: Gysi predigt nicht in Thüringen
Evangelische Kirche streicht „52 Reden über Gott und die Welt“ nach Protesten wieder aus dem Gottesdienst. Kirchenverfassung verbietet Predigten von Atheisten ■ Aus Weimar Nick Reimer
Die Thüringer Kirche will nicht mehr „über Gott und die Welt“ reden. Zumindest nicht im Gottesdienst. Das bestätigte gestern Landesbischof Roland Hoffmann. Vorangegangen war eine Entscheidung des Landeskirchenrates, nach der das Projekt „52 Reden über Gott und die Welt“ gestrichen wird. Prominente aus Politik, Wirtschaft und Kultur sollten in der Reihe, die am 1. Advent startete, als Gastredner in allen Gottesdiensten des Kirchenjahres ihre Ansichten über Bibelstellen von der Kanzel aus darlegen. Das mutige Projekt sollte der evangelische Beitrag zum Kulturstadtjahr in Weimar sein. Beteiligt sind 22 Gemeinden des Landkreises Weimar und der Landeshauptstadt Erfurt.
Die Evangelischen Akademie Thüringen hatte die Reihe aus der Taufe gehoben und konzipiert. Geburtshelfer des innerkirchlichen Konfliktes war ausgerechnet der Atheist Gregor Gysi. Nach seiner Zusage hagelte es Proteste. Andere Gastredner wie Thüringens Kultusminister Gerd Schuchardt oder die Regisseurin Freya Klier sagten ihre Teilnahme wieder ab. „Unsere Entscheidung hat weder etwas mit den Absagen noch mit Gysi zu tun“, sagt Carmen Jäger, Sprecherin der Thüringer Landeskirche. Grundlage sei vielmehr die Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche in Thüringen, nach der es „nicht zulässig“ ist, daß Atheisten und Menschen ohne eine kirchliche Berufung „im Gottesdienst anstelle der Predigt über den Bibeltext reden“.
Pikant an der Absage ist, daß sich der Weimarer Gemeindekirchenrat in der vorigen Woche ganz klar für die Fortsetzung der Reihe – auch mit Gysi – ausgesprochen hatte. Pikant ist außerdem, daß die Reihe in Erfurt weiterlaufen wird. Die nur 20 Kilometer von Weimar entfernte Landeshauptstadt liegt auf dem Territorium der Kirchenprovinz Sachsen. „Wir sind der Meinung, daß engagierte Menschen ihre Stimme über das, was in der Bibel steht, erheben sollen“, erklärte Andreas Volkmann, Pressesprecher der Kirchenprovinz Sachsen gegenüber der taz. In der Kirche könne zwar nicht jeder predigen, „aber doch jeder reden, der will“. Das gelte natürlich auch für Gregor Gysi, so Volkmann. Landesbischof Hoffmann dagegen teilte gestern mit, daß er „auf Empfehlung des Landeskirchenrates Herrn Gysi ausgeladen“ habe. Die Reihe soll nun für Weimar überarbeitet und dann außerhalb des Gottesdienstes stattfinden. In der Evangelischen Akademie Thüringen will man auf eine dienstliche Weisung der Landeskirche warten. Für die Initiatoren steht fest: Die Diskussion um Gysi ist ein Indiz dafür, „wie viele und tiefe Verletzungen aus der DDR-Vergangenheit unter der Oberfläche gären“.
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