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Ein Gedicht für einen Tiermagen Von Ralf Sotscheck

Eine Geburtstagsfeier ist eine ernste Angelegenheit, wenn das Geburtstagskind ein Nationalheld ist. Vorigen Montag feierten Schotten in aller Welt den 240. Geburtstag des Dichters Robert Burns, und damit sie dabei nichts falsch machten, wachte der „Weltverband der Burns-Vereine“ mit Argusaugen über die Festlichkeiten, deren Ablauf streng vorgeschrieben ist. Dazu gehören Unmengen Whisky, die Überreste eines Schafes, viele Gedichte, und zum Schluß singen alle „Auld Lang Syne“, den Burns- Hit, der in den ewigen Charts ganz oben steht.

Wir feiern bei Dissidenten im Tam O'Shanter Pub in Ayr. Dort sind, im Gegensatz zu den offiziellen „Burns Suppers“, Frauen zugelassen, was völlig gerechtfertigt ist, galt Burns doch als „kaledonischer Casanova“ und hatte ein Heer von Kindern. Außerdem ist der Tam O'Shanter ein historischer Ort: Hier besoff sich der gleichnamige Held aus Burns berühmtestem Gedicht, bevor er nach Hause ritt und unterwegs in der Alloway-Kirche ein Hexenfest störte. Tam entkam nur knapp über die Brig o' Doon, sein Pferd Maggie büßte den Schwanz ein.

Auch bei den Dissidenten gibt es Haggis, jenes Würgreizgericht aus allerlei Innereien, das mit Hafermehl vermischt im Schafsmagen gekocht wird. Burns hat auf diesen kulinarischen Alptraum ein Gedicht verfaßt. Der „Häuptling aller Wurstsorten“, wie er bei ihm heißt, wird mit einem Dudelsackspieler angekündigt. Dahinter schreitet der Koch einher, der das stinkende Gebilde, das dem Dudelsack nicht unähnlich sieht, unter tosendem Applaus auf einer Art Bühne abstellt. Drew Goodwin, ein ortsansässiger Musiker, trägt die „Ode an den Haggis“ vor. Das muß man sich mal vorstellen: Ein erwachsener Mann liest einem Tiermagen ein Gedicht vor.

Danach verschwindet der Koch mit dem Haggis im Hinterzimmer. Sollte der Kelch an uns vorübergehen? Weit gefehlt. Während der Piper sich die Lunge aus dem Leib bläst, bringt der Koch den zerkleinerten Haggis mit Tatties und Neeps – Kartoffeln und gelben Rüben – portionsweise zurück. Wir seien bloß Gäste, wehren wir ab, Ausländer gar und wollen niemandem etwas wegessen. Unsinn, es sei genug da, so ein Schaf habe einen großen Magen. Ach, hätte Burns doch ein Gedicht auf Räucherlachs geschrieben, auf Bratkartoffeln oder Pizza Calzone. Aber mit einer Flasche Bunnahabhainn, einem leckeren Whisky von der Insel Islay, rutscht sogar ein Schafsmagen in den Magen.

Hugh Mac Diarmid, der schottische Kommunist, nannte Burns den „Braveheart der Poesie“. Allerdings ist der Dichter nicht gefoltert und enthauptet worden, sondern im Alter von 37 Jahren an rheumatischem Fieber gestorben, was den Mythosfaktor aber kaum mindert. In England geht das Burns-Theater der Exil-Schotten so manchem auf die Nerven. Ein Andrew Cunningham hat den Club „Zum Teufel mit Burns“ gegründet und fordert, den Schotten im Gegenzug ein Shakespeare- Dinner aufzuzwingen – mit Lamm in Pfefferminzsauce und warmem Bier. Das Dinner soll am 23. April, dem Todestag Shakespeares, ausgetragen werden. Die einen feiern eben den Geburtstag, die anderen den Todestag ihres Nationaldichters. Daraus kann man sicher irgend etwas über beide Nationen lernen.

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