: "Uns unterscheidet nur die Sprache"
■ Kürzlich hat die Schaubühne modellhaft eine Aufführung in Gebärdensprache simultandolmetschen lassen. Jetzt wollen andere Theater nachziehen. Ein Gespräch mit Thomas Zander, dem Leiter des Deutschen Geh
In Berlin leben etwa 6.000 Gehörlose – bislang ohne eine Möglichkeit, am geräuschvollen hauptstädtischen Kulturbetrieb gleichberechtigt teilzunehmen. Ende Januar jedoch zeigte die Schaubühne erstmals eine Theateraufführung – „Onkel Wanja“ unter der Regie von Andrea Breth – mit gebärdensprachlicher Übersetzung durch drei Dolmetscherinnen. Jetzt haben auch andere Berliner Bühnen Interesse an gebärdensprachlicher Übersetzung bekundet.
Der 30jährige Thomas Zander hat die Idee der Schaubühne begeistert aufgegriffen und versucht jetzt, die Kommunikation zwischen Gehörlosen und Theatern für Hörende voranzutreiben. Mit Hilfe von Dolmetschern studierte Thomas Zander Kulturarbeit an der FH Potsdam. Er ist künstlerischer Leiter des Deutschen Gehörlosentheaters, rief das Berliner Kulturbüro für Gehörlose ins Leben und gründete im vergangenen Jahr das Kulturcafé „Hands Up“ im Berliner Gehörlosenzentrum in der Friedrichstraße. Das Gespräch mit Thomas Zander dolmetschte Dina Tabbert.
taz: Wie kam es zu Ihrem besonderen Engagement für die Übersetzung von „Onkel Wanja“ in Gebärdensprache?
Thomas Zander: Sozusagen von der anderen Seite her. Das Deutsche Gehörlosentheater sorgt schon seit langer Zeit dafür, daß seine Aufführungen auch für Hörende verständlich sind, indem sie von Dolmetschern in Lautsprache übersetzt werden. Weil wir die Möglichkeit nutzen, Hörende in unsere kulturelle Tätigkeit mit einzubeziehen, möchte ich auch, daß der umgekehrte Weg stattfindet.
Lange Zeit haben Gehörlose isoliert und zurückgezogen gelebt. Dieses Unsichtbarsein hat sich verändert. Es gibt eine neue Generation von Gehörlosen, die in die Öffentlichkeit gehen möchten, um zu zeigen, was das ist: gehörlos zu sein. Und die sich deswegen nicht schämen, sondern vermitteln wollen, daß sie ganz normale Menschen sind. Das einzige, was uns unterscheidet, ist die Sprache.
Was muß man sich unter einem Gehörlosentheater vorstellen? Ist das übersetztes Sprechtheater oder ein Theater, das stärker an Bildern und Choreographien orientiert ist?
Das Deutsche Gehörlosentheater führt Theater der Hörenden in Gebärdensprache auf. Das heißt, es übersetzt von Hörenden verfaßte Dramatik. Natürlich muß dieses Theater visuell ausgerichtet sein, da die Gebärdensprache eine visuelle ist. Was damit wegfällt, sind bestimmte Situationen aus dem Theater für Hörende, in denen etwa jemand aus dem Off spricht. Auch Musik muß visuell dargestellt werden.
In den Augen von Hörenden kann diese visuelle Darstellung sehr weit gehen: Nach der Aufführung von „Onkel Wanja“ haben Hörende etwa kritisiert, daß die Dolmetscher nicht nur übersetzen, sondern auch mimisch interpretieren würden. Eine bestimmte Mimik ist aber notwendig, um Tonfälle, Sprachmelodie und Stimmungen zu übersetzen. Insofern ist das keine Interpretation, sondern gehört zur Übersetzung.
Und dabei betrachtet man als Gehörloser die Dolmetscher eher aus den Augenwinkeln?
Ja, das ist ähnlich wie im Kino bei Untertiteln, nur ist es eine präzisere Übersetzung, die eben auch die Zwischentöne einfängt: nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, wie etwas gesagt wird. Das einzige Problem bei „Onkel Wanja“ war die ungeheure Breite der Bühne. Um sowohl die Dolmetscher als auch das Stück zu sehen, mußte man ständig den Kopf verdrehen.
