: Tyrann, Verräter und Volksfeind
Vor 350 Jahren wurde in London der englische König Charles I. geköpft. Die „englische Revolution“ ist historisches Vorbild sowohl für Tony Blairs Verfassungsreformen wie auch für das Impeachment-Verfahren gegen Clinton ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Er wurde zu Fuß an seinen Hinrichtungsort gebracht, begleitet von bewaffneten Garden. Mitten auf Whitehall, der zentralen Straße des Londoner Regierungsviertels, hielt der Todeskandidat eine letzte Rede. „Sehr wenige werden mich hier hören, also werde ich einige Worte sagen“, begann er durchaus humorvoll und nannte sich „einen Märtyrer des Volkes“. Dann wurde ihm mit einer Axt der Kopf abgehackt.
So starb am 30. Januar 1649, vor genau 350 Jahren, Englands König Charles I. Es war der Höhepunkt der englischen Revolution, der ersten Europas. Im Kampf zwischen dem König, der seine Macht von Gott ableitete, und dem Parlament, das sich als Vertretung des Volkes sah – wenn auch sehr eng definiert als Volk der Gläubigen und Rechtschaffenen –, hatte das Parlament gesiegt. Nach einem kurzen Prozeß war der König am 27. Januar als „Tyrann, Verräter und Volksfeind“ zum Tode verurteilt worden. In den Tagen nach der Hinrichtung beschloß das Parlament die Abschaffung der Monarchie sowie des Oberhauses und die Einführung der Republik.
350 Jahre später ist dieses Ereignis von erstaunlicher Aktualität. Der Prozeß gegen König Charles war im Grunde das erste Amtsenthebungsverfahren gegen ein Staatsoberhaupt in der Geschichte. Von ihm leitet sich das gegenwärtige Impeachment-Verfahren gegen Bill Clinton in den USA ab, sowohl im Ablauf – ein Prozeß vor einem Sondergericht des Parlaments – wie auch im Hauptanklagepunkt „High Crimes“. Nur die Form der Bestrafung hat sich geändert.
Die direktesten Verbindungen zur Gegenwart bestehen in Großbritannien selbst. Die Revolution von 1649 scheiterte, 1660 wurde die Monarchie wieder eingeführt. Aber sie ist ein leuchtendes und nie wieder erreichtes Vorbild für alle Verfassungsreformer der Linken geblieben. Nun macht die Labour- Regierung von Tony Blair damit zum ersten Mal wieder ernst. Zwar hat sie Queen Elizabeth II. bislang am Leben gelassen, aber Labours Zweistufenreform des britischen Oberhauses ist der erste derartige Schritt seit 350 Jahren.
Der Labour-Linke Tony Benn – der in den 60er Jahren einen langen Verfassungsstreit ausfechten mußte, bevor er seinen ererbten Adelstitel zugunsten eines gewählten Unterhausmandats aufgeben durfte – erinnerte daran in der Parlamentsdebatte zur Oberhausreform am Mittwoch letzter Woche. Blairs Reformpläne seien viel zu kompliziert, sagte er; beim letzten Mal wäre es doch einfacher gewesen: Sei man sich denn nicht bewußt, „daß vor 350 Jahren das Parlament des Commonwealths das Oberhaus mit einem Gesetz aus einem Satz abschaffte, welches lautete: ,Das House of Lords soll nicht hier sitzen noch beabsichtigen, irgendwo anders zu sitzen‘?“
Es ist der Aufmerksamkeit britischer Kommentatoren auch nicht entgangen, daß mit New Labour in London erstmals wieder die puritanische Kombination aus Schotten und Moralisten regiert, die die englische Republik von 1649 bis 1660 beherrschte. Bei den US-Republikanern hat sich der protestantische Fundamentalismus der britischen Republikaner des 17. Jahrhunderts noch viel originalgetreuer erhalten. Und der damalige englische Republikführer Oliver Cromwell feiert dieses Jahr zufällig auch noch seinen 400. Geburtstag – am 25. April. Im Londoner Stadtmuseum läuft bereits eine große Cromwell-Ausstellung.
Vielleicht könnte New Labour nun Cromwell endlich aus seinem seit Ende der Revolution geltenden Status als Landesverräter entlassen. Noch immer wird im Sidney Sussex College der Universität Cambridge, wo sein Kopf angeblich begraben liegt, Cromwells Bild verhüllt, wenn beim Dinner ein Toast auf die Queen ausgesprochen wird. Aber zunächst werden Unbekannte heute, wie jedes Jahr am 30. Januar, an der Statue von Charles I. in Whitehall Kränze niederlegen.
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