100 Jahre Schwulenbewegung
: Männer-Identität

■ Bürgermeister Poeschel verweigert Grußwort zu internationaler Schau

Der junge Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug hat in der letzten Reihe Platz genommen. Der Schweiß rinnt ihm immer wieder die Schläfen herunter. Er errötet mehrfach. Warum wird klar, als Georg Jauken vom Oldenburger Verein „Na Und“ in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung „100 Jahre Schwulenbewegung in Deutschland“ von den Schwierigkeiten berichtet, die Oldenburger Bürger und ihr Meister offenbar mit homosexuellen Steuerzahlern haben: „Sowohl eine Grußbotschaft für den örtlichen CSD als auch eine Teilnahme am Kramermarktsumzug – wo jeder Taubenzüchter teilnehmen darf – wurde vom Oberbürgermeister Dr. Poeschel abgelehnt.“ Und auch zur Eröffnung der sehr politischen Austellung erschien er nicht.

Mit dem Ersatz schien es indes auch zu hapern. Auf dem Dienstweg jedenfalls hatte Hiltrud Neidhard (Grüne), Bürgermeisterin und damit Vertreterin des OB, nichts von der Ausstellung erfahren, sondern über einen homosexuellen Frakti-onskollegen. Spontan sagte sie zu. Der „Dienstweg“ landete dann aber, wie Frau Neidhard bekundet, im Oldenburger Gesundheitsamt: Mit dem Gesuch um Eröffnung der Ausstellung. Klar, daß sich in solch einem Klima ein Coming-Out nicht so leicht so laut sagen läßt, und daß der Besuch dieser Ausstellungseröffnung für den Mann im Nadelstreifenanzug offenbar eine heikle Angelegenheit war.

„Wenn man das hört, um 100 Jahre Geschichte der Schwulenbewegung zu feiern, dann tut das außerordentlich weh“, beklagt Heidi Merk, die Niedersächsische Ministerin für Jugend, Familie und Soziales. Auf Initiative des Niedersächsischen Schwulenreferenten Hans Hengelein hatte sie die Erstellung der Austellung auf Basis einer amerikanischen Version ermöglicht. „100 Years Gay Movement in Germany“ wurde vom New Yorker Goetheinstitut 1997 beim Berliner Institut für Sozialforschung in Auftrag gegeben und ist bislang in New York, Los Angeles, Chicago, San Francisco und Sydney gezeigt worden. Im Oldenburger Kulturzentrum PFL ist jetzt die Deutschlandpremiere zu sehen, denn „hier ist noch viel Bewußtseinsarbeit zu leisten“, findet Georg Jauken von „Na Und“. Und Heidi Merk wird deutlich: „Ich bin nicht der Meinung, daß wir über Denkmäler diskutieren können, um dann solche Initiativen nicht zu unterstützen.“

Im 18. Jahrhundert wurden homosexuelle Männer wegen „Sodomie“ noch geköpft. Ende des 19. Jahrhunderts ruft der Jurist Karl-Heinz Ulrich (Hannover) erstmals nach Straffreiheit für Homosexualität und fordert einen „Urningsbund“ für die „Urninge“, wie er die Schwulen nennt. Das kann als der Beginn der Schwulenbewegung gelten, über deren Geschichte die Ausstellung auf 17 Tafeln informiert: von Magnus Hirschfeld über das Nazi-Stigma „Rosa Winkel“, den Streit um den Paragraphen 175 (1994 gestrichen), das moderne Stigma AIDS, bis zur heutigen Diskussion um das Recht auf Ehe und Familie, fundiert und informativ. Und auch frech, lustvoll, geraderaus, etwa wenn es um die Schwierigkeit geht, ein Kondom mit dem Mund überzuziehen – auch das in Originalfotos belegt.

Doch das erstaunliche an dieser Ausstellung ist: Sie zeigt ein Stück Kulturgeschichte. Denn ausgehend von Richard Kraft Ebelings Werk „Psychopathia sexualis“ (1886) wurde über das Jahrhundert hinweg stets wieder versucht, den Homosexuellen zu typisieren, getreu biologistisch-rassistischer Gedanken. Für Nazis hatte ein Schwuler einen „blöde-weichlichen Gesichtsausdruck“. Halbe oder ganze Männer, diese Zuschreibungen erweisen sich als so absurd, daß damit die komplette „Sex and Gender-Diskussion“ auf den Plan rückt: Geschlechterkonstruktionen. Damit ist die Ausstellung auch ein wohltuender Beitrag zur Identität eines jeden Mannes.

mig