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Der Kampf um die symbolische Ordnung

■ Auf dem Weg zum Bürgerstaat (4): Eine aktive Integrationspolitik erfordert Antidiskriminierungsgesetze und ethnische Quoten

Die Deutschen haben in den letzten Jahrzehnten nicht schlecht mit und von den MigrantInnen gelebt: Die EinwanderInnen zahlten Milliarden in die Steuer- und Sozialkassen ein und bekamen bedeutend weniger davon in Form von Sozialleistungen zurück. Sie übernahmen die schlechtesten Jobs, so daß die deutschen Erwerbstätigen aufsteigen bzw. in den zukunftsträchtigeren Dienstleistungssektor überwechseln konnten. Die MigrantInnen mußten als Sündenbock für zahlreiche soziale Probleme herhalten, vor allem für die Arbeitslosigkeit; die Identitätsprobleme der Deutschen nach der Vereinigung wurden an ihnen abgearbeitet, und die islamische Kultur wurde vielfach als Negativfolie benutzt, um die bescheidenen Erfolge der Frauenemanzipation zum Strahlen zu bringen.

Und nun sollen die MigrantInnen mit der erleichterten Einbürgerung symbolisch in den Rang der Gleichen aufsteigen. Sie sollen in Zukunft gleichwertig mit den „Alt- Deutschen“ in den Parlamenten sitzen, im Fernsehen das Zeitgeschehen kommentieren, als RichterInnen über Straftäter urteilen oder sich als TherapeutInnen psychischer Probleme annehmen. Das macht nervös. Nicht umsonst wurde erst kürzlich ein Psychotherapeutengesetz verabschiedet, das festlegt, daß nur Deutsche Therapeuten werden dürfen. Man wollte doch lieber „unter sich“ bleiben, wenn man seine Familienprobleme erörtert. Daß umgekehrt deutsche TherapeutInnen seit Jahren Menschen jeglicher kultureller Herkunft mit ihren Methoden behandeln – oder auch deutsche LehrerInnen Kinder verschiedenster Herkunft ohne Zusatzqualifikation unterrichten, ist kein Thema.

Mit der geplanten Staatsbürgerschaftsreform kommt die tradierte Rangordnung nun ins Wanken. Im Prinzip zumindest. Denn faktisch wird sich so schnell nichts ändern. Tatsächlich hat in den letzten Jahren eine zunehmende Desintegration zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung stattgefunden. Die Arbeitslosigkeit der MigrantInnen war früher z.B. um ein Drittel höher als bei den Deutschen – heute ist sie rund doppelt so hoch. Genauso wächst die Kluft zwischen einheimischen und eingewanderten Jugendlichen bei Abschlüssen und Ausbildung.

Angesichts dieser Situation ist die erleichterte Einbürgerung lediglich ein symbolischer Akt. Aber auch dieser löst massive Bedenken aus, ist die symbolische Ordnung doch ebenfalls ein heiß umkämpftes Terrain. Das hat z.B. der Streit um den Bau von Moscheen in einer Reihe von Städten schlaglichtartig deutlich gemacht. Bei der Frage, wie hoch das Minarett sein dürfe, wurde jeder Meter zum Prestigeobjekt. Denn es geht dabei um die Macht, das Selbstverständnis dieser Gesellschaft zu definieren; in dem Fall zu bestimmen, wie das Stadtbild auszusehen und wer die Lufthoheit über die Städte inne hat. Die Macht, „Normalität“ in einer Gesellschaft zu definieren, ist ein integraler Bestandteil des Selbstbildes der Etablierten, und sie verstehen diese als ihr ange“stammtes“ Recht. In diesem Sinn spricht Norbert Elias davon, daß eine solche Macht sinnstiftend sei, da sie das Selbstwertempfinden nähre und deren Gefährdung entsprechend als existentielle Bedrohung verstanden werde.

Möglicherweise ist den Deutschen ein gesetzlich verbrieftes Überlegenheitsgefühl im Unterschied zu nahezu allen anderen westeuropäischen Staaten deshalb so wichtig, weil ihr Selbstbewußtsein ohnehin prekär ist. Ein Selbstbewußtsein, das in der Geschichte mit Hilfe besonderer Anstrengungen von Dichtern und Denkern erst konstruiert werden mußte. Eine Konstruktion, die nicht auf einem gemeinsamen politischen Wollen und Tun basiert, sondern auf dem Mythos eines gemeinsamen Ursprungs, d.h. einer „natürlichen“ Gemeinschaft – eine im Prinzip inhaltsleere Konstruktion, die deshalb mehr Feindbilder zu ihrer Absicherung bedarf.

