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Schwitzige Werder-Historie

■ Das Focke-Museum würdigt den 100sten Geburtstag des SV Werder Bremen mit einer Sonderausstellung / Museum erwartet bis Mai 36.000 BesucherInnen

Den 100. Geburtstag begeht der SV Werder Bremen erst heute. Doch schon gestern gratulierte der flinke CDU-Landeschef Bernd Neumann zum Jubiläum und verschickte seinen persönlichen Brief an den „Lieben Franz“ und, sicherlich versehentlich, auch an die gesamte Presse. So erfuhr nicht nur Werderpräsident Franz Böhmert, daß Neumann sich über das seit Jahren andauernde gute Verhältnis der Bremer CDU zum grünweißen Fußballverein freut, und vor allem, daß der rechte Außenläufer Neumann mit Werder „auch in Zukunft noch viele spannende, siegreiche Fußball-'Schlachten' gemeinsam erleben“ will.

Im Focke-Museum aber sucht man vergeblich nach Neumanns Namen in den Mannschaftsaufstellungen der letzten Jahre. Sollte Harald Klingebiel und Hans-Joachim Wallenhorst bei der Zusammenstellung der Exponate zur dortigen Ausstellung „Werder Bremen. 100 Jahre Sport im Rampenlicht“ eine Nachlässigkeit unterlaufen sein? Kaum anzunehmen. Denn die beiden Ausstellungsmacher, die im Auftrag von Werder Bremen im Museum die hundertjährige Geschichte des Vereins dokumentiert haben, sind akribische Arbeiter.

Wynton Rufers schweißiger linker Fußballschuh mit Originalrasen aus dem 1994 als DFB-Pokalsieger verlassenen Berliner Olympiastadion zwischen den Stollen haben sie ebenso aufgetrieben wie den kaputten Holzpfosten aus dem denkwürdigen Spiel gegen Mönchengladbach im Jahr 1971. Rune Bratseths Elchgeweih, das seine Umkleidekabine zierte, findet sich ebenso wie Rudi Völlers blankgewienerte Treter.

Für jedes Jahr seit jenem 4. Februar 1899, an dem zwölf Realschüler den „FV Werder Bremen“ ins Leben riefen, dokumentiert ein Originalfoto entscheidende Etappen der Vereinsgeschichte. Szenen aus längst vergessenen Spielen gegen Clubs wie Gelsenguß Gelsenkirchen oder Fönix Karlsruhe sind zu bestaunen. Die erste deutsche Meisterschaft von 1965 mit Spielern wie Pico Schütz und Horst-Dieter Höttges findet sich ebenso auf Fotos wie Ewald Lienens aufgerissener Oberschenkel, in den der Werderaner Spieler Norbert Siegmann seine Stollen gerammt hatte. Lienen vermutete damals König Otto Rehagel als Anstifter hinter diesem üblen Foul, konnte das aber später nicht beweisen. Insofern blieb das von Radio Bremen nach dem Wechsel zu Bayern München angefertigte Denkmal für Werders erfolgreichsten Regenten unbefleckt und reiht sich im Focke-Museum erfolgreich in die Reihe jener steinernen Kurfürsten ein, die den Eingangsbereich des Museums zieren.

Wer dennoch dunkle Seite der Vereinsgeschichte finden will, muß – kein Witz! – in die Dunkelkammer. Dort findet sich unter anderem Dia- und Tonmaterial zu Werders Rolle im Nationalsozialismus, als der Deutsche Gruß vor jedem Spiel Pflicht und das Vereinsstadion mit Flaktürmen bestückt war. Aber auch Michael Kutzops Pfostentreffer, der 1986 die Meisterschaft kostete, bleibt dem Fan im dunklen Loch nicht erspart.

Neben zahlreichen bedeutenden Wimpeln, siegerschweißgetränkten Trikots und Originalfernseh- und Radioaufnahmen legendärer Spiele findet sich eine kleine Ecke für jene Abteilungen des Vereins, die ab 1906 nach und nach aus dem reinen Fußballclub einen Breitensportverein gemacht haben. Berühmteste Nichtfußballerin ist sicherlich die Leichtathletin Marga Petersen, Silbermedaillengewinnerin bei der Olympiade 1952.

Eine Vitrine schließlich widmet sich „dem Verein unter sozialgeschichtlichen Blickwinkel“, wie Harald Klingebiel sagt. Neben einer Anzahl edler V.I.P.-Eintrittskarten hängt dort eine mit Aufnähern zugepflasterte Fankutte, auf der der „richtige“ Fan die Gegner verhöhnt (“Wir scheißen auf die Münchener“) und den eigenen Verein glorifiziert (“Der geilste Verein in Deutschland“ steht über einem bumsenden Pärchen). Total provokativ, diese sozialgeschichtliche Installation.

Übrigens: Auch Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD) gratulierte per Fax dem Verein und würdigte Werders vorbildliche Leistungen und Verdienste für Norddeutschland. Aber kein Wort darüber, welche Position er gespielt hat. Ist etwa die Beziehung der SPD zu Werder Bremen gestört? Willi, hilf! zott

Die Ausstellung wird heute, um 11 Uhr, im kleineren Kreis eröffnet und ist ab 13 Uhr für alle zugänglich. Bis zum 2. Mai werden jeden Dienstag, ab 19.30 Uhr, Vorträge stattfinden. Den Auftakt macht am 9. Februar Manager Willi Lemke mit dem Vortrag: „Werder Bremen – ein Verein für Fußball und Geschäft oder für Sport und Freizeit?“ Das offizielle Buch zum Jubiläum mit gleichem Titel wie die Ausstellung dient als Ausstellungskatalog. Weitere Infos erhält man unter Tel.: 36 13 57 5

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