partei aber fast schon verschwunden.
Die DDR ist es auch nahezu, als sie 1990 ihren Abschluß macht. Sie fängt beim noch staatlichen Berliner Rundfunk an, fällt als souveräne Jungmoderatoren auf und wechselt zum Jugendradio DT 64. 1993 dann möchte der ORB für sein kleines Bonner Studio eine Korrespondentin aus dem Osten, die einen eigenen Blick auf das westdeutsche Regierungsdorf hat. Den hat Caspary tatsächlich. Denn mit dem Strom schwimmen, ohne aufzusehen, wohin er einen treibt, das hat sie schon einmal falsch gemacht. Sie beobachtet skeptisch, wie sich die Journalisten in Hintergrundkreisen mit Informationen füttern lassen. Sie registriert, wie hunderte Berichterstatter bemüht sind für ihre Zeitung oder ihren Sender, sich an einen Zipfel der Macht zu hängen. Mißbilligend berichtet sie den ORB-Hörern vom „Zusammenweben von Politik und Journalismus“, von „Hofberichterstattung“. Journalisten, erzählt sie, ließen sich durch Einladungen auf Pressereisen ihre Unabhängigkeit abkaufen. Dann sagt Dörte Caspary: „Ich hab' – muß ich wirklich sagen – mich noch nicht kaufen lassen.“
Anders als die Bonner Korrespondenten, die oft schon 30 Jahre über das Gleiche berichten, geht Caspary nach drei Jahren. Dem WDR-Intendanten Fritz Pleitgen ist sie als Gast in seinem „Presseclub“ aufgefallen, die ARD schickt sie als Korrespondentin nach Moskau. 1997 verläßt sie Moskau wieder, weil sie ihre eine Tochter bekommt. Der ORB delegiert sie zum Parlamentskanal Phoenix.
Und dann ist da plötzlich das Angebot der SPD. Ein Angebot, einmal ganz nah dran zu sein. Dörte Caspary bittet sich Bedenkzeit aus, spricht lange mit ihrer Familie –und sagt zu.
Nun war es ein typischer Presse- sprechersatz, mit dem die Journalistin auf die Spiegel-Geschichte rea- gierte. Sie sehe weiteren Überprü- fungen „gelassen entgegen“. Das wahr wohl eine der Fehleinschät- zungen, die sie jetzt in einen Stru- del reißen. Auch der ORB, mit dem ihr Arbeitsverhältnis derzeit ruht, hat einen neuen Antrag bei der Behörde gestellt. Ausgerechnet der Sender, der 1995 seinen Mitarbeitern anbot, sich vertraulich zu melden, ohne gleich einen Rausschmiß befürchten zu müssen, wenn es da irgend etwas gäbe in der Vergangenheit. Jetzt ist egal, ob sie eine Denunziantin war oder nur eine Schülerin, die sich zur „revolutionären Wachsamkeit“ überreden ließ. Jetzt bleibt nur noch eins hängen: Stasi. Zu spät muß Dörte Caspary jetzt lernen, wie schnell es in Bonn gehen kann.
„Haben Pressesprecher Macht?“, hat einmal ein Journalist eine Pressesprecherin gefragt. „Haben Sie Macht?“, hat sie den Journalisten gefragt. „In gewisser Weise“, sagte er. Sie lächelte: „In gewisser Weise“.
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