: Eine neue Wissenschaft für das 21. Jahrhundert
■ Die Weltkonferenz der Unesco will eine Deklaration für die Wissenschaft verabschieden
Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft müsse neu geordnet werden. Frederico Mayor, Generaldirektor der UN- Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (Unesco), fordert ein „radikales“ Umdenken damit die Wissenschaft nicht die öffentliche Unterstützung verliere. Es sei „paradox“, meint der Generaldirektor, nie zuvor sei die Notwendigkeit der Wissenschaft klarer gewesen als heute, „zum Beispiel, um die Komplexität der Klimaveränderung zu verstehen“. Und niemals zuvor, so Mayor, sei aber auch das Verhältnis zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher Entwicklung problematischer gewesen. Noch in diesem Jahr will die Unesco eine Kehrtwende einläuten. Ende Juni auf der Weltwissenschaftskonferenz in Budapest soll eine „Deklaration für Wissenschaft und die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse“ verabschiedet werden.
Der Entwurf für die Deklaration liegt bereits vor. Das Schriftstück ist ein fast uneingeschränktes Bekenntnis zur Wissenschaft. Sie habe dazu beigetragen, das Leben zu verlängern, für zahlreiche Krankheiten konnten Therapien entwickelt werden oder stünden kurz vor der Anwendung, heißt es in dem Entwurf. Mit Hilfe der Wissenschaft konnte die landwirtschaftliche Produktion gesteigert werden, neue Energiequellen stünden zur Verfügung. In der Präambel wird zwar auch darauf hingewiesen, daß die neuen Erkenntnisse nicht immer nur zum Wohle der Menschheit eingesetzt wurden, wie zum Beispiel bei der Entwicklung von chemischen, biologischen oder atomaren Waffen. Daß die Wissenschaft aber auch bei der Entstehung von globalen Umweltproblemen beteiligt war, wird mit keinem Wort erwähnt.
Der Entwurf geht davon aus, daß der Wissenschaft in Zukunft eine noch wichtigere Rolle zukommt: Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können nur mit ihrer Hilfe angegangen werden. Dazu sei es notwendig, so eine der zentralen Forderungen in dem Entwurf, daß vor allem die Entwicklungsländer besser in internationale Kooperationen eingebunden werden. Wissenschaftliche Daten müßten jederzeit, auch über Staatsgrenzen hinweg, frei verfügbar sein. Die wissenschaftliche Ausbildung müsse ohne Diskriminierung des Geschlechts oder ethnischer Zugehörigkeiten gewährleistet sein.
Vorbereitet wurde der Entwurf von der Weltkommission für Ethik in Wissenschaft und Technologie (Comest), die vor einem Jahr von der Unesco eingerichtet wurde. Die Kommission besteht aus achtzehn Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Philosophie, Kultur und Politik, die von Generaldirektor Mayor berufen wurden. Hinzu kommen noch die elf Vorsitzenden der wichtigsten Wissenschaftsprogramme der Unesco. Der Kommissionsvorsitz wurde der ehemaligen isländischen Präsidentin Vigdis Finnbogadóttir übertragen. Die Isländerin wurde vor allem dadurch bekannt, weil sie die erste Frau war, die an die Spitze eines Staates gewählt wurde (1980). Einziges deutsches Mitglied in der Kommission ist Dagmar Schipanski, Rektorin der Technischen Hochschule Ilmenau in Thüringen und seit kurzem auch Kandidatin der CDU/CSU für die Wahl zur Bundespräsidentin.
Erste Kritik an dem Deklarationsentwurf wurde Ende Januar auf einer Konferenz in Bangalore, Indien, geäußert. Die auf der Konferenz anwesenden Wissenschaftler aus China, Thailand, Bangladesch, Usbekistan, dem Iran und Indien verabschiedeten einen Gegenentwurf. Darin werden unter anderem auch die Schattenseiten des Fortschritts aufgeführt, zum Beispiel daß die moderne Landwirtschaft eine Reduzierung der biologischen Vielfalt verursacht hat und die neuen Energiequellen neuartige Probleme mit sich brachten: den radioaktiven Müll und Unfälle mit verstrahlten Menschenopfern. Vor allem aber fordern die Wissenschaftler, daß auch ein anderes Wissenssystem anerkannt und unterstützt wird. Ein Wissen, das auf Überlieferung und Tradition beruht. Diese Ressourcen dürften nicht, so heißt es, weiterhin durch Patente von einzelnen Konzernen monopolisiert werden. Wolfgang Löhr
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