: Leise rieselt der Scherz
■ In Oldenburg inszenierte das Widu-Theater „Urfaust“ zwischen Ernst und Witz
Der kahle Raum, die Schwärze der Black-Box-Bühne im Oldenburger „Theater Fabrik Rosenstraße“ läßt Dieter Hinrichs und Katja Geist enger zusammenrücken. In lumpige Mänteln gehüllt, lungern sie auf einer Parkbank. Schwerer „Urfaust“-Text tröpfelt ihnen von den Lippen, steht wie ein Fremdkörper im Raum. Seltsam aktuell und daher urkomisch, wenn Penner Heinrich klagt: „Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie durchaus studiert ... und bin so klug als wie zuvor.“ Das Mysterium der Welt wohnt nun als Geist in der kreisenden Schnapsflasche. Ausgangsszene und Endstation Sehnsucht.
Rotraud de Neve hat den wuchtigen Text für das Oldenburger „Widu-Theater“ gegen den Strich gebürstet und läßt ihn hart auf sehr lustbetonte Spielweisen prallen. Das ist ein schwieriges Experiment. Mal glückt es, dann steht der Text unversehens wie ein Fremdkörper im Raum und wird zum reinen Material des listig ironischen Spiels, das sich der Vorlage bedient, als seien es Bauklötze. Begehren, hier ein intellektueller Versuch der Verführung, Heinrich, ein blasierter Chauvi mit Nickelbrille. Dem Fräulein Arm und Geleit anzutragen, ist ihm mehrere Versuche wert: Variationen über eine Szene, die somit in ihrer Pennälerbanalität entlarvt und damit gerade komisch wird.
Die mimische Wendigkeit Dieter Henrichs' – deutlich an der Pantomime geschult – läßt hier Witz auf die Bühne rieseln. Katja Geist und Dieter Hinrichs verwandeln sich bruchlos: kokettes Gretchen und Heinrich zu züngelndem Mephisto, Heinrich zu Marthe und wieder zu roter Teufelsfratze. Farbige Lichtblenden ersetzen die Maske. Die Rollen erweisen sich so als Aspekte einer Identität, und die jeweiligen Monologe überkreuzen sich zu vielschichtigen Dialogen. Folien gleich überlappen sich hier Szenen der Vorlage. Doch in dieser Montage liegt auch die Schwäche des Stückes.
Denn manchesmal bricht der dramaturgische Bogen irgendwo in ein schwarzes Loch ein, wo Übergänge nicht wirklich ausgeleuchtet wurden. So werden Bilder, die sich durchaus als ätzender Kommentar zu menschlicher (oder auch männlicher) Liebesfähigkeit lesen lassen, fast zu unvermittelten Fremdkörpern. Heinrich schleicht im Off der Bühne katzengleich im grünen, giftigen Licht, umkreist sein Liebesobjekt mit zuckenden Lenden. Einverleibt aber, ist die Liebe weg. Haben ist das Ziel, und Grete reißt sich den Fötus blutig aus dem Schoß. Der Mann, das ungeduldige Kind, der emotionale Buchhalter, das unbekannte Wesen.
Und so hangelt man sich tatsächlich eher an den amüsanten Szenen dieses Faust entlang. Der Text wird zum Steinbuch einer Eulenspiege-lei, die nicht so recht entscheiden mag, ob sie sich selbst ernst nimmt. Marijke Gerwin
Nächste „Urfaust“-Aufführungen in der Theater Fabrik Rosenstraße: 2.-5. März, 10 Uhr und 5./6. März, 20 Uhr
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