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Im Wendekreis der Bratwurstbude

Diese Geschichte hatte Folgen: Eckhart Henscheid schrieb einst die Blaupause für die Gattung der „Akademiker in Kneipen“-Romane. Wolfgang Bortliks gelungenes, manchmal zu wortreiches Debüt „Wurst & Spiele“ läßt auf intensive Henscheid-Lektüre schließen  ■ Von Michael Schweitzer

1973 erschien im subskribierten Privatdruck Eckhard Henscheids erster veröffentlichter Roman, „Die Vollidioten“. Er spielt 1972 im unernst akademischen Milieu von Frankfurt am Main. Ein Herr Jackopp glaubt, in ein Frl. Czernatzke verliebt zu sein. Anstatt dem Knallkopf Einhalt zu gebieten, heizen der Ich-Erzähler und seine Freunde das Triebchaos noch an. Sieben Tage lang schwillt der verbalamouröse Unfug; nebenher wird viel über die Revolution geschwätzt, die aber auch nicht kommt.

Der Kontrast zwischen großem Reden, wirrem Wollen und magerem Können ist auf sämtlichen Ebenen komisch. Der Ich-Erzähler macht munter mit, weiß aber – wie vielleicht ein paar andere Männer –, daß alles Quatsch ist. Die besoffenen Schreihälse darum herum dagegen glauben ihre eigenen Phrasen. Immer wieder zieht es die Kombattanten in das Lokal „Krenz“ (real leider nicht mehr existent: „Bei Mentz“).

Diese Geschichte hatte Folgen. Nicht nur seit 1978 über 30 Auflagen beim Verlag Zweitausendeins, sondern auch ein Regal voll deutschsprachige Romane mit ähnlicher Konstellation: einem gebildeten Bürger oder Kleinbürger ist es in seinem Geburtsmilieu zu langweilig, so daß er teilweise in einer Kneipe lebt. Dort mag er die Leute, und zwar unter anderem, weil sie ihm unterlegen sind. Außer in der Liebe, da kompliziert er alles zu Tode. Sicher haben nicht alle Autoren, die ungefähr diesen Roman verfaßt haben, „Die Vollidioten“ gelesen. Motive wandern, der neue Benutzer muß dazu gar nicht alle ihre Stationen kennen. Nur fordert es eben zum Vergleich heraus.

Horak, die Hauptfigur von Wolfgang Bortliks erstem Roman „Wurst & Spiele“, bedient in der „Sportgaststätte“ Th. Kummer“ im schweizerischen Langenburg (Vorbild: Aarau). Eigentlich möchte er nur für drei Tage seine Freundin Ev vertreten, doch da erhält er von dem „Vollblutgastronomen“ Theo Kummer ein Angebot: Er soll einen im Hof der Wirtschaft erst noch zu errichtenden Wurststand führen und damit Olkan Bey Konkurrenz machen, dessen Imbißwagen bei den Heimspielen des FC Langenburg bisher das Monopol hat.

Obwohl er chronisch geldschwach ist, hat Horak dieser Plan gerade noch gefehlt: Er ist ein belesener, rockmusikalisch durchgeformter Mann, der nicht in einer Wurstbude enden will. Doch dann findet er heraus, daß hinter Olkan Bey ein kleinstädtisches Geschäftsleute-Gesocks steht, vor dem man den alten Kummer schützen müßte. Sowieso schwanken Horaks Stimmungen, weil sich das Luder Ev von ihm abwendet. So zieht er Kummers Vorschlag zeitweise ernsthaft in Betracht.

Das liegt auch an Kummer selbst. Denn er, die beeindruckendste Gestalt des Buches, hält, was sein Name, auch der aufs Göttliche weisende Vorname, verspricht: einen prima Schwurbelkopf und Lamentator. Es ist ziemlich lustig, diesen „Gastwirt aus Berufung“ zu hören, wie er von der „Marge“ spricht, dem „Standortvorteil“ und der „Konzentration“, dem „Megamerger“ und der „Glabolisierung“, und dabei immer nur seine Bratwürste meint. Als er merkt, daß auch sein Sohn Thomas zu den Maifosi hinter Olkan Bey gehört, klagt er: „Mein eigen Fleisch und Blut fällt mir in den Rückhalt.“ Seelisch, im Ton und bis in einzelne Wendungen hinein erinnert er an große Henscheidsche Schwadroneure wie Hans Duschke und Giesbert Lattern aus „Geht in Ordnung – sowieso – genau“ sowie Horst Tempes aus „Dolce Madonna Bionda“. Bortlik mißt sich hier an einem bedeutenden Vorgänger – und hält mit.

Sein Horak ist ein netter Kerl, ein Kommunist, der niemandem etwas zuleide tut. Da er nicht sehr viel jünger ist als sein 1952 geborener Autor – und diesem in weiteren Punkten ähnlich –, hat er die Zeit, zu der Linkssein Mode war, als Erwachsener miterlebt. Nahm es zu ernst, um rechtzeitig auszusteigen, und nicht ernst genug, um damit Karriere zu machen. War auch tranig, sozusagen vereinstreu. Dadurch ist er übriggeblieben, zitiert immer noch scheinironisch „Das Kapital“; hat nichts erreicht, außer etwas Großem: sich nicht kaufen zu lassen. Natürlich hat so einer bei den Weibern einen schweren Stand, die wissen gar nicht, was sie an ihm haben. Wenn ihn eine verläßt, dann nicht wegen seiner Sauferei, sondern aus irgendeinem viel blöderen Grund.

Leider ist nicht alles so gut geschrieben wie Theo Kummers Tiraden. Bortlik tropft. Feinen, todtraurigen Beobachtungen schmeißt er einen Kalauer hinterher; einen guten Witz bremst er durch einen überflüssigen anderen aus, oder schlimmer: Er erklärt ihn. Man müßte an „Wurst & Spiele“ kein Wort ändern, sondern nur viel streichen. Viel Gutes bliebe stehen.

Beispiel? „Was aber trieb die Geliebte eigentlich so überhastet ins feindliche Thaldorf? Alte Schulden, alte Guthaben? Die Pflicht, das greise Mütterlein von schwerwiegender Erbverschleuderung abzuhalten? Die traurige Aufgabe, den lieben Pupsonkel, der stehend in den Stiefeln gestorben war, über die Kante ins Grab zu schieben?“ Damit das erträglich wäre, müßte man alle Adjektive weglassen. Danach heißt es aber: „Ach Ev! Die Melone in Horaks Brust pumperte.“ Das ist doch ein starker Kapitelschluß. „Denn wie er ganz zuletzt war, so war er eigentlich“, schrieb Theodor Fontane über seinen Vater.

Wolfgang Bortlik: „Wurst & Spiele“. Roman. Edition Nautilus, Hamburg 1998, 222 Seiten, 36 DM

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