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Düsterer Riese

■ Das Gerhard Marcks-Haus widmet dem Bildhauer Karl Hartung eine Retrospektive

Es ist offenbar kein leichtes Schicksal, ein Künstler mit Namen Hartung zu sein. 1956 beklagt sich der Maler Hans Hartung in einem Brief an den Bildhauer Karl Hartung, daß weder Postboten noch die Verfasser von Katalogen bekannter Ausstellungshäuser in der Lage seien, ihre Namen auseinanderzuhalten. Gemeinsam mit einem Packen falsch ausgelieferter Briefe übersandte Hans Hartung dem Künstlerkollegen den Vorschlag, er könne doch zwecks besserer Unterscheidung den Nachnamen seiner Mutter annehmen.

Leider findet sich unter den im Gerhard Marcks-Haus ausgestellten Schriftstücken nichts, was den Schluß erlauben würde, Karl Hartung habe die Anregung des Nachnamensvetters und berühmten abstrakten Malers ernsthaft in Erwägung gezogen. Die Vermutung liegt nahe, daß der Mitte der 50er Jahre im Zenit seines Ruhms stehende Karl Hartung dazu keine Veranlassung sah. Wer weiß, ob der 1967 Verstorbene genauso entschieden hätte, hätte er geahnt, daß Hans Hartung noch heute viele, Karl Hartung aber nur noch wenige kennen.

Womöglich ändert „Metamorphosen“ etwas daran, jene umfassende Retrospektive des Marcks-Hauses, das mit Dokumenten, Plastiken und Zeichnungen das gesamte bildhauerische Schaffen des Hamburger Künstlers ins Blickfeld rückt. Gemeinsam mit Bernhard Heiliger und Hans Uhlmann, die in den 50er Jahren auch seine Professorenkollegen an der einflußreichen Berliner Hochschule für bildende Künste waren, zählte Hans Hartung in der Nachkriegszeit zu den tonangebenden Bildhauern in Deutschland. Anders jedoch als Heiliger und Uhlmann, deren Werke sich einer abstrakten Formsprache verpflichtet wußten, arbeitete Karl Hartung zeitlebens sowohl figürlich als auch abstrakt. Hartungs künstlerische Entwicklung vom Holzbildhauer der 20er Jahre, wovon im Marcks-Haus zwei kunsthandwerkliche Holzfiguren zeugen, bis hin zu einem der Wegbereiter in die „Abstrakte“ veranschaulicht die Ausstellung durch die Unterteilung der Exponate in vier verschiedene Schaffensphasen.

Ein Studienaufenthalt in Paris Anfang der 30er Jahre und die sichtbar folgenreiche Bekanntschaft mit der dortigen künstlerischen Avantgarde, vor allem den Bildhauern Aristide Maillol und Charles Despiau sowie einige Jahre später die Begegnungen mit Constantin Brancusi und Picasso, blieben für Hartung ein Leben lang ebenso bedeutend wie die anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners. Zahlreiche Exponate aus den 30er Jahren, in denen Hartung in Terrakotta, Marmor, Bronze und Eisen vegetative Formen sowie weich geschwungene Körper- und Tierplastiken modellierte, zeugen von seiner Suche einem schöpferischen Naturverständnis mit den stilistischen Mitteln der zeigenössischen Avantgarde.

Das „Porträt Ilse Quast“ von 1935, eine Büste mit kantigen Zügen und fülligem Gesicht, zeigt sich deutlich inspiriert von der Formsprache der Pariser Avantgardisten. Zugleich ist diese frühe Studie geradezu prototypisch für zahlreiche in der Ausstellung zu sehende opulente Frauenakte, für die häufig Hartungs Ehefrau, die Malerin Ilse Quast Modell saß. Quasts Versuche, selber als Künstlerin zu bestehen, wußte im übrigen ihr Mann, wie sich die Tochter und Nachlaßverwalterin Hanne Hartung in Katalogtext erinnert, „geradezu meisterhaft zu hintertreiben.“

Die Zuwendung zum Abstrakten führte bei gleichzeitiger Beibehaltung der figürlichen Formensprache zu einer souverän praktizierten Erweiterung von Hartungs bilhauerischen Möglichkeiten. Anfang der 50er Jahre, also in einer Zeit, wo Hartung mit der Berliner Professur in materiell gesicherten Verhältnissen lebte, entstehen die größten im Marcks-Haus ausgestellten Arbeiten. „Großer Sitzender“ von 1951/52, ein breitschultriger, feingliedriger Mann, der selbstbewußt nach vorne schaut, wirkt in seinem Gestus wie das in Bronze gegossene Wirtschaftswunder. Knapp zehn Jahre später entsteht der „Thronoi“, der diese Figur nochmals aufnimmt, ihr aber nun ein skeletthaftes, morbides Äußeres voller Düsterkeit verleiht. Der Optimismus war Hartung offenbar vollständig vergangen. Franco Zotta

Die Ausstellung, zu der ein Katalog erschienen ist (28 Mark), ist bis zum 11. April zu sehen. Öffnungszeiten: Di-So, 10-18 Uhr. Am 3. Februar zeigt die Gruppe „tanzwerk“ im Rahmen des Tanzherbstes um 18 Uhr die Performance „Feiner Sand“ inmitten der Skulpuren Hartungs

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