Haben Gehörlose eine Möglichkeit, Musik wahrzunehmen?
Es gab mal eine mehrtägige Veranstaltung „Gehörlose Musik“ im Prater, also etwas, was sich eigentlich ausschließt. Da wurde von Dolmetschern versucht, sowohl Texte als auch Musik zu übersetzen. Dabei entstand so etwas wie eine neue Kunstform, die mehr etwas von einer Performance hatte als von einer Übersetzung.
Auch die Hörenden waren ziemlich beeindruckt und meinten, sie könnten sich jetzt eigentlich auch die Ohren zuhalten und trotzdem die Musik dabei wahrnehmen. Das ist ein neues experimentelles Feld: Musik in Bilder umzusetzen für Gehörlose.
Außerdem gab es eine Art Oper, bei der Musik in ganz extremer Lautstärke – für Hörende schon viel zu laut und unangenehm – gespielt wurde. Aber für Gehörlose funktionierte das gut, da man die Schwingungen und Vibrationen spüren konnte.
Ich stelle mir das schon für die Lautsprache wahnsinnig schwierig vor, Musik in Worte zu übersetzen. Muß dann die Gebärdensprache nicht sehr viel mehr Zeichen haben, um Klänge oder Rhythmen plastisch und vorstellbar zu machen?
Klar, aber die Lautsprache hat ebenfalls verschiedene Töne. Allerdings ist Lautsprache von der Struktur her eindimensional, das heißt linear in der Zeit. Gebärdensprache dagegen passiert dreidimensional im Raum und kann Mimik und Körperausdruck benutzen. Insofern gibt es eine ganz andere Beschreibungsebene, die auch bestimmte Denkstrukturen ausprägt.
Bei Gebärdensprachkursen für Hörende habe ich festgestellt, wie schwer es Hörenden fällt, aus Texten durch Bewegungen im Raum Bilder zu machen, wozu man eine andere Phantasie und andere Sprachparameter benötigt. Kompliziert wird das bei der Wiedergabe von Dialogen mit mehreren Rollen, wo die Tonlagen der Stimmen durch bestimmte mimische und gestische Zeichen wiedergegeben werden müssen.
Könnte man dann nicht sagen, daß Gebärdensprache eine „theatralere“ Sprache ist?
„Theater“ ist dafür der falsche Begriff, denn Gebärdensprache hat nichts mit Kunst zu tun. Es ist zwar eine visuelle, aber keine nur gestische Sprache. Man kann mit ihr auch ganz abstrakte Zusammenhänge ausdrücken. Viele Gebärdenzeichen illustrieren nicht bloß gestisch Dinge oder Vorgänge, sie korrespondieren nicht zwangsläufig mit dem, was sie zeichenhaft darstellen. Statt dessen funktionieren sie als willkürlich gesetzte Bezeichnungen – ganz ähnlich wie die Lautfolgen in der Lautsprache.
Ist also der Sprachunterschied eine wichtige Ursache für Ausgrenzung?
Ich denke, das hat vor allem historische Gründe. Offiziell ist das Unterrichten von Gebärdensprache in Deutschland seit 1880 verboten. Das hat mit einer bestimmten Form von traditioneller Pädagogik zu tun, die Gehörlosigkeit bis heute als einen Makel begreift und versucht, Gehörlose mit Gewalt an die hörende Welt anzupassen. In den USA ist das ganz anders und sehr viel weniger diskriminierend gelaufen. Dort können hörende Kinder die Gebärdensprache wie eine Fremdsprache erlernen, aber vor allem haben Gehörlose auch die Chance, in ihrer Sprache zu studieren.
Bei uns hat allerdings auch das Nazi-Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses dazu geführt, daß es nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland nur sehr wenige Gehörlose gab. Aber ich denke, Dolmetscher werden jetzt immer häufiger auftauchen. Wir möchten an politischer und kultureller Gestaltung mitwirken und dazu auch die Gelegenheit erhalten. Interview: Eva Behrendt
Kontaktadresse: Kulturbüro im Gehörlosenzentrum (GLZ); Friedrichstraße 12, 10969 Berlin, Fax: 252 980 31
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