Nun ist bekanntlich in den letzten Jahren der Islam zum Feindbild Nr. 1 avanciert. Und ausgerechnet die Muslime – die Inkarnation des „Fremden“ – sollen in die „Gemeinschaft der Deutschen“ aufgenommen werden. Da bekommt auch die rot-grüne Regierung Angst vor der eigenen Courage und stellt noch flugs drei Hürden auf: Das Grundgesetz, die Sprache und das Geld. Diesen Identitätssymbolen, die über das völkische Denken hinaus für die Deutschen zentral geworden sind, sollen nun die AspirantInnen für die Staatsbürgerschaft ihre Referenz erweisen, indem sie auf die Verfassung schwören, beweisen, daß sie der deutschen Sprachen mächtig und ökonomisch unabhängig sind. Hier werden Unterwerfungsgesten eingefordert, um die eigene Angst vor allzuviel „Fremdheit“ zu beschwichtigen.

Ginge es nach den Gegnern des Doppelpasses, so müßten sich die NeubürgerInnen eindeutig entscheiden, wie sie diese Loyalität garantieren würden. Das wird von den AussiedlerInnen nicht gefordert, die durch ihre „Abstammung“ diese anscheinend hinreichend bewiesen haben. Tatsächlich gehört jede/r immer mehreren sozialen Gemeinschaften gleichzeitig an und hat dementsprechend immer mehrere Loyalitätsebenen – das müßten die Bayern am besten wissen. Aber die türkische Zugehörigkeit wird besonders mißtrauisch beäugt, als wäre sie mit der deutschen inkompatibel.

Dies spielte offenbar keine Rolle, solange die TürkInnen als „GastarbeiterInnen“ gebraucht wurden und „AusländerInnen“ blieben. Jetzt, wo sie Deutsche werden sollen, sollen sie ihre Herkunft vergessen, was widerum für Deutsche im Ausland nicht gilt. Im Gegenteil, Deutsche in osteuropäischen Ländern werden zu kultureller Eigenständigkeit ermuntert und die dortigen Regierungen mehr oder weniger unter Druck gesetzt, sie auch zu gewähren. Und das, obwohl die Deutschen in der Tschechoslowakei und Polen zu Zeiten des NS-Regimes mit ihrer Hitler-Begeisterung Anlaß für den Einmarsch bzw. Überfall boten und so ihre Länder der Zerstörung auslieferten. So wird mit zweierlei Maß gemessen und womöglich gar die Geschichte eigener Illoyalitäten auf heutige EinwanderInnen projiziert.

Zuweilen kommt sogar ein gewisser Neid auf, daß sich die NeubürgerInnen ganz unbefangen als Deutsche verstehen könnten, ohne die „Last“ der deutschen Geschichte mittragen zu müssen, ist doch der Nationalsozialismus inzwischen auch zu einem negativen Identifikationsmerkmal der Deutschen geworden. Nach dieser Logik müßte der Stand der Bevölkerung an einem bestimmten historischen Zeitpunkt eingefroren und Identität ein für allemal festgelegt werden. Zwar wird der Nationalsozialismus immer ein wesentlicher Teil der Geschichte und damit des Selbstverständnisses dieses Landes bleiben und jeder, der hier einwandert, muß sich mit dieser Geschichte und deren Folgen auseinandersetzen – allerdings in sehr unterschiedlicher Form. Für die MigrantInnen stellte sich z.B. in den letzten Jahren die Frage, inwiefern die heutige rassistische Gewalt in einer Kontinuität zu der NS-Geschichte steht, und ob das Schicksal der damals verfolgten Minderheiten droht.

Das neue Staatsbürgerschaftsrecht wäre sicherlich ein enormer Fortschritt für Deutschland im Sinne der Weiterentwicklung eines demokratisch-republikanischen Denkens und des Anschlusses an westeuropäische Standards. Es verlangt von den Deutschen eine Revision völkischer Mentalität und das Teilen symbolischer Macht. Ob diese Politik auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung materieller Ressourcen führt ist allerdings fraglich. Der deutsche Paß schützt keineswegs vor Diskriminierung und Rassismus. Und formale Gleichheit bedeutet keineswegs faktische Gleichstellung, wie die anhaltende Diskriminierung von Frauen nur allzu deutlich macht. Insofern ist eine Politik, die allein die Einbürgerungserleichterung zum Ziel hat, nicht genug. Dazu gehört eine aktive Integrationspolitik, die den strukturellen Benachteiligungen und alltäglichen Diskriminierungen ethnischer Minderheiten etwas entgegensetzt – in Form eines Antidiskriminierungsgesetzes ebenso wie einer ethnischen Quotierung oder Förderung analog zur Frauengleichstellung. Denn Tatsache ist, daß bei Fortschreibung der bisherigen Politik die ethnischen Gruppen immer weiter auseinanderdriften – mit und ohne gemeinsamer Staatsbürgerschaft. Birgit Rommelspacher

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